Düren, der FC, AC MailandMamma mia! Der Kölsche, den die Italiener lieben, wird 80
Köln/Mailand – „Schnellinger. Ausgerechnet Schnellinger.“
Das ist der Satz der Sätze aus dem Spiel der Spiele. Dem Kommentator Ernst Huberty (92) wird man das nie vergessen.
Das Fußball-Drama im Aztekenstadion
Schnellinger, Karl-Heinz. Der Jahrhundert-Held aus dem Jahrhundertspiel, dessen 1:1 in der letzten regulären Minute des WM-Halbfinales Deutschland-Italien (1970) das Tor öffnete zum epischen Drama, das Deutschland 3:4 verlor.
Schnellinger, der Junge aus Düren, die Legende des 1. FC Köln, der kölsche Italiener: Am Sonntag wird er 80!
„Jetz´ hören se op!“, brummt Schnellinger ins Telefon, als wir ihn in seiner Wahlheimat bei Mailand erreichen. Dabei wollten wir ihn nur animieren, doch mal das Kölner Rhein-Energie-Stadion zu besuchen und ein paar Bälle zu schießen: „Ich werde gegen keinen Ball mehr treten.“
Die Karriere des Karl-Heinz Schnellinger
Er hat es ja zur Genüge getan! 1962 Meister mit dem FC, 1963 Wechsel nach Italien, AC Mantua, AS Rom, und schließlich: der große AC Mailand! Mit Milan Meister, Pokalsieger, Europapokalsieger (Pokal und Landesmeister): Schnellinger war ein Champion!
Karl-Heinz Schnellinger war noch nie im Rhein-Energie-Stadion
Zurück nach Köln: dass die Fußball- und FC-Legende das 2004 eröffnete neue Stadion bis heute nicht betreten hat, klingt fast unglaublich. Doch es hat sich nie ergeben, erklärt Schnellinger. Es habe mal die ein oder andere Einladung gegeben, „aber das sollte dann nicht mit viel Unkosten verbunden sein.“
Und schon gar nicht mit Aufwand oder gar Theater, denn das war und ist nicht seine Sache. Auch nicht zum Geburtstag, den er „im engsten Familienkreis“ feiert. Die EXPRESS-Anfrage, ihn mal in Mailand besuchen zu dürfen, lehnt er kategorisch ab: „Nee, nee, lassen Sie mal, das kann ich nicht planen. Ich kümmere mich um meine Familie, das füllt mich aus.“ Der Mann lebt in den Tag und genießt jeden einzelnen, da muss niemand stören.
Familie, das sind seine Dürener Jugendliebe und Ehefrau Uschi, drei Töchter mit Ehemännern und vier Enkel. Sie sind das Leben des Pensionärs Schnellinger, der in Mailand nach seiner Karriere bis zum 67. Lebensjahr als PR-Manager eines Catering-Unternehmens agierte. Mit dem Fußball hat er weitestgehend abgeschlossen.
Deutsches Halbfinal-Drama bei der WM 1970
Dabei hat er sich in den Büchern des Fußballs verewigt. Im Halbfinale der WM 1970 in Mexiko. „Ganz einfach ein Scheiß-Spiel“ sei es 90 Minuten lang gewesen, schimpfte Schnellinger später mal über die Partie. Ihn nervte es meist, wenn er über sein berühmtes Ausgleichstor reden sollte. „Ich hoffe, ihnen fällt was Besseres ein“, sagte er dann mit seinem liebenswert frechen Dürener Mundwerk – wohlwissend dass es dieser Moment war, der ihn zur Legende machte.
Der Rheinländer Schnellinger und Italien: Das war und ist eine emotionale Beziehung. Dass ausgerechnet der Italien-Legionär der deutschen Nationalmannschaft 1970 gegen Italien (vorerst) den Kopf rettete – in dem Moment hatte das gewaltigen Charme.
Gina Lollobrigida nannte Karl-Heinz Schnellinger den schönsten Mann des Fußballs
Dann gab es die Geschichte mit Gina Lollobrigida, einst Italiens Sex-Symbol, die den blonden Abwehr-Beau als schönsten Mann des Fußballs bezeichnete. Ach, winkte Schnellinger damals ab, vielleicht mache die Dame nur PR für ihr Buch.
Und dann kam Schnellinger doch nochmal nach Köln zurück. Davon kann der in Köln lebende Italiener Sante Paolino (66) erzählen, der hier in den 80er Jahren für das italienische Radio arbeitete – und Schnellinger in der Kölner Sporthalle interviewte.
Deutsche und italienische Ehemalige des „Jahrhundertspiels“ waren in Erinnerung des WM-Halbfinals zu einem Freundschaftsspiel in Köln zusammengekommen. „Wir haben das Interview auf italienisch geführt,“ erinnert sich Paolino. In Italien sei er beliebt gewesen, man habe ihn schon mal „Carletto“, also Karlchen genannt. „Man mochte seine Art, wie er als Verteidiger in den Ball grätschte. So hatte er ja auch das berühmte 1:1 gemacht.“
Was hält den Jubilar so fit?
80 Jahre Schnellinger: Düren, FC, Mailand - was für ein Leben! Und der Mann aus dem „Jahrhundertspiel“ klingt am Telefon so, als könne er auch selbst das Jahrhundert schaffen. Was hält ihn so fit? „Meine Vorfahren waren gut beisammen. Ich habe immer gearbeitet und bin immer viel gelaufen“, sagt Schnellinger: „Ich bedanke mich bei meinem Körper, dass er das bis heute alles so gut mitgemacht hat – ansonsten bedanke ich mich bei niemandem.“
Das wünscht Karl-Heinz Schnellinger dem 1. FC Köln
Dass er das Kölner Stadion doch mal betritt, scheint fraglich. Kontakt in die Heimat hat er nämlich kaum noch: „Es ist doch fast keiner mehr übrig geblieben.“ So verfolgt die Klub-Legende das Geschehen aus dem fernen Mailand: „Ich hoffe, dass der FC bald wieder da ist, wo er hin gehört, in der Bundesliga. Es sieht ja ganz gut aus derzeit. Die tollen Kölner Fans haben einfach Erstliga-Fußball verdient. Ich würde gern noch mal vor diesem Publikum spielen.“
Da schlummert er doch noch, der Geist des jungen Fußballers im 80-jährigen Körper Schnellingers. Doch als wir dann nachhaken, da brummelt er so liebenswürdig: „Jetz’ hören se op!“