Interview

Annette Eßer und Ingrid KühneDerbe Sprüche und Ignoranz: Rednerinnen mit ehrlichen Einsichten in den Karneval

Die Rednerinnen Annette Eßer und Ingrid Kühne.

Auch wenn viele es nicht glauben wollen: Annette Eßer (l.) und Ingrid Kühne sind seit Jahren befreundet. Mit EXPRESS.de sprachen beide über die Rollen der Frauen im Karneval.

Annette Eßer als „Achnes Kasulke“ sowie Ingrid Kühne sind seit Jahren im Karneval etabliert. Dennoch kämpfen beide Rednerinnen immer noch mit vielen Vorurteilen. EXPRESS.de sprach mit den Powerfrauen.

Seit 19 Jahren steht Annette Eßer in der Type von „Achnes Kasulke“ erfolgreich auf der Bühne. Bei Ingrid Kühne sind es auch schon 15 Jahre. Dennoch kämpfen die beiden Powerfrauen immer noch gegen Vorurteile und so manche Ignoranz an.

EXPRESS.de sprach exklusiv mit den beiden erfolgreichsten Rednerinnen des kölschen Fastelovends über die vielen Steine, die ihnen bis heute in den Weg gelegt werden. Da sind derbe Sprüche von Literaten wie ‚ich hätte dich nicht gebucht, aber ich musste dem Druck meines Vereins nachgeben‘ keine Seltenheit.

Ingrid Kühne hatte schon Probleme, um in den Gürzenich zu kommen

Schaut man sich die Programme der Sitzungen an, fällt sofort die Dominanz der Männer auf, egal ob bei den Bands oder bei den Rednern. Warum trauen sich nicht mehr Frauen auf die Karnevalsbühne?

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Wie beurteilt ihr euren Stellenwert in der Redner-Szene?

Annette Eßer: „Wir geben uns sehr viel Mühe und das ja auch erfolgreich, aber wir werden leider immer noch nicht so richtig wahrgenommen.“

Ingrid Kühne: „Bei mir war damals Jan von Werth die erste Kölner Gesellschaft, die mich gebucht hat. Es folgte die Große Kölner und die Roten Funken. Dagegen stehen Gesellschaften, die noch nicht mal im Ansatz gefragt haben und einfach sagen ‚brauchen wir nicht‘. Es hat sich leider noch nicht sehr viel in Sachen Wahrnehmung von Frauen im Karneval geändert.“

Ingrid Kühne steht auf der Bühne.

Ingrid Kühne steht seit 15 Jahren auf der Bühne. Unter anderem ist sie in der ZDF-Sitzung an Weiberfastnacht zu sehen.

Was ist das für ein Gefühl, nach fast zwei Jahrzehnten auf der Bühne immer noch auf Ignoranz zu stoßen?

Ingrid Kühne: „Es sind ja nicht nur die Vereine. Es fängt ja schon an der Gürzenich-Türe an. Ich habe es gerade erst wieder bei einer Damensitzung erlebt. Mein Mann Ralf geht vor mir ohne Probleme rein und ich werde von der Security festgehalten und soll meine Eintrittskarte zeigen. Auf meinen Hinweis, dass ich einen Auftritt habe, bekam ich die unfreundliche Antwort ‚das kann ja jeder behaupten‘. Als ich es dann endlich geschafft hatte, kam der Einsatzleiter der Securityfirma mir bis in den Künstlerbereich nachgelaufen und schnauzte mich an ‚was war das denn gerade? Geht das nicht freundlicher?‘ Es wäre unmöglich, wie ich mich benehmen würde. In solchen Momenten fehlen einem wirklich die Worte.“

Annette Eßer: „Manchmal wundert man sich wirklich, wenn Leute auf einen zukommen und sagen ‚du bist richtig lustig, aber ich habe noch nie was von dir gehört‘. Da fragt man sich schon, wo die Leute die letzten Jahre waren.“

Annette hatte nach 19 Bühnenjahren jetzt erstmals bei den Blauen Funken einen Auftritt. Woran hat es gelegen?

