Christian Keller spricht im EXPRESS.de-Interview über seine Pläne mit dem 1. FC Köln, die Gespräche mit Steffen Baumgart, Salih Özcan und Anthony Modeste sowie die finanziellen Sorgen des Klubs.
Kader-Klartext von Keller Keine Modeste-Verlängerung – so reagierte der FC-Star
Zum 1. April 2022 hat Christian Keller (43) das sportliche Ruder beim 1. FC Köln übernommen. Trotz der überragenden Saison samt Europapokal-Einzug warten viele Baustellen auf den Geschäftsführer. Im EXPRESS.de-Interview erklärt Keller, wie prekär die Finanzsituation wirklich ist und wie die Gespräche mit Erfolgscoach Steffen Baumgart (50) laufen. Der Sportboss gibt Einblicke in die Personal-Pläne und macht klar: „Der FC ist eine große Sanierungsaufgabe.“
Christian Keller, zur Vorbereitung auf den 1. FC Köln haben Sie das Buch „101 Dinge, die man über den FC wissen muss“ gelesen. Konnten Sie das Gelernte in Ihren ersten eineinhalb Monaten schon anwenden?Keller: Mittlerweile weiß ich mindestens 202 Dinge über den FC. Manche davon wollte ich gar nicht wissen (lacht). Es ist auf jeden Fall auch ganz viel Positives dazugekommen. Ich habe alle Gremien kennengelernt, mit jedem Abteilungsleiter und jedem Spieler ein ausführliches persönliches Gespräch geführt. Und ich kann sagen, dass wir hier echt viele gute Mitarbeiter haben.
Als Einstands-Geschenk gab’s den Einzug in den Europapokal. Als der Klub an Sie herangetreten ist, galt der FC noch als Abstiegskandidat...Keller: Das war zum damaligen Zeitpunkt nicht zu erwarten. Unser Grundtenor in den Gesprächen war überhaupt nicht, dass wir möglichst schnell einen Platz in der oberen Tabellenhälfte erreichen wollen. Dem Vorstand geht es mit den Verpflichtungen von Philipp Türoff, mir und jetzt auch Markus Rejek darum, dass der FC auf Sicht seiner Größe und Strahlkraft wieder gerecht werden soll – auf allen Ebenen. Meiner Meinung nach gehört der FC in die Top-10 Deutschlands. Die sportlich exzellente Saison darf aber nicht überdecken, dass wir aktuell nicht die Substanz haben, dort regelmäßig zu landen. Finanzwirtschaftlich erfüllen wir die Voraussetzungen dafür überhaupt nicht, strukturell und infrastrukturell ebenfalls nicht. Lediglich konzeptionell und personell haben wir sie.
Wussten Sie, worauf Sie sich einlassen?Keller: Ich kannte den Stand von Herbst 2021. Doch der Stand aus dem Frühjahr dieses Jahres ist noch mal deutlich schlechter, gerade finanzwirtschaftlich. Der FC ist finanziell und strukturell eine große Sanierungsaufgabe. Die Verantwortlichen mussten in der Pandemie sehr kreativ vorgehen. Was gemacht wurde, war notwendig – aber es wirkt natürlich in die Zukunft. Mein Interesse als Sportchef müsste, salopp gesagt, eigentlich sein: Hau‘ die Kohle raus und hol‘ die besten Spieler. Als Geschäftsführer habe ich aber eine Gesamtverantwortung. Die Lasten, die aufgebaut wurden, müssen wir wieder abbauen.
Wie empfinden Sie die Zustände am Geißbockheim?Keller: Es ist ein überragender Arbeitsplatz, besser als die Lage hier im Grüngürtel geht es nicht. Trotzdem ist die Infrastruktur in die Jahre gekommen. Am schlimmsten sind die Zustände im NLZ. Das ist beschämend. Das sind keine Bedingungen, unter denen man professionelle Nachwuchsförderung betreiben kann.
