Pflegeheim nicht „nur eine letzte Station“ André Dietz über die „Herbstresidenz“ bei VOX

Ilse Lang freut sich über die Zuwendung, die sich durch André Dietz erhält. „Ein Pflegeheim kann weit mehr sein als nur eine letzte Station - es kann ein Zuhause werden, das neue Perspektiven eröffnet und Lebensfreude schenkt“, ist der Schauspieler überzeugt.  (Bild: RTL / Guido Engels)

Ilse Lang freut sich über die Zuwendung, die sich durch André Dietz erhält. „Ein Pflegeheim kann weit mehr sein als nur eine letzte Station - es kann ein Zuhause werden, das neue Perspektiven eröffnet und Lebensfreude schenkt“, ist der Schauspieler überzeugt. (Bild: RTL / Guido Engels)

Nach der preisgekrönten Doku-Reihe „Zum Schwarzwälder Hirsch“ starten Schauspieler André Dietz und TV-Koch Tim Mälzer ein innovatives Generationenprojekt zum Thema Integration: „Herbstresidenz“ ist ein beispielgebendes Fernsehexperiment, das jede jede Aufmerksamkeit verdient hat.

Nach der preisgekrönten Doku-Reihe „Zum Schwarzwälder Hirsch“ starten Schauspieler André Dietz und TV-Koch Tim Mälzer ein innovatives Generationenprojekt zum Thema Integration. Bei ihrem Experiment „Herbstresidenz“ setzten sie auf eine neue Art der Altenpflege: Zehn junge Menschen mit Behinderung begleiten 90 Tage lang die Seniorinnen und Senioren eines Pflegeheims und haben so die Chance, deren Leben, und ihr eigenes, grundlegend zu verändern.

Das Ziel: mehr Freude, mehr Selbstbestimmung und ein schöneres Leben. „Viele ältere Menschen leiden unter einem eintönigen Alltag, in dem sie geistig und körperlich abbauen“, beschreibt André Dietz im Interview die belastende Situation, die Pflegeheimbewohner erleben. Er weiß: „Um sie wieder stärker ins Leben einbinden zu können, sind oft nur kleine Veränderungen nötig.“

Schauspieler André Dietz und TV-Koch Tim Mälzer starten Generationen-Projekt

Die zehn jungen Menschen, die sich diesem Projektversuch stellen, übernehmen eine aktive Rolle in der Begleitung der Bewohner und unterstützen sie in ihrem täglichen Ablauf. Gleichzeitig absolvieren sie eine Ausbildung zum Alltagshelfer und erhalten so die Chance, auch langfristig auf dem regulären Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.

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Dietz sieht darin eine Möglichkeit, von der alle Seiten profitieren. „Ein Pflegeheim kann weit mehr sein als nur eine letzte Station – es kann ein Zuhause werden, das neue Perspektiven eröffnet und Lebensfreude schenkt“, ist der Schauspieler überzeugt. Das Bundesland Rheinland-Pfalz hat das Projekt bereits mit dem Pflegepreis in der Kategorie „Integration“ ausgezeichnet.

„Für viele Menschen im Heim gibt es das Leben in der Gesellschaft und den Tod“, sagt André Dietz im Interview. „Die Zeit im Heim ist für sie manchmal kein Teil des Lebens, sondern ein Warten auf den Tod“, so der Schauspieler. „Deswegen haben wir uns gesagt, das muss man doch ändern können!“ - „Herbstresidenz“ nennt sich der Ansatz, den er gemeinsam mit Starkoch Tim Mälzer realisiert hat. (Bild: RTL / Guido Engels)

„Für viele Menschen im Heim gibt es das Leben in der Gesellschaft und den Tod“, sagt André Dietz im Interview. „Die Zeit im Heim ist für sie manchmal kein Teil des Lebens, sondern ein Warten auf den Tod“, so der Schauspieler. „Deswegen haben wir uns gesagt, das muss man doch ändern können!“ - „Herbstresidenz“ nennt sich der Ansatz, den er gemeinsam mit Starkoch Tim Mälzer realisiert hat. (Bild: RTL / Guido Engels)

teleschau: In der Doku-Reihe „Herbstresidenz“ helfen Menschen mit Behinderung Heimbewohnern dabei, den Alltag zu bewältigen und wieder mehr Leben zu spüren. Was verstehen Sie darunter?