Annette Eßer: „Ich wurde herzlich von Präsident Björn Griesemann begrüßt und vorgestellt und die Damen im Saal hatten richtig Spaß. Als mich Björn am Ende fragte, wieso ich noch nie vorher da war, konnte ich nur sagen, dass es nicht an mir gelegen habe. Ob es an den Gesellschaften, den Literaten oder am Geschlecht liegt, kann ich nicht genau sagen. Wir sind eine Minderheit und stehen unter genauster Beobachtung. Damit haben unsere Kollegen kein Problem.“

Könnte es daran liegen, dass ihr beiden kein Kölsch sprecht?

Annette Eßer: „Anfangs gab es diesen Vorwurf. Aber Entschuldigung, Guido Cantz kommt aus Köln, spricht kein Kölsch. Bernd Stelter ist aus Unna, Jörg Runge kommt aus Engelskirchen, Marc Metzger ist aus Remagen und Martin Schopps aus Bergisch Gladbach. Das Argument lasse ich einfach nicht gelten. Es ist vollkommen egal, wo jemand herkommt. Es ist nicht die kölsche Sprache, die den Karneval ausmacht, sondern die kölsche Lebensart.“

Die Rednerin Annette Eßer als „Achnes Kasulke“.

Annette Eßer steht seit 19 Jahren in der Type der Putzfrau „Achnes Kasulke“ auf der Bühne.

Schaut man sich die Sitzungsprogramme an, ist es selbstverständlich, dass zwei, manchmal sogar drei oder vier Redner auf der Bühne stehen. Wie sieht das bei Frauen aus?

Ingrid Kühne: „In Köln ist es nicht üblich, dass gleich zwei Rednerinnen in einer Sitzung auftreten. Dieses Tabu haben die Roten Funken glücklicherweise in dieser Session gebrochen, als sie Annette und mich bei der Damensitzung im Gürzenich im Programm hatten. Vier Redner sind kein Problem, aber zwei Frauen sind zu viel fürs Publikum? Da frage ich mich echt, in welchem Jahrhundert leben wir.“

Ist es im Umland genauso schwierig für Rednerinnen?

Ingrid Kühne: „Im Umland ist die Akzeptanz auf jeden Fall größer.“

Annette Eßer: „Hinzu kommt, dass wir sehr oft außerhalb von Köln für unsere erkrankten Kollegen einspringen. (lacht) Wir sind ja viel robuster. In den 19 Jahren, wo ich jetzt unterwegs bin, bin ich nur drei Tage ausgefallen.“

Wurdet ihr schon mal sexuell belästigt?

Ingrid Kühne: „Nein, dafür sind wir nicht schön genug.“

Annette Eßer: „Nein! Das ist ja der Grund, warum ich keine Herrensitzungen mehr mache. Die Männer wollen alles, aber keine Dicke, die redet – die haben sie zu Hause.“

Ingrid, da gab es aber doch mal eine Herrensitzung, wo du fast auf der Bühne blankgezogen hast.

Ingrid Kühne: „Das war bei einer Herrensitzung der Nippeser Bürgerwehr. Mein Mann war Gast und ich wartete hinter der Bühne auf ihn. Plötzlich kam die Nachricht, dass es die Rabaue nicht pünktlich schaffen. Erst waren die Herren noch friedlich und haben gemeinsam gesungen, aber irgendwann wurden sie unruhig. Da guckte mich Präsident Michael Gerhold verzweifelt an und schickte mich auf die Bühne. Ich stand noch nicht ganz auf der Bühne, da riefen die Herren schon ‚ausziehen‘. Ich hab‘ gesagt, dass sie das doch nicht sehen wollen und hab mit Witzen über Frauen weitergemacht. Da schrie so ein Robin Hood wieder ‚ausziehen‘. Ich hab‘ den Herren auf die Bühne geholt und gesagt: ‚Also, ausziehen – du ein Teil, ich ein Teil‘.“

Wie haben die Herren im Saal reagiert?

Ingrid Kühne: „Die haben getobt. Das ging so weit, dass ich nur noch meine Hose und mein Oberteil anhatte. Michael stand an der Seite kurz vorm Kollaps. Mein Oberteil war sehr lang, ich hätte die Hose noch ausziehen können. In dem Moment schrie Michael, dass die Rabaue angekommen seien. Die Herren haben auf den Tischen gestanden und getobt – es war so grandios. Ich bin den Rabauen bis heute dankbar, dass ich meine Hose anbehalten durfte.“

Annette Eßer: „Hätten wir Modelmaße und würden ein bisschen wie Heidi Klum aussehen, wären wir in jeder Sitzung. Witzig sein und gute Reden präsentieren, reicht leider heutzutage nicht aus.“

Wäre ein Wechsel der Type eine Idee?