Christian Keller: „Kein anderer Klub hat sich so um mich bemüht“
Wie fällt der Vergleich zu Ihrem Ex-Klub Jahn Regensburg aus?Keller: Ich glaube, jeder Profi hier würde die infrastrukturellen Gegebenheiten mit Regensburg tauschen. Dort herrschen mittlerweile Hightech-Bedingungen für die Profis. Als wir Bayerns Sarpreet Singh zum Kennenlerngespräch da hatten, meinte er: „Wow, it’s better than Bayern Munich“ (lacht).
Stimmt es, dass der FC Sie bereits im November 2019 verpflichten wollte?Keller: Ich kann schon sagen, dass der FC extrem hartnäckig war. Ich halte aber grundsätzlich meine Verträge ein. Dass sich kein anderer Klub über einen so langen Zeitraum mit solch einem Nachdruck um mich bemüht hat, war dennoch ein emotionales Entscheidungskriterium.
Kurz zuvor hatten Sie als Regensburg-Boss Ihren Trainer Achim Beierlorzer nach Köln verkauft. Haben Sie ihn vor Ihrer FC-Unterschrift zu Köln befragt?Keller: Überhaupt nicht. Wir haben bis heute ein sehr gutes Verhältnis und er hat mich auch gefragt, ob er mir etwas über ein paar Protagonisten erzählen soll. Doch ich habe für mich den Grundsatz, dass ich mir meine Meinung selbst bilde.
Für Jahn Regensburg waren Sie insgesamt achteinhalb Jahre tätig. Als Sie 2013 loslegten, war der Klub ebenfalls ein Sanierungsfall. Hilft Ihnen das jetzt beim FC?Keller: Eine ganz zentrale Botschaft ist erst mal: Diese Sanierungsaufgabe hier ist lösbar. Allerdings schon mit ein paar Einschnitten. Das heißt nicht, dass alles zusammengespart werden muss, aber wir müssen ein paar Dinge verändern.
Zum Beispiel?Keller: Wir müssen zum Beispiel aus struktureller Sicht die Zuständigkeiten für einzelne Aufgaben innerhalb der Organisation klarer regeln. Ziel muss es sein, dass eine Tätigkeit mit höchstmöglicher Effizienz ausgeführt wird.
85 Millionen Euro an Umsatz hat die Corona-Pandemie den FC gekostet. Wie lange wird der Verein daran zu knabbern haben?Keller: Das hängt vom gewählten Sanierungstempo ab. Eine Radikalkur würde ich im Moment nicht empfehlen. Wir müssen die sportliche Wettbewerbsfähigkeit aufrechterhalten, brauchen da die richtige Balance zur Gesundung und zum Substanzaufbau.
Christian Keller: Salih Özcan geht es nicht ums Geld
Sie sollen im Sommer ein zweistelliges Millionen-Plus auf dem Transfermarkt rausholen. Ist das realistisch?Keller: Es ist auf jeden Fall angestrebt, um nicht wieder ein Millionen-Defizit zu fahren wie in dieser Saison. Ob es realistisch ist, kann ich nicht sagen. Der Transfermarkt nimmt erst nach den letzten sportlichen Entscheidungen, wenn die Relegationsspiele und europäischen Wettbewerbe rum sind, so richtig an Fahrt auf. Dann schauen wir mal, für welche Spieler Anfragen kommen.
Für Salih Özcan soll es schon jetzt reihenweise Interessenten geben. Wie ist der Stand? (Das Interview fand einen Tag vor Özcans Medizincheck bei Borussia Dortmund statt, Anm. d. Red.)Keller: Rein sportlich möchte ich unsere Leistungsträger behalten. Salih Özcan ist natürlich so einer. Die Frage ist aber auch, was der Leistungsträger möchte. Kann er in eine neue Dimension vorstoßen, wirtschaftlich und sportlich? Ich habe mich mit Salih zu dem Thema unterhalten. Für ihn steht sicherlich die sportliche Komponente im Vordergrund, ihm geht es nicht ums Geld.
