Nach dem legendären ZoffUli Hoeneß überraschte Christoph Daum am Telefon
Köln – Am 26. September 2000 erschien in der Münchner Abendzeitung ein Interview mit Bayern-Manager Uli Hoeneß (68), das einen der größten Skandale der Bundesliga-Geschichte ins Rollen bringen sollte. „Der DFB kann doch keine Aktion `Keine Macht den Drogen` starten, und Herr Daum hat vielleicht damit etwas zu tun“, sagte Hoeneß. Auch das Zitat des „verschnupften Daums“ rückte den Bayer-Chefcoach in die Rolle eines Kokain-Konsumenten.
In seiner Autobiographie „Immer am Limit“ erzählt Daum von der überraschenden Versöhnung mit seinem Münchner Intimfeind.
„Hallo Christoph, hier ist Uli Hoeneß.“ Mir fällt fast der Hörer aus der Hand. Meine Augen suchen instinktiv die Wände in meinem Büro ab, rechts und links ist nichts, selbst an der Decke finde ich keine versteckte Kamera. Alles sauber. Trotzdem frage ich mich: Ist das etwa einer dieser Scherzanrufe, so wie man sie aus dem Radio kennt? Und was zum Teufel hat Micha damit zu tun? Ich lege mein Handy auf den Schreibtisch und stelle auf Lautsprecher.
„Ich würde gerne mal mit dir über ein paar Dinge reden“, sagt Uli. Er ist es wirklich. Wie lange hatte ich auf dieses Gespräch gewartet? Natürlich verspürte ich in all den Jahren immer mal wieder den Reiz, Uli einfach anzurufen. Ich fragte mich, wie er reagieren würde. Unsere früheren Auseinandersetzungen spielten für mich längst keine Rolle mehr. Dennoch verwarf ich den Gedanken jedes Mal wieder, weil ich befürchtete, dass er gleich wieder auflegen würde.
Christoph Daum wollte kein Versöhnungstreffen für die Medien
Auch die ganzen Anfragen der Medien lehnte ich ab. Sogar der Playboy wollte mal eine Art Versöhnungstreffen zwischen Uli und mir arrangieren, aber das wäre eine reine Inszenierung gewesen. Ich wollte keine PR-Nummer. Wenn überhaupt, war es eine persönliche Angelegenheit zwischen Uli und mir. Trotz unserer nicht gerade einfachen Vorgeschichte verspürte ich nullkommanull Genugtuung, als die Steuersache aufflog. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ich Anfang 2013 mit einem Kaffee in unserer Küche saß, als mich ein Münchner Journalist anrief. Er klang ganz hektisch. „Haben Sie das mitgekriegt?! Uli Hoeneß hat eine Selbstanzeige wegen Steuerhinterziehung eingereicht! Was sagen Sie dazu?!“ Ich sagte gar nichts dazu.
Ich konnte es nicht glauben. Um mich zu vergewissern, rief ich ein paar Leute aus dem Umfeld von Bayern München an. Ob das alles wahr sei, wollte ich wissen. Ich kam mir vor wie in einem Spielfilm, und je länger der Film dauerte, desto weniger begriff ich es. Es war unfassbar. Sogar Angela Merkel hatte sich mit Uli zum Essen getroffen, und jetzt sollte er vor Gericht? Es war wirklich kaum zu glauben. Uli steuerte auf das dunkelste Kapitel seines Lebens zu.
Wer hätte das besser nachempfinden können als ich? Ich ahnte, was auf ihn zukommen würde, wie er sich fühlen musste. Uli selbst konnte sich wehren, aber seine Familie, seine Kinder und Enkelkinder, die konnten das nicht. Uli hatte auf dem Fußballgipfel gestanden, er hatte fast alles erreicht, die Fallhöhe hätte für ihn kaum größer sein können. Reiner Calmund hat lange nach meiner Trennung von Bayer mal gesagt, dass ich vom Olymp in die Hölle abgestürzt sei. Genauso war es auch bei Uli.
„Ich empfand keine Schadenfreude oder Häme für Uli Hoeneß“
Nachdem das Gerichtsurteil gefällt war, klingelte mein Telefon pausenlos. Alle möglichen Journalisten wollten ein Statement von mir haben. Ich sagte nie etwas Schlechtes, ich empfand nicht die geringste Schadenfreude oder Häme. Ich drückte mein Mitgefühl mit ihm aus, und ich fühlte das wirklich so. Es spielte überhaupt keine Rolle, ob ich ihn für meinen besten Freund hielt oder nicht und was zwischen uns gewesen ist. Weil es nichts war im Vergleich zu dem, was er nun aushalten musste. Ich überlegte sogar, ihn im Gefängnis zu besuchen oder ihn zumindest anzurufen. Aber auch darauf verzichtete ich. Ich wäre vermutlich der Letzte gewesen, dessen Stimme er hätte hören wollen. Und versuchen Sie mal, Uli Hoeneß anzurufen, den erreicht man nicht einfach so, also ich zumindest nicht.
