Schwarz und Grün im WahlkampfRobert Habeck platzt der Kragen

Am 26. August erschienen Friedrich Merz und Robert Habeck als Gäste der Show „Maybrit Illner“.

Am 26. August erschienen Friedrich Merz und Robert Habeck als Gäste der Show „Maybrit Illner“.

Zum Thema „Schwarz und Grün im Wahlkampf - Rivalen, Feinde, Partner?“ diskutierten am Donnerstagabend im ZDF, Robert Habeck, Moderatorin Maybrit Illner, Achim Truger, Friedrich Merz und die Journalistin Dagmar Rosenfeld.

Berlin. Wer trägt Schuld am Investitionsstau in Deutschland? Und welche Partei hat die größte Wirtschaftskompetenz? Während sich Friedrich Merz und Robert Habeck bei „Maybrit Illner“ über die Schuldenbremse stritten, gab ein zugeschalteter Wirtschaftsweiser eine überraschende Einschätzung zu Protokoll.

Wäre nur alles Außenpolitik, einer Vernunftehe von Schwarz und Grün im Bund stünde wohl inhaltlich nicht viel im Weg. Zumindest wenn es nach den verhinderten Kanzlerkandidaten Robert Habeck und Friedrich Merz geht.

Stellvertreterdebatte bei „Maybrit Illner“

Anstatt demnächst in den großen TV-Triellen platzzunehmen, führten die ausgebremsten Hoffnungsträger ihrer Parteien eine Art Stellvertreterdebatte bei „Maybrit Illner“. In der Bewertung der Lage am Hindukusch war dabei kein Dissens zu vernehmen.

Merz nannte das Afghanistan-Desaster „schlimmer als Vietnam“, erkennt aber „wenig Anlass, über eine neue Flüchtlingswelle zu diskutieren“. Habeck ließ sich umgekehrt einen Rüffel zum potenziellen Koalitionspartner und konservativen Schreckgespenst entlocken. Das Abstimmungsverhalten der Linken über das Bundeswehrmandat zur Evakuierung in Afghanistan geißelte der Co-Grünen-Chef als „fatalen Fehler“: „Das ist nicht regierungsfähig, was die Linkspartei da gestern gemacht hat.“

Friedrich Merz: „Ich traue den Zahlen nicht wirklich“

Noch etwas eint Union und Grüne dieser Tage: das mehr oder minde dumpfe Gefühl, aufs falsche Personal im Bundestagswahlkampf gesetzt zu haben - verbunden mit der Unmöglichkeit, dies offen einzugestehen.

„Wir spielen genauso um Platz eins wie die anderen“, trotzte Habeck dem für die Grünen ernüchternden Meinungstrend. „Ich traue den Zahlen nicht wirklich“, glaubt auch Merz noch an die Verteidigung des Kanzleramts. Menschen wählten mit der Zweitstimme Parteien, und „Parteien sind mehr als nur die Spitzenkandidaten“.

Mehr artikulierte Zuneigung hat Armin Laschet aus seiner CDU wohl derzeit nicht zu erwarten. Schon gar nicht vom dauerstichelnden CSU-Chef Markus Söder. Der mache indes „Wahlkampf wie kaum ein Zweiter in der Union“, behauptete Merz. Maybrit Illner verschluckte sich fast vor Erstaunen: „Meinen Sie das wirklich ernst?“

Erkennbar ernst meinte es Friedrich Merz damit, sich zum europäischen Stabilitätskriterium der Schuldenbremse zu bekennen. Womit dann doch ein Thema gefunden wurde, das in möglichen Koalitionsverhandlungen ein echter Knackpunkt werden könnte. „Ich halte daran fest“, bekräftigte der CDU-Mann, der gerne nächster Wirtschaftsminister würde. Habeck glaubt, die Finanzminister in ganz Europa sähen es geschlossen anders: „Wenn wir kein Geld in die Hand nehmen, wird nichts passieren, das ist nicht so schwer zu verstehen.“

Robert Habeck, hier bei einem Parteitag der Grünen in Nordrhein-Westfalen, will die Schuldenbremse für neues Wachstum lockern.

