In zahlreichen deutschen Städten gab es am Wochenende angemeldete, aber auch nicht genehmigte Demonstrationen. In der Politik wächst die Sorge vor einer Radikalisierung von Gegnern staatlicher Maßnahmen zur Corona-Bekämpfung.
Corona-DemosSorge vor Radikalisierung: „Die sind brandgefährlich“
Corona-Leugner, Querdenker und friedliche Demonstranten haben sich am Wochenende deutschlandweit zu Protesten gegen die Corona-Maßnahmen zusammengefunden. Dabei kam es auch zu Ausschreitungen, wie die Polizei mitteilte.
Nach Polizeiangaben wurden in Greiz in Thüringen 14 Beamte verletzt, in Bennewitz bei Leipzig seien Polizisten und auch Journalisten tätlich angegriffen worden. Auch aus Reutlingen in Baden-Württemberg und dem thüringischen Gotha wurden gewaltsame Auswüchse gemeldet.
NRW-Innenminister Reul: „Die sind brandgefährlich“
Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul äußerte sich am Sonntagabend besorgt über den extremistischen Teil der Protestierenden. „Die sind brandgefährlich, weil sie mittlerweile nicht nur reden, schwätzen, sich gegenseitig hochstacheln, sondern auch zu Taten schreiten“, sagte der CDU-Politiker in der „Bild“-Sendung „Die richtigen Fragen“. Rechtsextremisten würden die Proteste zunehmend für ihre Zwecke missbrauchen. Es seien zunehmend „demokratiefeindliche Töne, verfassungswidrige Töne“ dabei. Das mache ihm große Sorgen. Deshalb könne er allen Demokraten nur raten, „dass wir gemeinsam sagen: Jetzt ist Schluss, hier gibt es eine Grenze.“
Auch Thüringens Innenminister Georg Maier mahnte im „Bild“-Talk: „Da müssen wir als Gesellschaft eine ganz klare Sprache finden.“ Eine kleine Minderheit werde „immer lauter, immer radikaler“, sagte der SPD-Politiker. Rechtsextreme nutzten das für sich. Als „perfide und unerträglich“ kritisierte der Minister Aufrufe, die Adressen von Politikern zu veröffentlichen, „damit die kein schönes Leben mehr haben“.
Der Terrorismusexperte Peter Neumann schloss auch terroristische Gefahren ausgehend von diesen Protesten nicht aus. „Was wir vereinzelt bereits gesehen haben, sind komplexere Anschläge auf das RKI zum Beispiel oder auf Kliniken und auf Impfstellen.“ Deshalb könne er sich vorstellen, „dass wir in einigen Monaten tatsächlich möglicherweise von einer terroristischen Kampagne sprechen müssen“, sagte Neumann in der Sendung.
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas: „Spürbare Radikalisierung“
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas konstatierte ebenfalls eine „spürbare“ Radikalisierung bei den Protesten. „Das ist durchaus eine Gefährdung unserer Demokratie“, sagte die SPD-Politikerin am Sonntagabend in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“. Sie forderte ein Verbot von Demonstrationen vor Privathäusern von Politikerinnen und Politikern sowie eine verschärfte Beobachtung von Telegram-Chatgruppen. Über den Messengerdienst vernetzen sich viele Kritiker von Corona-Maßnahmen.
SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese sprach von einer „fortschreitenden Radikalisierung einer kleinen Minderheit“. Dem müsse mit „absoluter Aufmerksamkeit der Sicherheitsbehörden“ begegnet werden, sagte er der „Welt“ (Montag). Wiese warnte: „Wir erleben den organisierten Versuch, zu spalten und zu hetzen.“
Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz hält die zunehmende Radikalisierung der Proteste für „mehr als beängstigend“. Zu lange seien Reichsbürger und sogenannte Querdenker als harmlos abgetan worden, dagegen müsse man sich „als Demokratie entschlossen aufstellen“, forderte von Notz in der „Welt“. FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle mahnte dort: „Jeder Einzelne hat eine Verantwortung, sich von militanten Gruppen fernzuhalten.“ Unionsfraktionsvize Thorsten Frei (CDU) unterstrich: „Der Staat darf in dieser Situation keinesfalls als schwach erscheinen.“
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig rief dazu auf, „den Radikalen nicht die Straße überlassen“. „Viele verfolgen ganz andere Ziele als Corona, sie benutzen die emotionale Debatte um die Impfpflicht, um zu spalten“, sagte die SPD-Politikerin der „Bild“-Zeitung (Montag). Demokratische Entscheidungen müssten von allen akzeptiert werden. „Hier muss unsere Demokratie eine Brandmauer gegen Gewalt errichten. Unsere Gesellschaft und der Staat müssen den Spaltern und Corona-Hetzern Paroli bieten. Denn am Ende bedrohen sie nicht nur Politiker, sondern uns alle.“
Bei einer nicht angemeldeten Demo gegen Corona-Maßnahmen im unterfränkischen Schweinfurt haben die Beamten von „teils heftiger Aggressivität“ bei einem ansonsten überwiegend friedlichen Verlauf gesprochen. Am Sonntagabend, 12. Dezember 2021, zogen bis zu 2000 Menschen größtenteils ohne Maske auf engem Raum durch die Schweinfurter Innenstadt, wie die Polizei mitteilte.
