Im zarten Alter von 16 Jahren hat „The Only Naomy“ mit Drag angefangen. Inzwischen wohnt sie seit mehreren Jahren in Köln – und weiß ganz genau, warum sie die Stadt so liebt.
DragqueenWas Köln so einzigartig macht: „Das hast du in anderen Städten nicht“
„Diese Offenheit hat keine andere Stadt.“ Das sagte die Kölner Dragqueen „The Only Naomy“ (24) einst im Interview mit EXPRESS.de. Wir wollten es jetzt noch einmal genauer wissen.
Was unterscheidet Köln eigentlich von anderen (Groß-) Städten? Ist es wirklich die ganze Stadt oder sind es am Ende nur die queeren Hotspots?
„Die Kölnerinnen und Kölner haben unglaublich viel Charme“
„Köllefornia ist die schönste Stadt am Rhein“, das macht Robin, wie „The Only Naomy“ bürgerlich heißt, direkt klar. Er sagt: „Im Großen und Ganzen stimmt das schon, was über Köln gesagt wird. Es ist eine sauhässliche Stadt, aber die Kölnerinnen und Kölner haben unglaublich viel Charme. Wenn ich mich hier als Drag in eine Bar setzen würde – natürlich hätte ich von jedem die Aufmerksamkeit – würde es keine drei Minuten dauern, bis jemand neben mir steht und sagt ‚hör mal Jung, ich geb dir ein Kölsch aus und dann erzählst du mir mal, was du hier machst‘.“
„Das hast du in anderen Städten nicht so“, meint der Wahl-Kölner, der im Oberbergischen aufgewachsen ist. Für ihn herrsche in der Domstadt eine ganz besondere Mentalität. „Das ist eine Art von Patriotismus, alle finden sich hinterm Dom wieder, eine Stadt, eine Liebe.“
Die Dragqueen werde etwa zu Geburtstagen von 60-jährigen Männern gebucht, um dort Bingo zu machen. Für ihn anfangs auch überraschend: „Am Ende muss ich immer mit allen Fotos machen, weil die stolz zeigen wollen, guck mal, die war bei mir, guck mal, wie schön die aussieht.“ Zudem äußeren die älteren Herrschaften regelmäßig, wie viel Respekt sie vor Naomy hätten, weil sie in hohen Schuhen laufen kann.
Für die 24-Jährige sei Köln „eine super süße kleine Großstadt“, in der sie sich einfach wohlfühlt: „Köln hat eine einzigartige Mischung aus Neugierde, Sensationslust und Hang zum Abgedrehten.“ Naomy vermutet, dass die kölsche Kultur, vorneweg der Kölner Karneval, dabei eine große Rolle spielt.
Dragqueen Naomy findet Berlin zu „extrem in alle Richtungen“
Berlin hingegen sei der Dragqueen schlicht zu „extrem in alle Richtungen“. Dort hätten die Menschen, so ihre Erfahrung, zu sehr ihre Scheuklappen auf. München hält sie dagegen für eine „schöne Stadt“, vermutet aber, dass die Leute dort deutlich konservativer seien als in Köln. Ganz nach dem Motto: „Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht.“
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Bei all dem Lob für unsere Stadt, schlägt die Kölner Dragqueen aber auch kritische Töne an. Sie findet: „Köln ist eine sehr schwule Stadt, aber keine queere Stadt. Weil Köln gegenüber schwulen Männern unglaublich offen ist.“ Lesbische Frauen seien dagegen einfach zu wenig sichtbar. Selbst die bekannte Schaafenstraße, das Bermuda-Dreieck der queeren Community in Köln, bestehe eigentlich nur aus schwulen Bars, stellt Naomy fest.
Naomy wünscht sich beispielsweise, dass in ein paar Jahren auch mehr trans Menschen auf der Schaafenstraße unterwegs sind. „Und dass sie nicht das Gefühl haben, sie sind eine Attraktion.“ Eine Idee wäre, so Naomy, auch explizit queere Partys zu veranstalten, bei denen ausdrücklich alle aus der LGBTQIA+-Community willkommen sind. „Wenn wir Inklusivität schreien, müssen wir auch Inklusivität umsetzen“, betont die Drag-Künstlerin.