André Dietz: Für viele Menschen im Heim gibt es das Leben in der Gesellschaft und den Tod. Die Zeit im Heim ist für sie manchmal kein Teil des Lebens, sondern ein Warten auf den Tod. Menschen, die im Heim leben, haben oft den Eindruck, auf dem Abstellgleis zu stehen. Viele sehnen sich sogar danach, abends einzuschlafen und morgens nicht mehr aufzuwachen. Das klingt jetzt unglaublich hart, aber es ist ein mehr oder weniger Dahinvegetieren. Man hangelt sich von einem Essen zum anderen über den Tag. Freude existiert dann nicht. Deswegen haben wir uns gesagt, das muss man doch ändern können! Schließlich soll das Heim ein Zuhause sein. Das wollten wir schaffen.

„Sie sollten sich wieder gebraucht fühlen“

teleschau: Wie kommt es, dass keine Freude existiert?

Dietz: Es liegt auf keinen Fall daran, dass die Pfleger keinen guten Job machen oder das Heim nicht schön wäre. Mit dem Umzug dorthin wird nur deutlich, dass das Leben hinter einem liegt. Viele haben ihr Hab und Gut veräußert oder ihre Sachen zum Sperrmüll gebracht. Sie haben ihr Zuhause verlassen und verlieren damit ihr bisheriges Leben.

teleschau: Und diese jungen Menschen können im neuen Lebensabschnitt unterstützen?

Dietz: Sie tragen sehr viel Lebensfreude in sich und helfen auch gerne. So haben wir auf der einen Seite Menschen, die auf den Arbeitsmarkt wollen, aber von der Gesellschaft bislang nicht gesehen werden. Auf der anderen Seite wächst die Zahl alter Menschen und der Mangel an Pflegepersonal. Da ist es eine logische Konsequenz, beide Parteien zusammenzubringen. Das haben wir umgesetzt.

teleschau: In dem Experiment treffen zwei Welten aufeinander. Manche der Bewohner sind fast 100 Jahre alt und haben das Dritte Reich durchlebt. Hatten Sie mit Vorurteilen zu kämpfen?

Dietz: Nein. Aber als wir die Heimbewohner befragt haben, wie sie zu Menschen mit Behinderung stehen, war ich schon erst einmal überrascht. Denn es waren nicht nur im wahrsten Sinne Berührungsängste, die zum Vorschein kamen, sondern Bedenken, dass die jungen Menschen vielleicht zu forsch oder der Aufgabe nicht gewachsen sein könnten. Das hat sich aber sehr schnell abgebaut.

teleschau: Dennoch werden die Menschen beider Gruppen als jemand angesehen, der eher Hilfe braucht als dass er in der Lage wäre, Hilfe geben zu können. Ist diese Denkweise überholt?

Dietz: Absolut. Das Gegenteil ist der Fall. Die Menschen mit Behinderung haben pflegende Aufgaben übernommen, gleichzeitig waren die Heimbewohner für die Azubis da und konnten mit ihrer Lebenserfahrung punkten. Sie haben sich gegenseitig geholfen und so Fähigkeiten aktiviert, die bislang nicht gefordert waren. Es ging schließlich nicht darum, die perfekten Pfleger zu formen, sondern darum, menschliche Wärme zu bringen und das hat funktioniert.

teleschau: Wie haben Sie sich auf die Begleitung der Azubis vorbereitet?

Zeit zum Plaudern: André Dietz und Ursula Schmitt tauschen sich auf dem Pflegeheim-Flur aus. (Bild: RTL / Guido Engels)

Zeit zum Plaudern: André Dietz und Ursula Schmitt tauschen sich auf dem Pflegeheim-Flur aus. (Bild: RTL / Guido Engels)

Dietz: Ich habe im Vorhinein eine kleine Pflegeschule absolviert, die Theorie gelernt und mit Menschen aus dem Pflegebereich über die Praxis gesprochen. Doch als ich dann in dem Zimmer einer Heimbewohnerin stand und ihr den Rücken und Po waschen sollte, kam ich mir wie ein Eindringling vor. Man kann darüber so viel reden, wie man will, aber wenn man dann da steht, ist es etwas völlig anderes. Ähnlich haben es auch unsere Azubis erlebt, obwohl wir sie natürlich auf die Zeit im Heim vorbereitet haben.

teleschau: Was war die überraschendste Erkenntnis für Sie in diesem Projekt?

