Die weißrussische Sprinterin Kristina Timanowskaja ist nach ihrer Flucht vor der eigenen Regierung in Europa angekommen, das IOC nimmt derweil die Funktionäre des zwielichtigen NOKs aus Belarus ins Visier.
Olympia-Flucht vor eigener RegierungBelarus-Sprinterin Timanowskaja will neues Leben in Polen
Köln/Tokio. Am Mittwoch gegen 15 Uhr landete Kristina Timanowskaja (24), die nach öffentlichen Entführungsvorwürfen gegen ihre Delegation während der Olympischen Spiele weltweit Bekanntheit erlangt hat, in Wien – von dort aus reiste sie noch am Abend nach Warschau.
Bei der Landung in Wien wurde Kristina Timanowskaja von Staatssekretär Magnus Brunner (49) in Empfang genommen. Brunner bestätigte, dass die Sprinterin die Reise nach Polen fortsetzen werde und die Flugroute aus „Sicherheitsgründen“ geändert worden sei. Timanowskaja ginge es den Umständen entsprechend gut. „Sie macht sich Sorgen um ihre Familie. Sie ist müde, angespannt und nervös, wie die Dinge weitergehen“, so Brunner.
Flucht vor eigener Regierung: Kristina Timanowskaja in Wien gelandet
Das Internationale Olympische Komitee setzte derweil in Tokio eine Disziplinarkommission ein und kündigte an, Leichtathletik-Trainer Juri Moisewitsch und Funktionär Artur Schumak zum Fall Timanowskaja zu befragen. Die Sprinterin hatte aus Angst vor dem Gefängnis in ihrer Heimat die Rückreise verweigert, sie sollte gegen ihren Willen vor dem Start über 200 Meter nach Belarus gebracht werden. Zuflucht hatte sie in der polnischen Botschaft in Tokio gefunden.
Polen hat Timanowskaja ein humanitäres Visum angeboten, das sie annehmen will. „Das polnische Außenministerium hat schon Kontakt mit mir aufgenommen, und auch der Leichtathletik-Verband hat mir Unterstützung zugesagt. Ich hoffe sehr, dass ich in Polen in Sicherheit sein werde“, sagte Timanowskaja der „Bild“. Wie am Mittwochnachmittag bekannt wurde, erhält auch ihr Ehemann ein polnisches Visum.
Ihr Fall hatte einen Skandal ausgelöst, in den sich hochrangige Politiker aus Europa und den Vereinigten Staaten einschalteten. So verurteilten auch Außenminister Heiko Maas in der Rheinischen Post und sein US-Amtskollege Antony Blinken via Twitter das mutmaßliche Vorgehen der belarussischen Delegation. Die deutlichste Kritik kam aus Polen, Timanowskajas neuer Heimat.
Kristina Timanowskaja beginnt in Polen neues Leben
Welche Konsequenzen dem Nationalen Olympischen Komitee aus Belarus drohen, ist ungewiss. Athletenverbände hatten den sofortigen Ausschluss noch während der Spiele in Tokio gefordert. Das IOC hatte das NOK bereits im vergangenen Jahr mit Sanktionen belegt. Staatschef Alexander Lukaschenko musste sein Amt als Vorsitzender abgeben, seinem Sohn und Nachfolger Wiktor verweigert das IOC die Anerkennung. Zudem sind die finanziellen Zuwendungen ausgesetzt.
Timanowskaja hatte als eine von 2000 Sportlerinnen und Sportlern einen Offenen Brief unterzeichnet, in dem Neuwahlen der Regierung und die Freilassung von politischen Gefangenen gefordert wurden. Lukaschenko geht seit der Wahl 2020 mit Polizeigewalt gegen die Demokratiebewegung in seinem Land vor. In Tokio hatte Timanowskaja eine sportliche Entscheidung öffentlich infrage gestellt, die Tragweite hatte sie nach eigener Aussage unterschätzt.
„Von Anfang an ging es mir nicht um Politik. Ich habe nur kritisiert, dass unsere Cheftrainer über das Staffellauf-Team entschieden haben, ohne sich mit den Sportlern zu beraten“, sagte sie. (sid, kos)