Sprung in die LehreFörderprogramm „WeGebAU“ unterstützt ungelernte Hilfsarbeiter

Kunstofftechnik_Lehre

Benjamin Bogenschneider arbeitet bei der Firma Fuchs Kunstofftechnik in Marienheide-Rodt.

Als die Eltern beschließen, dem Leben eine neue Richtung zu geben und sich in Brandenburg eine neue Existenz aufzubauen, bleibt der Sohn zurück in Engelskirchen, Oberbergischer Kreis. „Damit war ich plötzlich auf mich allein gestellt“, sagt Benjamin Bogenschneider. „Und ich musste für alles selbst aufkommen – die Wohnung, das Auto, die Lebensmittel.“ So steigt er nach der Realschule sofort ein ins Berufsleben, heuert an als Produktionshelfer und verdient das erste eigene Geld – ohne Ausbildung.

Heute ist Bogenschneider 23 Jahre alt, und er sagt: „Tagein, tagaus an einer Maschine den Start- und Stopp-Knopf zu drücken, das hat mir irgendwann nicht mehr gereicht.“ Jetzt holt er die Ausbildung nach, als Verfahrensmechaniker für Kunststoff- und Kautschuktechnik möchte er Karriere machen.

Chance ergriffen

Die Chancen stehen gut: Schon in der vergangenen Zeit als Leihkraft war die Firma Fuchs Kunststofftechnik in Marienheide-Rodt (Oberbergischer Kreis) Bogenschneiders Arbeitgeber, heute ist sie sein Ausbildungsbetrieb. „Weiterbildung Geringqualifizierter und beschäftigter älterer Arbeitnehmer in Unternehmen“ – oder kurz: „WeGebAU“ – heißt das Förderprogramm der Bundesagentur für Arbeit, das ungelernten Hilfsarbeitern wie Benjamin Bogenschneider den Sprung in eine Ausbildung ermöglicht, sofern der Arbeitgeber mitspielt. Und das tut er: „Wir haben bisher nur die besten Erfahrungen damit gemacht“, betont Geschäftsführer Timo Fuchs. Mit Bogenschneider holt derzeit ebenso Helfer Özgür Turhan, 30 Jahre alt und Vater von zwei Kindern, die Ausbildung zum Verfahrensmechaniker für Kunststoff- und Kautschuktechnik nach. Ein dritter Angestellter steht für die Ausbildung zur Fachkraft im Bereich Lagerlogistik in den Startlöchern.

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Kein Makel

„Wir geben Kollegen eine Chance, die wir in den Jahren zuvor als zuverlässig, talentiert und vor allem als motiviert kennengelernt haben“, sagt Geschäftsführer Fuchs und bekräftigt, dass Leiharbeiter oder Produktionshelfer zu sein, in seiner Firma keinen Makel bedeute. Im Gegenteil: „Diese Kollegen kennen bereits die Arbeitsläufe und die Produktionsprozesse, sie sind mit dem Unternehmen ebenso vertraut wie mit den anderen Mitarbeitern“, schildert André Krell von der Fertigungsleitung. „Sie sind von der ersten Minute an einsetzbar.“ 175 Beschäftigte hat das mittelständische Familienunternehmen Fuchs Kunststofftechnik, zeitweise verstärkt werden sie durch 25 Leiharbeiter. Özgur Turhan ist somit schon seit 2007 im Unternehmen, Benjamin Bogenschneider seit 2009.

Mit dem zweiten Lehrjahr gestartet

Weil sich beide mit ihren Jobs bereits auskennen, hat für sie die Ausbildung 2015 gleich mit dem zweiten Lehrjahr begonnen, hinzu kommt jedoch ein zweiter Tag an der Berufsschule, an dem sie dann Stoff aus dem ersten Lehrjahr nachholen. „Dafür muss man schon mal auf das eine oder andere freie Wochenende verzichten“, sagt Bogenschneider und berichtet zudem vom Lernen am Feierabend. „Und wenn dann noch die Klassenarbeiten anstehen, wird es richtig heftig.“ Da müsse er eben durch. „Aber das will ich ja auch.“ Für seinen Lehrbetrieb bedeutet dies aber, dass Bogenscheider öfter in der Produktion fehlt als die anderen Auszubildenden, doch das nimmt Fuchs gern in Kauf, „zumal bei allen Programmteilnehmern bisher die Leistungen stimmen und sie aus der Berufsschule Bombenzeugnisse mitgebracht haben“.