Dietz: Das Faszinierende war, zu sehen, wie fließend Inklusion funktionieren kann. Es hat so schnell so gut geklappt, dass ich dachte: „Was mache ich jetzt noch hier?“ Wir haben das Projekt unter anderem gestartet, um das Leben der Menschen im Heim zu verbessern. Dabei ging es nicht nur um Äußerlichkeit, wie den Wohnbereich verschönern. Wir wollten die Beteiligten dazu bringen, wieder etwas für die Allgemeinheit zu tun. Sie sollten sich wieder gebraucht fühlen und Dinge tun, die sie ihr Leben lang gemacht haben, wie Kochen zum Beispiel.

Sind in Deutschland noch weit von einer funktionierenden Inklusion entfernt“

teleschau: Dafür war dann Tim Mälzer zuständig ...

Dietz: Ja, es ging dabei aber nicht um Sterneküche. Ausschlaggebend war, was dieser Einsatz bei den Menschen bewirkt. So ist Zusammenarbeit entstanden. Zum Beispiel hat eine Gruppe aus Heimbewohnern und Menschen mit Behinderung über eine Stunde lang versucht, eine Dose Ananas zu öffnen. Alle haben sich gemeinsam dem Problem gewidmet. Ich wollte eingreifen, doch der Produzent hat mich davon abgehalten. Dadurch konnten wir verfolgen, wie sich alle gekümmert und miteinander agiert haben. Das war traumhaft. Wir wissen vorher nie, was passiert, und genau das macht es spannend. So können wir die Realität abbilden.

teleschau: Könnten Menschen mit Behinderung auch in anderen Bereichen helfen?

Gemeinsam mit ihren Schützlingen schwelgten Tim Mälzer (sechster von links) und André Dietz (sechster von rechts) 2023 in Erinnerungen.  (Bild: RTL)

Gemeinsam mit ihren Schützlingen schwelgten Tim Mälzer (sechster von links) und André Dietz (sechster von rechts) 2023 in Erinnerungen. (Bild: RTL)

Dietz: Sicher! Jeder Unternehmer sollte sich fragen: Habe ich Menschen mit Behinderung in meinem Betrieb? Könnte ich das ermöglichen? Sie sollten überall vertreten sein - aber nicht nur aus sozialer Verantwortung, sondern weil es sich für beide Seiten wirklich lohnt. Natürlich gibt es Bereiche mit besonderen Anforderungen, im Krankenhaus geht es zum Beispiel um Leben und Tod. Auch gibt es verschiedene Abstufungen der kognitiven und körperlichen Fähigkeiten, und man muss jede Situation individuell betrachten. Dennoch sind die Möglichkeiten vielfältig und werden bislang selten genutzt. Wir haben mit den Bereichen Gastronomie und Pflege angefangen, und vielleicht kommen künftig noch weitere Aufgabengebiete hinzu.

teleschau: Wo sehen Sie die größten Herausforderungen?

Dietz: Das beginnt schon auf dem Spielplatz. Manche Kinder mit Behinderung brauchen spezielle Spielplätze, damit sie darauf spielen und mit anderen Kindern in Kontakt kommen können. Es geht darum, dass alle Kinder früh den Umgang miteinander lernen. Wenn sie von Klein auf Menschen mit Behinderung als einen natürlichen Teil unserer Gesellschaft erleben, stellen sie sie später als Chefs auch ganz selbstverständlich ein. Ein weiterer Punkt ist, dass unsere Schulen für Inklusion gar nicht ausgerüstet sind und es wird argumentiert, dass inklusive Bildung die Klasse bremst. Es gäbe aber Möglichkeiten, Begegnungen zu schaffen, etwa durch gemeinsame Pausenräume oder Patenschaften. Leider sind wir in Deutschland noch weit von einer funktionierenden Inklusion entfernt.

teleschau: Halten wir als Gesellschaft an überholten Wertvorstellungen fest?