Was sagt Ihnen Ihr Manager-Gefühl: Bleibt Özcan?Keller: Wir wissen, dass sich bei Salih schon Klubs gemeldet haben. Bei uns allerdings noch nicht. Insofern kann es sehr schnell gehen. Er selbst muss sich fragen, wie seine nächsten sportlichen Schritte aussehen sollen. Ob er sich beim FC auf diesem hohen Niveau, das er unter Steffen Baumgart erreicht hat, stabilisieren oder schon auf das nächsthöhere Niveau springen will.
Bieten Sie Anthony Modeste (Vertrag bis 2023) in diesem Sommer eine Verlängerung an, oder sehen Sie in dieser Personalie keinen Handlungsbedarf?Keller: Ich habe Tony gesagt: „Wenn wir uns etwas wünschen dürfen, möchten wir, dass du nächstes Jahr da bist.“ Wir glauben, dass er auch mit 34 noch in der Lage ist, Tore zu schießen, wenn wir ihn richtig einsetzen – und das wird das Trainerteam tun. Er ist für diese Mannschaft elementar wichtig. Gleichermaßen sind wir momentan nicht in der Lage, einen Top-Vertrag zu verlängern. Tony weiß, dass wir ihm aktuell nichts über 2023 hinaus anbieten können. Wenn wir im Herbst klarer sehen, wie unsere wirtschaftlichen Möglichkeiten sind, sieht das sicher anders aus.
Reicht Modeste das? Er wollte ursprünglich noch vor Saisonende Klarheit über 2023 hinaus.Keller: Unser Austausch war sehr offen. Ich bin mit einem guten Gefühl aus dem Gespräch gegangen und Tony hat gelächelt. Das interpretiere ich ebenfalls als gutes Gefühl.
Christian Keller: „Werden uns als Entwicklungsklub positionieren“
Wie können Sie die Mannschaft auch ohne Geld verstärken?Keller: Ich kann unseren Ansatz erklären, ob er gelingt, werden wir sehen. Denn zaubern können wir alle nicht. Wir werden uns als Entwicklungsklub positionieren müssen. Das heißt: Wir holen Spieler, die das Potenzial für die Bundesliga haben, diese Qualität aber noch nicht konstant nachweisen konnten. Das hat letzten Sommer schon begonnen, Timo Hübers ist ein echt gutes Beispiel. Der Spieler hat die Prognose zu 100 Prozent erfüllt.
Hübers kam aus Hannover, wie nun Linton Maina.Keller: Linton ist ein pfeilschneller Spieler, läuft in der Spitze fast 36 km/h, hat Tiefgang, kann ins Eins-gegen-eins gehen. Einen Spielertyp mit diesen Qualitäten hatten wir bislang nicht. Seine Entwicklungspotenziale haben wir ebenfalls identifiziert und mit ihm besprochen. Und Steffen hat schon bewiesen, dass er Spieler besser machen kann.
Sie suchen sogar in der Regionalliga, wie das Interesse an Offenbachs Denis Huseinbasic zeigt.Keller: Wenn es talentierte Jungs in der Regionalliga gibt, warum nicht? Natürlich können wir nicht nur Spieler holen, die in ihrer Entwicklung womöglich noch ein Jahr brauchen. Aber bei unseren Verpflichtungen ist ein gewisses Risiko unumgänglich. Wir können gar nicht anders.
Machen Sie sich Gedanken um die Fan-Reaktionen, wenn Sie vermeintlich kleine Namen verpflichten?Keller: Die Verpflichtungen, die wir tätigen, werden in der riesigen FC-Fanlandschaft wahrscheinlich nicht für Begeisterungsstürme sorgen. Da sind Namen dabei, mit denen der Fan auf den ersten Blick nichts anfangen kann. Daher könnte ich auch verstehen, wenn der ein oder andere das kritisch sieht. Wir sind aber nun mal nicht in der Lage, Spieler zu holen, die schon nachhaltig auf Bundesliga-Niveau abgeliefert haben. Noch mal: Dieser Weg ist für den FC alternativlos. Und wir sind uns im Klaren, dass wir dabei auch auf die Schnauze bekommen können.