„Unter die in der Hauptsache friedlichen und für polizeiliche Maßnahmen zugänglichen Protestler mischten sich allerdings auch einige Dutzend aufwiegelnde Aggressoren. Diese stachelten immer wieder weitere Gruppen zu Aktivitäten gegen Einsatzkräfte und Anordnungen auf“, hieß es weiter.
Zehn Festnahmen bei Corona-Demo in Schweinfurt
Zehn Menschen wurden vorläufig festgenommen - zwei von ihnen hätten am Rande der Versammlung versucht, ein Zivilfahrzeug der Polizei anzuzünden, hieß es. Acht weitere hätten unter anderem mit Schlägen und Tritten gegen Beamte Widerstand gegen Identitätsfeststellungen geleistet. Zwei Festgenommene sollen am Montag auf Anordnung der Staatsanwaltschaft dem Ermittlungsrichter vorgeführt werden.
Bereits am Samstag, 11. Dezember 2021, war es in Reutlingen zu Konfrontationen von Polizei und Demonstranten gekommen. An der Kundgebung unter dem Motto „Für Freiheit, Wahrheit und Selbstbestimmung“ nahmen nach Angaben der Polizei rund 1500 Menschen teil. Aufforderungen zum Tragen einer Maske seien ignoriert worden, hieß es. Infolgedessen wurde die Versammlung aufgelöst. Eine Gruppe zog laut Polizei dennoch weiter. Dabei zündeten Teilnehmer des Aufzugs vereinzelt Pyrotechnik und Fackeln.
Beim Versuch der Polizei, die Versammlung zu stoppen, durchbrachen Teilnehmer nach Polizeiangaben mit Gewalt die Kette der Beamten, so dass diese Pfefferspray und Schlagstöcke einsetzten. Im Laufe des Abends wurden mehrere Strafverfahren wegen tätlichen Angriffs auf Beamte, Beleidigung und versuchter Körperverletzung eingeleitet. Zudem wurden rund 100 Platzverweise erteilt.
Auch in Stuttgart verstießen zahlreiche Menschen am Samstag bei vier Protesten gegen die Corona-Maßnahmen gegen Auflagen. Wie die Polizei am Sonntag mitteilte, kamen in der Stadt mehrere Hundert Querdenker zusammen, um eine Menschenkette zu formen. Die Polizei ermittelt gegen zwölf Menschen, unter anderem weil sie sich nicht an die Versammlungsauflagen, insbesondere die Maskenpflicht, hielten.
In Freiburg kamen am Samstag laut Polizei rund 2500 Querdenker in der Innenstadt zusammen. Den Angaben nach kam es nur zu wenigen Verstößen gegen das Versammlungsrecht und die Maskenpflicht. Bei einer Gegendemonstration waren laut Polizei rund 50 Teilnehmer.
Corona: Heftige Proteste in Sachsen-Anhalt
In Sachsen-Anhalt gingen am Wochenende ebenfalls wieder hunderte Menschen gegen die Corona-Politik auf die Straße. Am Samstag fanden Versammlungen in Halle, Magdeburg, Salzwedel, Stendal und Quedlinburg statt, wie die Polizei mitteilte. Es gab laut Polizei bei den Zusammenkünften keine größeren Zwischenfälle.
Am Sonntag kamen bis zum Nachmittag vereinzelt Menschen für Proteste in Dessau-Roßlau und Gröningen (Börde) zusammen. Am Abend versammelten sich in Burg (Jerichower Land) 340 Menschen und in Köthen (Anhalt-Bitterfeld) 65 Menschen zu unangemeldeten Protesten, teilte die Polizei am Abend mit. Es sei alles friedlich verlaufen.
Auch zu Wochenbeginn erwartet die Polizei in Sachsen-Anhalt nach eigener Aussage wieder zahlreiche Zusammenkünfte mit Coronabezug. Es gebe wieder einige Aufrufe zu verschiedenen Veranstaltungen. „Wir gehen von einem erhöhten Aufkommen am Montag aus“, sagte ein Sprecher der Polizei. Wie viel dann letztendlich stattfinde, müsse man abwarten. (dpa)