Schauspieler André Dietz (rechts) überrascht seinen Doku-Kollegen Tim Mälzer mit einer Torte. (Bild: RTL)

Schauspieler André Dietz (rechts) überrascht seinen Doku-Kollegen Tim Mälzer mit einer Torte. (Bild: RTL)

Dietz: Ja, definitiv. Auch ich hatte früher Berührungsängste. Bei meinem ersten Casting mit Menschen mit Behinderung wusste ich nicht, wie ich mich verhalten sollte. Erst als ein Betreuer sagte: „Sei einfach du selbst“, habe ich verstanden, dass es keine besondere Behandlung braucht. Diese Selbstverständlichkeit muss gelernt werden.

Es sind oft nur kleine Dinge, die große Veränderungen auslösen“

teleschau: Das transportiert auch „Herbstresidenz“.

Dietz: Genau, durch die Doku-Reihe zeigen wir den Menschen, dass Berührungsängste völlig unbegründet sind. Projekte wie „Herbstresidenz“' können dabei helfen, die Natürlichkeit im Umgang miteinander in der Gesellschaft zu verankern. Ich habe selbst eine Tochter mit Behinderung und durch sie viel über Lebensfreude gelernt. Sie begegnet der Welt mit großer Offenheit, und das ist sehr inspirierend.

Die Küchen- und Servicekräfte des Schwarzwälder Hirschs (von links: Paula, Sarah, Jan G., Ayla, Lara, Simeon , Sophia, Tanino, Tobias, Nicola, Laura) warten auf ihren „Chef Tim“. (Bild: RTL)

Die Küchen- und Servicekräfte des Schwarzwälder Hirschs (von links: Paula, Sarah, Jan G., Ayla, Lara, Simeon , Sophia, Tanino, Tobias, Nicola, Laura) warten auf ihren „Chef Tim“. (Bild: RTL)

teleschau: Es fällt auch schwer, sich mit dem Ende des Lebens zu befassen ...

Dietz: Niemand denkt gerne über das eigene Altern nach, aber irgendwann kommt der Punkt, an dem man sich fragen muss: Wie will ich alt werden? Diese Fragen betreffen uns aber alle. Dass im Pflegebereich eine Menge gemacht werden muss, ist völlig klar. Meine Frau und ich haben vier Kinder und wollen ihnen nicht die Verantwortung für unsere Pflege aufbürden, ein Heim können wir uns aber auch nicht vorstellen.

teleschau: Tim Mälzer hat für die erste Folge der „Herbstresidenz“ den Selbstversuch gewagt und eine Nacht im Pflegeheim verbracht. Sein Resümee danach lautete, er wäre lieber tot, als im Heim leben zu müssen. Ist das eine nachvollziehbare Reaktion?

Dietz: Ja, das hören wir oft. Aber während unseres Projekts haben wir gesehen, dass Menschen, die erst sagen, sie wollten heute Nacht nicht mehr aufwachen, plötzlich wieder Freude am Leben fanden. Wenn sie gestorben wären, hätten sie all diese schönen Momente verpasst.

teleschau: Die Anwesenheit des Fernseh-Teams hat natürlich eine besondere Situation im Heim geschaffen. Würde das Projekt „Herbstresidenz“ auch im alltäglichen Leben funktionieren?

Dietz: Die Caritas hat unser Projekt begleitet und bereits signalisiert, dass sie das Konzept auf andere Heime übertragen will. Ob das umgesetzt wird, bleibt abzuwarten. Aber wir haben gezeigt: Es sind oft nur kleine Dinge, die große Veränderungen auslösen können und das Leben verbessern. Zum Beispiel haben wir die Bewohner ermutigt, die Küchen zu nutzen, die in den Heimen vorhanden sind, aber bislang keine Beachtung fanden - das war ein Game Changer. Deshalb ist eine Erkenntnis aus der Doku-Reihe der Satz: „Es braucht nicht viel“. - Und genau das stimmt.

(Die vierteilige Doku-Reihe „Herbstresidenz“ mit Tim Mälzer und André Dietz“ läuft ab 5. März immer mittwochs, um 20.15 Uhr, bei VOX. Ab Start ist die Produktion von Vitamedia Film auch schon jeweils sieben Tage im Voraus auf RTL+ abrufbar.) (tsch)