„Lage hat sich nicht gebessert“Debatte um Katar: Fan-Vertreter machen WM-Druck auf DFB-Spieler

Die Nationalspieler sitzen bei einem Vortrag und hören zu.

Joshua Kimmich und Timo Werner lauschen den Vorträgen im DFB-Trainingslager in Herzogenaurach am 1. Juni 2022.

Der DFB setzt seine Informationsreihe zum WM-Gastgeberland Katar fort. In Herzogenaurach hörten sich die Nationalspieler die Meinungen verschiedener Interessengruppen an.

von Marcel Schwamborn (msw)

Die Nationalspieler müssen in diesen Tagen gleich mehrfach den richtigen Spagat hinbekommen. Während die meisten Kollegen (und auch viele Fans) gedanklich schon im Urlaub sind, warten auf die DFB-Stars noch vier knackige Länderspiele.

Der Viererpack, den Hansi Flick (57) mit seiner Mannschaft bewältigen muss, läuft im umstrittenen Nations-League-Wettbewerb. Doch schon jetzt kreist auch die bevorstehende Weltmeisterschaft in Katar in den Köpfen herum. Das wurde auch am Mittwoch (1. Juni 2022) im Team-Quartier mehr als deutlich.

Nach dem Training ging es für Hansi Flick und das Team zur Katar-Debatte

Erst bat der Bundestrainer zu 100 knackigen Trainingsminuten auf den Platz in Herzogenaurach. Flick tüftelte weiter an seiner bereits in Marbella erprobten Startelf herum. Diesmal durfte Kai Havertz (22) für Thomas Müller (32) im Zentrum beginnen. Angesichts von vier Spielen binnen elf Tagen hatte Flick ohnehin schon angekündigt, die komplette Breite seines Kaders zu nutzen.

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Frisch geduscht ging es für die Spieler anschließend in den Saal „Halftime“ des Ausrüsters zum sogenannten Dialogforum. In großer Runde wurde über WM-Gastgeberland Katar und die dortige Menschenrechtslage diskutiert.

Im Fokus stand vor allem die Lage für die LGBTQ-Gemeinschaft. Und dabei waren die geladenen Referenten durchaus nicht immer einer Meinung. „Es gibt nicht diese eine Wahrheit“, resümierte DFB-Direktor Oliver Bierhoff (54) am Ende. Umso wichtiger sei, „dass wir uns damit beschäftigen, Position beziehen“.

Der aus den USA per Video zugeschaltete Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger (40), inzwischen als DFB-Botschafter für Vielfalt aktiv, bezeichnete die Situation als „schwierig“. „Ich glaube nicht, dass der DFB und andere Verbände das Land verändern können in den wenigen Wochen, in denen sie dort präsent sind.“ Sein Rat: „Ich würde an die Spieler appellieren, nur über die Dinge zu reden, über die sie Bescheid wissen. Es ist völlig legitim zu sagen: Ich weiß es nicht – vor allem, wenn die WM läuft“.

FIFA-Sicherheitsdirektor Helmut Spahn (61) kam zu der Erkenntnis: „Die Entwicklung, die das Land genommen hat, stimmt uns positiv“. Ein Boykott der WM sei daher nicht sinnvoll. „Etwas zu boykottieren, stärkt genau die, die zu alten Systemen zurückwollen. Das ist der falsche Weg“.

Thomas Hitzlsperger spricht per Videoschalte zu den Nationalspielern.

Aus Boston war Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger zugeschaltet, um den Spielern beim Dialogforum am 1. Juni 2022 seine Einschätzung mitzuteilen.

Die anwesenden Fan-Vertreter widersprachen dem allerdings vehement. „Die Lage hat sich nicht gebessert. Es gibt keine Redefreiheit, keine Menschenrechte“, sagte Martin Endemann (Football Supporters Europe). Christian Rudolph, der Leiter der DFB-Anlaufstelle für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt, verwies darauf, dass Homosexualität in Katar unter Strafe stehe. „Das empfinde ich als Drohung“, sagte er. Wenn Dinge wie „Händchen halten, wie man das im Urlaub macht, wenn das schon unter Strafe steht – das gibt kein Sicherheitsgefühl, definitiv nicht“.

Fan-Bitte an Manuel Neuer: „Bitte lauf' mit Regenbogenbinde auf“

Von den Fan-Vertretern auf dem Podium wurde deshalb beispielsweise wieder Kapitän Manuel Neuer (36) angesprochen. „Ich würde mir wünschen, dass ihr bei der WM auch wieder mit der Regenbogenbinde auflauft“, sagte Pia Mann von Discover Football, die sich für Frauenrechte einsetzt, „das sind symbolische Zeichen, aber die machen viel aus!“ Sie würde sich nicht sicher fühlen, mit ihrer Partnerin nach Katar zu reisen.

Bierhoff nahm diese Dinge interessiert auf und sparte auch nicht mit Kritik am WM-Land. „Es reicht in vielen Dingen nicht, es hapert an vielen Stellen.“ Es gebe „verschiedene Klassen von Menschen, die teilweise sehr isoliert voneinander leben. Die Menschen dritter oder vierter Klasse siehst du gar nicht, die leben am Rande“. Der Umgang mit dem Turnier bleibt schwierig.