Unterstützung von der Arbeitsagentur

Als Arbeitgeber erhält Timo Fuchs eine finanzielle Unterstützung durch die Agentur für Arbeit in Höhe von 50 Prozent des jüngsten Netto-Lohns seines Beschäftigten vor Beginn der Umschulung. Darüber hinaus trägt die Arbeitsagentur die Kosten für die Fahrten zur Berufsschule. Die „WeGebAU“-Teilnehmer behalten derweil das gewohnte Gehalt. „Dieser Weg ist für uns ein Mittel gegen den Fachkräftemangel, den wir deutlich spüren“, sagt Fuchs mit Blick auf die ersten Beschäftigten, die das 1964 gegründete Unternehmen in den Ruhestand entlässt. „Wir brauchen also Personal.“ Und das rekrutiere er am liebsten aus dem vertrauten Mitarbeiterstamm. „Viele Unternehmen inserieren lieber bundesweit, wenn sie Arbeitskräfte suchen, weil sie die Bürokratie scheuen“, berichtet der Geschäftsführer. „Dabei klappt die Umsetzung von ,WeGebAU’ ruckzuck, viel Schreibkram gibt es nicht.“

Weit reichende Automatisierung

Gleichzeitig verweist der Unternehmer auf das Fortschreiten der Technik und die immer weiter reichende Automatisierung in den Produktionsprozessen. „Wir reden doch heute schon von der Industrie 4.0, aber die geeigneten Arbeitnehmer fehlen uns dafür noch.“ So müsse sich der Verfahrensmechaniker für Kunststoff- und Kautschuktechnik viel stärker auf Veränderungen in seinem Beruf vorbereiten. „Denn der hat mit dem Kunststoff-Formgeber von damals nichts mehr zu tun.“ Benjamin Bogenschneider aber stört derweil eine Sache am „WeGebAU“-Programm: „Warum heißt es in der Bezeichnung ,älterer Arbeitnehmer‘?“, fragt er – wohlwissend, dass es vielen jungen Leuten heute so geht wie ihm einst. „Dabei hat man in der Zukunft als unqualifizierter Hilfsarbeiter auf dem Arbeitsmarkt sicherlich keine Chance mehr.“

Förderprogramm

Hilfe für Geringqualifizierte

Weiterbildung Geringqualifizierter und beschäftigter älterer Arbeitnehmer in Unternehmen“ gibt es seit dem Jahr 2006, seither stehen dafür zusätzliche Geldmittel im Haushalt der Bundesagentur für Arbeit zur Verfügung. Der Name des Programms indes ist irreführend: Es besteht keine Altersbeschränkung oder ein Mindestalter für die Teilnahme. Zielgruppen des Programms sind geringqualifi zierte Kräfte und Beschäftigte in kleinen und mittleren Unternehmen mit weniger als 250 Mitarbeitern. Um die Risiken sowohl für die Arbeitgeber als auch für den Arbeitnehmer zu reduzieren, gibt es vorab einen Eignungstest, bei dem der Bewerber Fragen zum angestrebten Beruf beantworten muss.

Derzeit nehmen 35 Neu-Auszubildende im Oberbergischen Kreis dieses Angebot in Anspruch. Insgesamt sind es zurzeit rund 30 Unternehmen, die Mitarbeitern diese Chance bieten und damit versuchen, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Ansprechpartner für den Bezirk Oberberg bei der Agentur für Arbeit ist Qualifizierungsberater Michael Krcmar(02261/30 41 03). Mehr dazu unter der Rubrik Unternehmen/Finanzielle Hilfen/Weiterbildung auf www.arbeitsagentur.de