„Christoph, ich weiß, dass du vermutlich nicht mit meinem Anruf gerechnet hast“, sagt Uli.
„Kann man so sagen.“
„Aber es ist mir wichtig, mich persönlich zu bedanken.“
„Bedanken? Wofür willst du dich denn bedanken?“
„Ich habe alles gelesen, was über mich gesagt wurde.“
„Kann ich mir gut vorstellen.“
„Du hättest über mich herziehen oder nachtreten können, hast das aber nie gemacht. Ich weiß das wirklich sehr zu schätzen.“
Seine Stimme klingt ungewöhnlich ruhig. Uli hört sich nachdenklich und in sich gekehrt an. So kenne ich ihn gar nicht. Auch wenn es nicht so scheint, Uli und ich sind uns in manchen Dingen recht ähnlich. Wir sind impulsiv und oft getrieben von Emotionen. Wir sind beide nicht auf den Mund gefallen. Und wir können ziemlich hartnäckig sein, wenn wir von einer Sache hundertprozentig überzeugt sind. Vielleicht ist auch genau das der Grund dafür, warum wir uns jahrelang so leidenschaftlich gestritten haben. Wer weiß das schon.
Michael Reschke regte das Telefonat an
Uli ist seit ein paar Wochen Freigänger, er arbeitet tagsüber in der Jugendabteilung des FC Bayern. Der Club, der ihm fast alles zu verdanken hat, gibt ihm etwas zurück. Lange nach diesem Telefonat erzählte Michael Reschke mir mal, dass er in dieser Zeit fast jeden Tag mit Uli auf dem Gelände des FC Bayern gefrühstückt habe. Irgendwann habe Uli ihn dann auf seine gemeinsame Zeit mit mir angesprochen, damals bei Bayer Leverkusen. „Uli, wenn du den Christoph anrufst, würde ihm das sicher viel bedeuten“, meinte Micha eines Tages.
Uli erzählt mir jetzt, dass er sich alles aufgeschrieben habe, was die Leute über ihn erzählten. Es gab nicht viele Menschen, die noch gut über ihn sprachen, nachdem die Sache aufgeflogen war. Einige hochrangige Politiker kritisierten ihn zum Teil scharf, man jagte ihn durchs Fegefeuer. Ich weiß genau, wie heiß die Flammen werden können. „Uli, egal, was zwischen uns war: Mir ist klar, was du mit deiner Familie durchgemacht hast“, sage ich.
„Trotzdem hätte ich verstanden, wenn du mich kritisiert hättest. Ich war auch nie zimperlich mit dir.“ Wir telefonieren mehr als eine halbe Stunde. Wir reden über uns und unsere Leben, wir beide, die Lieblingsfeinde. Ich glaube, dass es ihm tatsächlich ein Anliegen ist, mit mir zu reden. Er ist einfühlsam und zurückhaltend, gleichzeitig bringt er zum Ausdruck, dass er mir dankbar ist. Und das ist wahrscheinlich das, was mich am meisten überrascht: dass er sich einfach nicht wie der Uli Hoeneß anhört, den ich kenne. Ich vergesse sogar, mir Gesprächsnotizen zu machen. Eigentlich passiert mir das nie.
Als ich auflege, bin ich immer noch irritiert. An der kleinen Kaffeemaschine in meinem Büro ziehe ich mir einen Espresso, den ich nicht trinke. Meinte er es wirklich ehrlich? Ich glaube schon. Ich freue mich darüber, dass er mich angerufen hat. Wir haben uns mit allen Mitteln bekämpft, weil wir immer das Beste wollten. Wir sind teilweise über das Ziel hinausgeschossen, weil vor allem eine Sache zählte: unser Verein. Nichts anderes hat uns stärker angetrieben. Das Streben nach Erfolg war der Ursprung, der Beginn von allem, was zwischen uns war. Jetzt ist unser Spiel abgepfiffen. Wir haben miteinander geredet, und es fühlt sich richtig an. Trotz aller Unterschiedlichkeiten und gegensätzlichen Meinungen lohnt es sich immer, miteinander statt übereinander zu sprechen. Wir haben eine erste Brücke über den Graben gebaut, der uns trennt. Das nächste Mal werde ich ihn anrufen …
Wir hatten unsere Zeit, und ich bin froh, dass sie ein versöhnliches Ende findet. Irgendwie passt es ja auch: Alles geht vorbei. Und es kann alles gut werden. Man muss nur einmal mehr aufstehen als hinfallen. Wer wüsste das besser als ich?