„Ich stimme quasi in keinem Punkt zu“Lanz und Precht geraten in Merz-Debatte plötzlich aneinander

Richard David Precht (links) und Markus Lanz haben in ihrem gemeinsamen Podcast über die aktuelle Debatte um Friedrich Merz gesprochen. (Bild: ZDF / Christian Bruch)

Richard David Precht (links) und Markus Lanz haben in ihrem gemeinsamen Podcast über die aktuelle Debatte um Friedrich Merz gesprochen.

So uneins waren sie lange nicht: Markus Lanz und Richard David Precht haben in ihrem Podcast „Lanz & Precht“ über die Kontroverse nach der gemeinsamen Abstimmung von AfD und Union gesprochen. Precht kritisierte Friedrich Merz scharf, Lanz nahm SPD und Grüne in die Pflicht.

„Bist du auch so aufgewühlt?“, überfällt Markus Lanz seinen Podcast-Partner in der neusten Folge von „Lanz & Precht“ direkt zu Beginn mit dem Thema, an dem politisch derzeit kein Weg vorbeiführt: Die CDU hatte mithilfe der AfD eine Mehrheit im Bundestag für einen Migrationsantrag bekommen, der unter anderem mehr Zurückweisungen an den deutschen Grenzen und konsequentere Abschiebungen vorsieht.

Die Reaktionen auf die bislang beispiellose Vorgehensweise von Friedrich Merz waren immens - und auch Richard David Precht äußert auf Nachfrage scharfe Kritik am Kanzlerkandidaten.

Precht: „Das könnte sich für Friedrich Merz wirklich rächen“

So sei Precht irritiert davon, dass diese Debatte jetzt überhaupt mitten im Wahlkampf stattfinden müsse: „Ich frage mich, welche Wahlkampfberater Friedrich Merz eingeflüstert haben, dass es eine gute Idee sei, das zu tun.“ Das Thema Migration sei seiner Meinung nach viel zu komplex, um es auf die fünf Punkte von Friedrich Merz zu reduzieren und damit die Mehrheit mit der AfD in Kauf zu nehmen.

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„Im Grunde ist die Idee sozusagen: Du stimmst mit der AfD, um am Ende die AfD zu verhindern“, meint Lanz. Was bei diesem Gedanken laut Precht jedoch nicht berücksichtigt würde: „Du machst das ganz, ganz große Thema der AfD - Migration - selber zum wichtigsten Wahlkampf-Thema. Und ich würde sagen, in der Debatte kannst du dann gegen die AfD nur verlieren.“

Hier unseren Kommentar zu dem Thema lesen: Das eigentliche Problem ist nicht die AfD – sondern ein anderes

Dass die CDU das Thema Migration jetzt so in den Fokus rücken würde, hält der Philosoph für einen sehr großen Fehler: „Ich glaube, das könnte sich für Friedrich Merz wirklich rächen - und dafür sorgen, dass die AfD noch mal einen richtigen Endspurt hinlegt.“

Markus Lanz sieht aber auch ein großes Problem auf der Gegenseite. „Was hindert die SPD, was hindert auch die Grünen daran, ihr eigenes, gutes, stringentes, konsistentes Konzept vorzulegen, das sagt: Wir wollen das nicht, aber wir wollen es bitteschön so machen?“, drückt der Polit-Talker sein Unverständnis aus und attestiert SPD, Grünen und Linken beim Thema Migration eine „totale Hilfslosigkeit“.

Lanz zu Precht: „Ich stimme quasi in keinem Punkt zu“

Precht betont noch einmal, dass sich die Migrations-Debatte für ihn überhaupt nicht als Wahlkampf-Thema eigne, denn die fünf Punkte von Friedrich Merz würden die Probleme nicht lösen können - schon allein, weil es seiner Meinung nach bei der Abschiebung gefährlicher Personen, die sich in Deutschland nicht mehr aufhalten dürften (Lanz und Precht sprachen in dem Zusammenhang zuvor über das Aschaffenburg-Attentat vor wenigen Tagen und das Solingen-Attentat vor ein paar Monaten), bereits an der Überforderung der Bürokratie scheitern würde.

„Dann passiert wieder irgendein Attentat und dann wird die AfD unglaublich davon profitieren und richtig nach oben durchmarschieren. Und davor habe ich Angst“, erklärt Precht.

Da widerspricht Lanz allerdings vehement: „Ich stimme quasi in keinem Punkt zu“, wird der Moderator deutlich und findet, Precht würde so argumentieren „wie jahrelang und eigentlich fast Jahrzehnte lang argumentiert wurde“. Es bei einem Vorfall wie in Aschaffenburg auf Bayern, die Behörden und die Verwaltung zu schieben, „das ist würdelos. Das gehört sich so nicht. Weil du musst doch dann die Frage beantworten: Warum sind die denn offenkundig überfordert?“, führt Lanz aus: „Es hat doch mit gelebter Politik zu tun, dass diese Strukturen so unvorstellbar überfordert sind.“

Notlage begründet? Markus Lanz teilt die Einschätzung von Friedrich Merz

Nach Lanz funktioniere das komplizierte Asyl-System, wenn im Jahr ungefähr 50.000 Menschen kommen würden. Aber wenn über Jahre hinweg bis zu 300.000 Menschen kommen wie in Deutschland, würden die komplexen Einzelprüfungen, die das Europa-Recht vorsieht, nicht mehr umgesetzt werden können, verweist Lanz auch auf Aussagen des Migrationsexperten Daniel Thym.

Es müsste eine Art Notsituation ausgerufen werden, „dass man sagt: Wir halten uns jetzt aber nicht mehr an europäisches Recht. Und Friedrich Merz ist offenbar der Meinung - und die teile ich -, dass diese totale Dysfunktionalität so eine Notlage begründet, und deswegen muss man ausnahmsweise jetzt auf nationales Recht zurückgreifen und nicht mehr auf europäisches Recht“, erklärt Lanz seine Ansicht.

„Und was ist, wenn das alle europäischen Länder machen? Dann können wir überhaupt keinen mehr zurückschicken, weil keiner mehr irgendjemanden aufnimmt. Dann haben wir ein noch größeres Problem, als wir mit dem dysfunktionalen Europa-Recht haben“, gibt Precht wiederum zu Bedenken. Lanz kann diesen Punkt nachvollziehen und resümiert: „Wenn die anderen die Notlage erklären und wir haben aber das Recht auf Asyl im Grundgesetz stehen, dann hat insbesondere Deutschland ein Problem. Daran merkst du, wie kompliziert das alles ist.“ (tsch)