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Pfiffe im eigenen StadionDie Auswärtsspiel-Atmosphäre hatte Deutschland selbst zu verantworten

Deutschlands Ilkay Gündogan greift sich nach dem Spiel an den Kopf.

Deutschlands Kapitän Ilkay Gündogan wurde beim Länderspiel gegen die Türkei am Samstag (18. November 2023) besonders heftig von den türkischen Fans ausgepfiffen.

Die deutsche Nationalmannschaft erlebte beim Länderspiel gegen die Türkei in Berlin eine Auswärtsatmosphäre. Doch ist der DFB es nicht selbst schuld, dass die Unterstützung fehlt? Unser Kommentar zur Lage.

von Marcel Schwamborn  (msw)

Der Aufschrei hält immer noch an. Dass die deutsche Nationalmannschaft am Samstag (18. November 2023) beim Duell gegen die Türkei in Berlin ausgepfiffen wurde und dass das Stadion fest in türkischer Hand war, ist für viele ein Skandal und nicht hinnehmbar. Schnell waren Politiker zur Stelle, die dieses Spiel als einen Beleg für die Defizite in der Integrationspolitik sahen.

Mit 72.592 Fans war das Olympiastadion ausverkauft. Der DFB hatte sich bewusst dafür entschieden, das emotionale Duell in Berlin steigen zu lassen. Bei über 110.000 Personen mit türkischer Staatsangehörigkeit in der Stadt war die Wahrscheinlichkeit auf ein volles Stadion und klingelnden Kassen hoch.

Schauspieler Heiner Lauterbach lässt nach Türkei-Länderspiel Frust ab

Schauspieler Heiner Lauterbach (70) brachte dies mächtig auf die Palme. „Ist das Doofheit vom DFB, aus diesem Heimspiel ein Auswärtsspiel zu machen? Ich glaube nicht. Es soll wohl eine Geste der Fairness sein, oder der Großzügigkeit. Ähnlich wie unsere Regierung, die ja auch sehr großzügig mit unseren Steuergeldern umgeht“, motzte er bei Facebook.

Alles zum Thema Rudi Völler

Dabei sind Deutschlands Fußball-Fans selbst dafür verantwortlich, dass aus dem Heim- ein Auswärtsspiel wurde. In Dortmund wäre die emotionale Verteilung nicht viel anders ausgefallen. Der Schwarz-Rot-Gold-Sympathisant hat sich längst in die Nörgel-Ecke verzogen. Während viele ihren Verein mit Leidenschaft unterstützen und zu jedem Spiel durch die Republik reisen, macht sich bei Länderspielen weiterhin viel Gleichgültigkeit breit.

Dieser Entfremdung von der Nationalmannschaft wollte der DFB unter anderem mit Publikumsliebling Rudi Völler (63) als Sportdirektor und Julian Nagelsmann (36) als Bundestrainer entgegenwirken. Nahbarer ist die Auswahl-Truppe dadurch nicht geworden. Und letztlich muss der Funke vom Platz auf die Tribüne überspringen.

Türkeis Torwart Altay Bayindir (M) und sein Team jubeln nach dem Schlusspfiff über den 3:2-Sieg.

Die türkischen Spieler flippten bei ihren Treffern regelrecht aus und lebten das Duell in Berlin samt Reservisten richtig mit.

Und da zeigte sich am Samstag auch ein Unterschied. Während die türkischen Spieler im Freundschaftsspiel jede gelungene Aktion bejubelten, als würde gerade ein Turnier-Finale stattfinden, herrscht bei der deutschen Auswahl doch eher Gleichgültigkeit.

Die meisten Spieler verkrümeln sich nach den Spielen lieber wortlos in den Bus. Mit Thomas Müller stellte sich ein Akteur der Öffentlichkeit, der zuvor gar nicht gespielt hatte. Dass nicht nominierte Nationalspieler wie Nico Schlotterbeck (23) oder Marius Wolf (28) zeitgleich lieber zum MMA-Event in Köln fahren, statt ihre Kollegen zu beobachten, passt ins Bild.

Schon der Bundestrainer hatte nach der 2:3-Niederlage ein klares Urteil gefällt: „Die Taktik ist zweitrangig, es ist immer erst die Emotion. Einige haben nicht das Emotionalitätsniveau erreicht, um an ihre Grenzen zu gehen“, klagte er sieben Monate vor dem Heim-Turnier. Eine Bankrotterklärung für einige hoch veranlagte Stars.

Weltmeister Miroslav Klose (45) schlug im „Kicker“ in die gleiche Kerbe. „Die Grundsatzfragen für die letzten 10, 15 Prozent sind: Wie sehr ist jeder Spieler für den anderen da, wie sehr stellt jeder sein Ego hintenan? Was war bei uns für ein Feuer im Training in Brasilien! Da hat es geknallt.“

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Auch Europameister Stefan Kuntz (61) erwartet „Leidenschaft, Laufbereitschaft, Identifikation, Emotionalität“. Den Rückhalt des Publikums erhalte die DFB-Elf nur, „indem du die Menschen wieder packst, indem du ihnen genau diese Emotionalität oder die Identifikation mit der Nationalmannschaft und diesem Spiel klar aufzeigst“.

Mirolav Klose und Stefan Kuntz fordern mehr Emotionalität beim Team

Genau daran hapert es aber schon seit Jahren, wenn die Einzelkönner das Nationalmannschafts-Trikot überziehen. Marokko und Argentinien bei der WM oder nun die Türkei in Berlin haben vorgemacht, was mit Zusammenhalt möglich ist.

Wenn dieser beim deutschen Team samt Fans nicht mehr gegeben ist, muss sich auch niemand über die Auswärtsspiel-Atmosphäre beschweren. Deutschland hätte die Chance gehabt, für eine andere Stimmung in Berlin zu sorgen.

In Wien dürfte sich die Situation am Dienstag wiederholen. Österreich läuft, wenn es gegen die „Piefkes“ geht, auch immer zur Hochform auf. „Ich hoffe, dass sich die Spieler wieder darauf besinnen, dass sie die deutsche Nationalelf verkörpern“, fordert Klose. Nagelsmanns Truppe hat die Chance, das Stadium zum Verstummen zu bringen.