KommentarHistorische Chance zum EM-Start: Kölle, wir brauchen dich dingender denn je

Deutsche Fans setzen auf dem Fanfest in Köln zu einer La-Ola-Welle an.

Kollektiver Freudentaumel während der WM 2006 beim Public Viewing in Köln – gibt es das zur EM 2024 auch?

Die Stimmung im Land ist nach der Europa-Wahl wohl am Tiefpunkt angekommen. Ist der Riss in der Gesellschaft noch zu kitten? Während der EM haben wir dazu eine historische Chance. Ein Kommentar.

von Niklas Brühl  (nb)

Die Europa-Wahl am vergangenen Sonntag (9. Juni 2024) hat für eine echte Zäsur gesorgt. Die Ampel-Regierung wurde von der Wählerschaft massiv abgestraft, die AfD ist zweitstärkste Kraft, auch besonders gepusht von den Stimmzetteln der 16- bis 24-Jährigen. Der Angriffskrieg von Russland gegen die Ukraine und der immer mit neuen Eskalationen schwellende Nahostkonflikt begleiten uns. Die Corona-Pandemie hat uns über Jahre einiges abverlangt.

Und jetzt steht die EM vor der Tür. Kann bei dem Riss, der unsere Gesellschaft aktuell durchzieht, überhaupt eine gute Stimmung aufkommen? Ja! Und wir Kölnerinnen und Kölner sind jetzt besonders gefragt.

EM 2024 ist eine historische Chance: Kölle, geh' mit gutem Beispiel voran!

Es ist das vierte große Turnier, das bei uns in Deutschland stattfindet. Nach den Weltmeisterschaften 1974 und 2006 sowie der Europameisterschaft 1988 folgt nun die EM 2024. Seit 1974 findet also im Durchschnitt alle 16 bis 17 Jahre ein großes internationales Turnier in den deutschen Stadien statt.

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Im Sommer 2006 war ich zehn Jahre alt. Mein größtes Problem war damals, doppelte Pokémon-Karten möglichst clever zu tauschen oder die Batterien meines Gameboys auf Betrieb zu halten. In 16 bis 17 Jahren, wenn wir dem Vergabe-Durchschnitt folgen, bin ich Mitte 40, führe höchstwahrscheinlich ein komplett anderes Leben als aktuell. Das gilt wohl für uns alle.

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Die EM 2024 im eigenen Land ist ein historisches Großereignis, wie wir es zu Lebzeiten nur ganz selten erleben. Und sie birgt große Chancen – nicht nur fußballerisch erfolgreicher zu werden als die vergangenen Jahre, sondern auch gesellschaftlich. Der Sport hat die Fähigkeit, Menschen unterschiedlichster Herkunft, Demografie oder finanziellem Background zusammenzubringen. Es wird zusammen gefeiert oder zusammen gelitten.

Der Geist des Sommermärchens von 2006 schwingt doch bei uns allen noch ein wenig mit. Wir wollen mitgerissen werden, Tore bejubeln, im Elfmeterschießen mitfiebern. Aber das geht nur, wenn wir den Hass und die Skepsis untereinander mal wieder beiseitelegen. Offenheit, Toleranz, Vielfalt – dafür steht Köln doch in der öffentlichen Wahrnehmung. Nun liegt es an uns, dieses Klischee über diese vier Wochen zu bestätigen.

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Lasst uns den Schweizern unser kölsches Liedgut näherbringen. Den Engländern mit einem Augenzwinkern zeigen, wie man richtig ein Bier zapft. Den Belgiern beweisen, dass Ableger vom Männeken Pis bei uns in Köln nicht in jeder Ecke und an jeglichen Hauswänden zu finden sind.

Die Fußball-EM birgt die Chance, die Gesellschaft wieder ein Stück weit zu vereinen. Heruntergebrochen sind es vielleicht nur 22 Millionäre, die einem Ball hinterherjagen – doch so viel Leidenschaft, Zusammenhalt oder kollektive Glücksgefühle wie beim gemeinsamen Torjubel finden sich vergleichbar ... wann und wo?

Legt das Handy mal weg, genießt das Rudelgucken in der Stadt oder beim privaten Grillabend mal wieder in seiner ursprünglichen Form. Seid lieb zueinander, gebt aufeinander acht.

Wir in Köln sind prädestiniert dafür, mit gutem Beispiel voranzugehen. Und dann wird es ja vielleicht doch so, dass wir in 16 bis 17 Jahren unseren Kindern und Enkelkindern sagen: „Das war ein richtig geiler EM-Sommer.“ Kölle, du wirst dringender gebraucht denn je.