Robert Habeck, hier bei einem Parteitag der Grünen in Nordrhein-Westfalen, will die Schuldenbremse für neues Wachstum lockern.

Der Grünen-Chef bekam da zum ersten Mal an diesem Talk-Abend im ZDF unerwartet deutliche Rückendeckung vom zugeschalteten „Wirtschaftsweisen“ Achim Truger. „Gute“ Schulden aufzunehmen, mit dem Ansinnen, Werte und Wachstum zu schaffen, nannte der Ökonom, Mitglied des Sachverständigenrats für Wirtschaft, lehrbuchmäßig und plausibel.

Merz: Wahlprogramm der Grünen sei „137 Seiten Staatsgläubigkeit“

Merz hielt dagegen: „Wir haben eine Investitionsschwäche, weil dieses Land zu langsam, zu träge geworden ist.“ Die Republik sei auch wegen vieler von Grünen unterstützter Bürgerinitiativen beim Strukturausbau „ein blockiertes Land“. Das Problem liege somit nicht beim Geld. Privates Kapital werde nicht ausgegeben aus Angst vor „137 Seiten Staatsgläubigkeit“, wie Merz das Wahlprogramm der Grünen umschrieb.

Habeck erklärte: „Es geht nicht darum, dass der Staat alles macht.“ Man wolle lediglich der Industrie finanzielle Überbrückungshilfe geben für den unausweichlichen Strukturumbau. Die Union drücke sich umgekehrt vor der Frage, wie Wachstum entstehen soll. „Wir hatten schon vor Corona eine Wachstumsschwäche“, verwies Habeck auf unterdurchschnittliche Investitionsbereitschaft im europäischen Vergleich. „Nennen Sie uns staatsgläubig, Sie verbeißen sich in einer Ideologie, die nicht mehr zur Wirklichkeit passt!“ Der Grünen-Chef erbat sich Tacheles: „Fällt ihr Wirtschaftswachstum vom Himmel?“

„Wir haben sehr konkrete Vorschläge gemacht“, befand Friedrich Merz - ohne sie weiter konkret zu machen. Der Grünen-Mann fühlte sich wie im falschen Film: „Als wäre ich auf dem Unionsparteitag erkläre ich hier, wie Wachstum funktioniert!“

Wirtschaftsweiser: „Das Unionsprogramm ist widersprüchlich“

Nächster Auftritt des Wirtschaftsweisen Truger - und wieder eine Watschen für CDU und CSU: „Das Unionsprogramm ist widersprüchlich.“ Einmal stehe alles unter Finanzierungsvorbehalt, dann wieder solle es Entlastungen geben. Truger: „Die Aussicht, dass man Steuern senkt und sich dann alles von selbst ergibt, ist eine sehr frohe Hoffnung, die sich in der Vergangenheit nicht erfüllt hat. Alle sagen, dass es die Förderbedarfe gibt, da braucht es auf jeden Fall staatliche Unterstützung.“ Konsolidieren wollen in der Krise, das funktioniere nicht.

Was all das für mögliche Koalitionsgespräche nach der Wahl bedeutet? Offenbar nicht viel, das deren Erfolg gefährden würde. „Nicht unüberbrückbare Gegensätze“, erkannte Merz zu den Grünen, ausdrücklich stimmte er Habeck zu, dass die Bundestagswahl eine Zäsur in der Geschichte der Bundesrepublik markiere: „Wir stehen vor einem Neubeginn der politischen Kultur in Deutschland.“ Mit Union und Grünen in gemeinsamer Regierungsverantwortung? Maybrit Illner behielt sich selbst die Schlusspointe vor: „Da müssen wir nur Christian Lindner noch ganz kurz fragen.“ (tsch)