Der SC Magdeburg hat sich zum zweiten Mal den Champions-League-Sieg im Handball gesichert. Beim Spiel gegen Industria Kielce kam es auf der Tribüne der Lanxess-Arena zu einem Notfall, ein Journalist verstarb.
Champions LeagueTodes-Drama in Köln – Magdeburgs Trainer wollte Finale abbrechen
Das Todes-Drama bei Magdeburgs Triumph in der Handball-Champions League gegen Kielce. Trainer Bennet Wiegert (41) war am Sonntagabend (18. Juni 2023) gerade auf dem Weg zur Pressekonferenz in der Lanxess-Arena, als er die schlimme Nachricht erhielt. Auf der Tribüne dokumentierten mehrere Polizisten noch einmal den Ort des Geschehens.
Der polnische Journalist, der in der 47. Minute auf der Medientribüne kollabiert war, ist im Krankenhaus verstorben. Die Wiederbelebungsversuche blieben erfolglos. Die Nachricht hatte die Turnierorganisation kurz nach der Siegerehrung erreicht. Sofort wurden das Mediengespräch sowie weitere für den Abend geplante Aktivitäten abgesagt, die Reporter legten eine Schweigeminute ein, im Medien-Center flossen viele Tränen.
Magdeburgs Trainer Wiegert: „Es tut mir unheimlich leid“
Wiegert berichtete, dass er wegen des Notfalls bereit gewesen, das Endspiel abzubrechen. „Ich bin zu Talant (Kielce-Trainer Duschebajew, d. Red.) gegangen und habe gesagt: Lass' uns das Spiel beenden. Es gibt wichtigere Sachen im Sport. Wir nehmen das Resultat und ihr seid Champions-League-Sieger“.
„Was jetzt hier passiert ist, da sieht man wieder, wie nah doch Glück und Trauer beieinander liegen, wie das Leben so spielt“, sagte Wiegert und ergänzte: „Ich gehe mit allem, was jetzt hier passiert, total demütig um. Und es tut mir unheimlich leid. Meine Trauer, mein Beileid ist bei dem verstorbenen Journalisten aus Kielce. Es tut mir unheimlich leid. Mehr kann ich dazu nicht sagen.“
Der 51-jährige Pawel Kotwica war ein ständiger Begleiter des Teams aus Kielce. Er arbeitete 30 Jahre für die polnische Regionalzeitung Echo Dnia, besuchte jedes Heim- und Auswärtsspiel, war deshalb Spielern, Trainern und Verantwortlichen gut bekannt.
Der polnische Meister postete ein Foto und drückte seine Trauer aus: „Pawel, wir werden hierher zurückkommen und gewinnen, aber niemand wird dich uns zurückgeben.“ Auch die Lanxess-Arena schrieb: „Unsere Gedanken sind bei seiner Familie, seinen Freunden und Verwandten.“
Sehen Sie hier den Instagram-Post von Industria Kielce:
Ein herausragendes Finale rückte deshalb in den Hintergrund. Der SC Magdeburg hat sich zum zweiten Mal nach dem historischen Titel 2002 den Handball-Champions-League-Titel gesichert. „Die Nummer eins der Welt sind wir“, sangen die Fans begeistert. Insgesamt kassiert der Verein für die gesamte Saison in der Königsklasse eine Million Euro.
Gegen den polnischen Meister Industria Kielce gewann Wiegerts Team vor 19.750 Fans das Final4-Turnier. 30:29 (26:26, 13:15) hieß es nach Verlängerung für das deutsche Team, das zwischendurch schon klar zurücklag. „Es ist unwirklich. Wir haben alle davon geträumt“, sagte Magdeburgs Coach im TV, bevor er die Schock-Nachricht erhielt.
„Was diese Mannschaft über die gesamte Saison geleistet hat, werde ich nie begreifen. Das ist unfassbar.“ Im Moment des Erfolges war er, der schon beim ersten Triumph vor 21 Jahren als Spieler dabei war, auf die Tribüne zu seiner Familie geeilt. „Es ist neben der Mannschaft das Wichtigste, was ich auf der Welt habe. Ich kann nur Tausend Dank sagen“.
SC Magdeburg: Gisli Kristjansson feiert Gänsehaut-Comeback
Magdeburg erwischte einen 4:1-Traumstart ins Finale. Doch Kielce drehte die Partie dank der Tore von Trainer-Sohn Alex Dujshebaev (30) und der Paraden von Nationaltorwart Andreas Wolff (32) in eine 15:13-Halbzeit-Führung. Aber Magdeburg hatte auch noch einen Gänsehaut-Faktor auf Lager.
Am Samstag hatte sich Rückraum-Ass Gisli Kristjansson (23) bei seinem Comeback nach Knöchelbruch gegen Barcelona die Schulter ausgekugelt. Nachdem anschließend von einer monatelangen Pause die Rede war, war er überraschend am Sonntag doch dabei. „Für mich war er raus, ich habe nicht damit gerechnet“, gestand SCM-Coach Wiegert.