Annette Esser: „Nein, ich bleibe bei meiner Type und dem Kostüm der dicken Putzfrau. (lacht) Mir kann jeder an den Hintern fassen, ohne dass ich es merke. Ich nehme mich selbst nicht so ernst, ganz im Gegenteil. Es macht mir total Spaß, mich selbst auf die Schippe zu nehmen. Denn dafür steht nach meiner Auffassung der Karneval.“

Ingrid Kühne: „Da ich keine Modelmaße habe, nehmen mir die Frauen Witze über kurvigere Damen nicht übel, sondern lachen darüber. Wäre ich jetzt schlank und würde die gleichen Witze bringen, würden mich die Frauen dafür hassen.“

Annette Eßer und Ingrid Kühne stehen im Foyer.

Annette Eßer und Ingrid Kühne nehmen sich auf der Bühne auch gerne selbst auf die Schippe.

Wie sieht das eigentlich bei Kölns Damengesellschaften aus: Findet ihr da verstärkt statt?

Ingrid Kühne: „Sollte man eigentlich meinen, dass Frauen zusammenhalten. Aber ich wurde zum Beispiel noch nie von den Colombinen gebucht. Und auch beim Format von Agrippinas Töchter, wo man verstärkt mit Frauen auf der Bühne rechnen würde, spielen wir keine Rolle.“

Annette Eßer: „Bei mir ist es genauso. Obwohl unsere Kollegen immer wieder sagen, bucht doch mal die Frauen auf euren Sitzungen, anstatt immer nur die Männer.“

Was muss sich aus eurer Sicht ändern, damit mehr Frauen-Power auf Kölns Karnevalsbühnen ihren Weg findet?

Annette Eßer: „Fairness, neutrales beobachten und mehr Mut von den Gesellschaften. Wir wollen ja gar nicht auf allen Prunksitzungen auf dem Programm stehen, aber bei Damensitzungen würde es schon Sinn machen.“

Ingrid Kühne: „Genau, wir wollen ja gar nicht auf jede große Bühne. Wir spielen kleine Pfarrsitzungen genau so gerne wie große Sitzungen. Gerade die kleinen Formate sorgen ja für die Vielfalt des Karnevals.“

Selbst Kölns Damengesellschaften buchen nur selten Rednerinnen

In der Session zählt für euch nicht nur eine gute Rede im Gepäck zu haben, sondern gegen alle Widrigkeiten gewappnet zu sein.

Ingrid Kühne: „Es ist immer ein Kampf gegen alles. Aber es gibt auch sehr viele, die uns schätzen, die uns buchen und Frauen unterstützen. Wenn wir unseren Job nicht lieben würden, hätten wir bei den ganzen Widrigkeiten schon längst aufgegeben.“

Annette Eßer: „Es gibt viele Baustellen in Sachen Frauen im Kölner Karneval, aber es gibt auch wirklich sehr viele, die uns ihre Wertschätzung schenken und uns unterstützen. Das, was wir beide machen, machen wir mit jeder Menge Leidenschaft. An dieser Stelle ist es uns beiden sehr wichtig zu sagen, dass wir unheimlich dankbar und stolz auf die sind, die uns buchen und die Treue halten.“

Habt ihr Tipps für Frauen, die vielleicht auch den Schritt in den Karneval wagen möchten?

Annette Eßer: „Man braucht auf jeden Fall ein breites Kreuz, viel Durchhaltevermögen und Ohren, die man auf Durchzug schalten kann. Und man muss die Leidenschaft für den Karneval haben. Wer nur den schnellen Euro im Kopf hat, ist ohnehin an der falschen Stelle.“

Ingrid Kühne: „Man braucht ein dickes Fell und eine gewisse Portion Selbstbewusstsein. Wir können zwar schwimmen, aber was nutzt das in einem Haifischbecken. Ich muss jedoch betonen, dass das Haifischbecken NICHT das Publikum ist.“