Kann der FC in diesem Sommer, von Luca Kilian mal abgesehen, Ablösen zahlen?Keller: Es hängt davon ab, was wir an Transfererlösen auf der anderen Seite generieren. Es ist sicher so, dass wir keine großen Summen zahlen können.
Mit wie vielen Neuzugängen rechnen Sie?Keller: Ich kann keine Zahl nennen, nur sagen, auf welchen Positionen wir Verstärkungen holen wollen. Wir suchen einen zweiten Linksverteidiger neben Jonas Hector, nachdem uns Jannes Horn verlassen hat. Zudem suchen wir zusätzlich zu Linton Maina noch einen Spieler für Links- beziehungsweise Rechtsaußen. Die dritte Position ist der Sturm. Wir wollen einen Angreifer, der ein ähnliches Profil hat wie Tony. Ich weiß natürlich, dass vor allem Offensivspieler Geld kosten. Daher wird die Suche eine große Herausforderung.
Seit Ihrer Verpflichtung spukt der Begriff Gehaltsobergrenze ums Geißbockheim. Existiert so eine Regelung wirklich?Keller: Nein, es gibt nicht diese ominöse Summe X. Aber grundsätzlich hat doch jeder Klub eine Art Gehaltsobergrenze. Ein Limit, das er zahlen kann. Wichtig ist vor allem, dass wir innerhalb des Gesamt-Budgets eine klare Gehalts-Hierarchie haben.
Erschwert die Ungewissheit, ob es der FC in die Gruppenphase der Conference League schafft, die Personal-Planungen?Keller: Wir werden den Kader auch bei erfolgreichen Playoffs nicht aufstocken, sondern mit einer Kadergröße zwischen 20 bis 24 Feldspielern in die Saison gehen. Wir müssen das über Positions-Flexibilität lösen. Je größer diese ist, desto kleiner können wir den Kader halten. Ich halte ohnehin nichts von zu großen Kadern. Bei 30 Mann gibt es mindestens zehn Spieler, die gar nicht zum Zug kommen. Das ist nicht zielführend.
Christian Keller: Klares Bekenntnis von Steffen Baumgart
In Köln sind sich alle einig: Trainer Steffen Baumgart ist der Vater des neuen Erfolgs. Wann verlängert er?Keller: Steffen hat ein klares Bekenntnis zum FC abgegeben, er sieht seine Zukunft hier. Und ich habe in Vertretung aller FC-Verantwortlichen das klare Bekenntnis abgegeben, dass wir sehr gerne weiter mit ihm arbeiten wollen – auch über die nächste Saison hinaus. Wir haben die Idee des Entwicklungsklubs besprochen. Das ist eine Aufgabe, die Steffen reizt. Er hat Lust, Spieler weiterzuentwickeln und nicht nur mit fertigen Profis zu arbeiten.
Also ist Baumgarts Vertragsverlängerung nur noch Formsache? Keller: Das inhaltliche Bekenntnis ist erst mal das Wichtigste. Die vertraglichen Formalien werden wir jetzt angehen. Für mich ist der Trainer für den sportlichen Erfolg essenziell. Und damit meine ich das gesamte Trainer-Team, nicht nur den Chef. Da sehe ich uns sehr gut aufgestellt.
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Ist ein unbefristeter Trainer-Vertrag ein Thema?Keller: Man sollte sich nie Denkverbote setzen. Wir haben aber besprochen, dass wir den Vertrag zeitlich begrenzen.
Zum Abschluss eine persönliche Frage: Baumgart ist bekennender Whisky- und Schlager-Fan. Wie steht es um Ihre Leidenschaften abseits des Fußballs?Keller: Es ist mir zwar ein bisschen peinlich, aber auch ich mag Schlagermusik (lacht). Zuerst kommt bei mir allerdings Hardrock, zum Beispiel AC/DC. Das war einer meiner seltenen Konzert-Besuche. Ansonsten gibt es für mich momentan nur Fußball und den FC, die meiste Zeit verbringe ich am Geißbockheim. Auch wenn es komisch klingt: Ich bin froh, dass die Saison jetzt vorbei ist, und ich mehr Zeit zum strategischen Arbeiten habe.