„Ich habe mit den Ärzten gesprochen, wie ein Worst-Case-Szenario aussehen könnte. Mir wurde gesagt: Schlimmer als die eh anstehende Operation kann es nicht kommen. Wenn er den Schmerz tolerieren kann, dann darf ich ihm nicht die Chance nehmen, das größte Spiel seiner Karriere zu spielen.“
In der 18. Minute war es so weit: Der Isländer kam erstmals ins Spiel – und traf direkt. Insgesamt erzielte der Spielmacher sechs Tore. Diese Willensleistung übertrug sich auf sein Team. Zu Recht wurde er dafür als wertvollster Spieler des Finales ausgezeichnet.
Die frenetischen Fans des polnischen Meisters hatten sich am Sonntag zu Hunderten auf der Domplatte getroffen, um sich auf das Finale einzustimmen. Tags zuvor hatte Kielces Trainer-Legende Talant Dujshebaev (55) sein Team in der Kabine noch ordentlich zusammengestaucht. Mit der Leistung beim knappen Halbfinal-Sieg gegen Paris war er nicht einverstanden.
Zwischenzeitlich lag sein Team sogar mit vier Treffern in Front (18:14), doch dann kam es zum tragischen Ereignis. Beim Stand von 22:20 für die Polen kam es dann in der Begegnung 12:20 Minuten vor dem regulären Spielende zum dramatischen Zwischenfall.
Plötzlich gaben mehrere Reporter in der dritten Reihe im Block 214 hektische Zeichen. Ein Kollege war zusammengesackt und lag unter der Tischreihe. Kielces Coach erkannte die Situation als einer der Ersten und signalisierten den Unparteiischen, dass sie die Partie unterbrechen sollen.
Reporter war auf Pressetribüne kollabiert – 13 Minuten Unterbrechung
Sofort kehrte Ruhe in der Lanxess-Arena ein, Helfer spannten auf der Tribüne Tücher als Sichtschutz, ein Notarzt leistete Erste Hilfe. Der Hallensprecher bat um Verständnis beim Publikum. Nach der Erstversorgung wurde der polnische Journalist in die Katakomben gebracht, begleitet von aufmunterndem Applaus.
Magdeburg kam nach dem schlimmen Zwischenfall und der 13-minütigen Pause besser zurück in die Partie und ging plötzlich wieder mit 25:24 in Führung. Am Ende hieß es nach 60 dramatischen Minuten 26:26. Wie schon im Halbfinale am Samstag ging es in die Verlängerung. Und da hatte Magdeburg knapp die Nase vorn. Als Szymon Sicko mit dem letzten Wurf an der Mauer scheiterte, war der Triumph perfekt.
Kielce-Keeper Andreas Wolff: „Ich bin leer, sauer, enttäuscht“
„Ich bin einfach leer, sauer, enttäuscht“, sagte der unterlegene Keeper Wolff, der insgesamt 14 Paraden zeigte. „Größten Respekt an den SCM. Das ist eine fantastische Mannschaft mit einem Riesen-Charakter. Deshalb hat sie, wenn auch knapp, zurecht gewonnen.“
„Was der SC Magdeburg geleistet hat, ist herausragend und ein sportliches Märchen. Egal, welche Rückschläge diese Mannschaft verkraften musste – sie ist immer wieder zurückgekommen“, gratulierte DHB-Boss Andreas Michelmann (63) und stellte fest: „Das war wieder eine Sternstunde für den deutschen Handball.“
Im Spiel um Platz drei hatte sich im Vorfeld der FC Barcelona klar mit 37:31 gegen Paris Saint-Germain behauptet. Aleix Gómez stellte dabei einen neuen Final4-Rekord auf. Der 26-Jährige erzielte seinen insgesamt 70. Treffer bei der Endrunde. Er war schon mit sieben Vereinen in Köln am Start.
Die Endrunde im wichtigsten europäischen Vereinswettbewerb war trotz des Final-Zwischenfalls erneut ein Turnier der Superlative: eine rappelvolle Lanxess-Arena, eine beeindruckende Show, stimmungsvolle und friedliche Fans, perfekte Organisation. Kein Wunder, dass Europas Handball-Boss Michael Wiederer (67) am liebsten dauerhaft im Henkelmännchen bleiben möchte.
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„Die Partnerschaft mit der Stadt und der Lanxess-Arena ist eine hervorragende. Wir werden keine andere Lösung suchen, wenn sie der Sportart nicht dient. Die Leute kommen gerne hierher. Wir werden sie nicht ohne Not nach Island schicken“, sagte er am Sonntag und lobte: „Deutschland ist ein exzellentes Zuschauer-Land.“
Seit 2010 steigt das Saison-Highlight jährlich in Köln. Bisher läuft der Vertrag zwischen der EHF und der Arena bis 2026. Eine Verlängerung wird folgen. „Ich gehe davon aus, dass wir das in den vergangenen Jahren Geschaffene halten und ausbauen können“, sagte der Präsident.
Handball-Verband möchte über 2026 hinaus mit Final4 in Köln bleiben
Ein Umzug in ein Fußball-Stadion, so wie beim Eröffnungsspiel der EM 2024, sei kein Thema. „Für ein einzelnes Event kann man das machen. Für das Final4 der Champions League sehe ich das aber nicht als direktes Ziel“, sagte Wiederer.
Arena-Geschäftsführer Stefan Löcher (52) überreichte daher stolz den Sold-out-Award. „Das ist die Kathedrale des Handballs. Die Arena ist 25 Jahre alt, die Champions League 30. Wir haben die besten Fans, um solch eine Atmosphäre zu kreieren“, sagte er zufrieden.