Kölner Dragqueen wurde krankenhausreif geschlagen
Eine Ausnahme nennt Naomy allerdings. Heterosexuelle würden in queeren Bars leider nicht selten negativ auffallen. „Auch Frauen sind bei uns schon oft rausgeflogen.“ So regelt die Dragqueen an der „Exile“-Bar hin und wieder den Einlass. „Dann sind die rotzevoll und stehen vorne bei mir und fragen: ‚Sag mal, hast du jetzt einen Penis oder nicht?‘ Dann sage ich, ich bin eine Dragqueen, und dann kommt: ‚Aber Mann oder Frau? Jetzt sag doch mal!‘“
Mittlerweile machen die Betreiber kurzen Prozess. Hören Gäste, egal ob weiblich oder männlich, nicht auf, das Personal derart zu bedrängen, werden sie des Ladens verwiesen.
Naomys Drag-Kollegin „The Only Trashy Gorgeous“, die ebenfalls im „Exile“ arbeitet, sagte EXPRESS.de: „Sobald du einen Schritt von der Schaafenstraße runtergehst, besteht ein Risiko, dass du verprügelt wirst.“ Stimmt Naomy da zu? „Dass ich Anfeindungen erlebe, ist normal für mich. Es ist trauriger Alltag.“
Das Gefühl, dass dies durch das Erstarken der in Teilen als gesichert rechtsextrem eingestuften Partei AfD zugenommen hat, habe die Dragqueen zwar nicht. Dies könne aber auch daran liegen, dass sie sich stark aus öffentlichen Räumen rausgezogen hat. Überall dort, wo sie vermutet, auf Ablehnung zu stoßen. Zur Arbeit fahre sie zum Beispiel nur noch mit dem Uber. Und zwar von Tür zu Tür, im wahrsten Sinne.
Denn vor fast drei Jahren, 2021, mitten in der Corona-Pandemie, ist die Wahl-Kölnerin an Halloween auf dem Nachhauseweg krankenhausreif geschlagen worden. Seitdem fährt Naomy in Drag gar nicht mehr alleine mit der Bahn.
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Für die Kölnerin sei es eine „schmerzhafte Erkenntnis“ gewesen, sagt sie heute. „Du kannst dich nicht so sicher fühlen, wie du es teilweise tust. Du musst wieder zurückgehen, ein bisschen reservierter sein. Die Strecke von der Schaafenstraße bis zum McDonald’s am Rudolfplatz war für mich ganz lange eine Dead-Zone. Es sei denn, ich bin mit zwei, drei Leuten unterwegs.“ Zur Erklärung: Zwischen der Schaafenstraße und dem beschriebenen Fast-Food-Restaurant liegen maximal 100 Meter Fußweg.
„Ihr wisst ganz genau, wie es ist. Eigentlich sitzen wir im selben Boot“
Trotzdem sagt Naomy, die auf der rechten Rheinseite in Köln wohnt: „Wenn ich über den Wiener Platz laufe, wo sämtliche Hautfarben, mit und ohne Kopfbedeckung vertreten sind, löst das in mir kein Gefühl der Unsicherheit aus. Ich fühle mich dann unsicher, wenn ich merke, dass im Blick von Menschen etwas Feindliches steckt. Es macht einen Unterschied, ob jemand nur starrt – oder mich wirklich fies anschaut.“ Denn gestarrt werde immer, wenn sie in Drag unterwegs sei.
In Chorweiler etwa würde sie sich nicht trauen, in Drag rumzulaufen. Bei manchen Leuten sei Naomy einfach „super enttäuscht“, wenn sie ihr etwas Blödes hinterherrufen, weil sie sich jedes Mal denke: „Ihr wisst ganz genau, wie es ist. Eigentlich sitzen wir im selben Boot.“