„Müsste nicht jemand zurücktreten?“Jan Hofer löchert Baerbock bei RTL-Debüt

Annalena Baerbock war am Montagabend der erste Gast in RTLs neuer Informationssendung „RTL Direkt“.

Annalena Baerbock am Montagabend als erster Gast in RTLs neuer Informationssendung „RTL Direkt“ mit Jan Hofer.

Annalena Baerbock kritisiert die Bundesregierung in Sachen Afghanistan. Sie will bezahlbares Biofleisch und einen Mindestlohn von 12 Euro. Auch eine Koalition mit der Links-Partei schließt sie nicht aus. Beim „RTL Direkt“-Debüt zeigen sich sowohl Kanzlerkandidatin als auch Moderator ziemlich nervös.

von undefined Teleschau

Köln. Wie funktioniert eine gute Nachrichten-Sendung – bei RTL? Diese Frage dürften sich die Macher des am Montagabend gestarteten Formats „RTL Direkt“ intensiv gestellt haben, denn das Konzept der Sendung mit dem ehemaligen „Mr. Tagesschau“, Jan Hofer, wirkte ziemlich strikt: In 20 Minuten gabe es nur einen kurzen Nachrichtenblock, aber viel Talk mit dem prominenten Gast Annalena Baerbock, die in mehreren Frage-Antwort-Runden mit Stichwortgeber Hofer hastig ihre Vorstellungen zur Afghanistan-Politik der Bundesregierung, einer ökologischen (Ernährungs)wende sowie ihren Regierungschancen abarbeiten musste.

Dabei fiel auf: Sowohl die unter Wahlkampfpannen und sinkenden Zustimmungswerten leidende Grünen-Politikerin als auch der 71-jährige Moderator verhaspelten sich hin und wieder sprachlich. Beide wirkten nervös und „performten“ wie Menschen unter Druck. Erst am Ende, als Baerbock in Jan Hofers „Lets Dance“-Engagement ein Beispiel dafür sah, wie sehr sich Deutschland verändern kann, entstand eine gewisse Lockerheit. Wahrscheinlich waren beide froh, dass die Sendung fast geschafft war.

„RTL Direkt“: Nervosität bei Moderator Jan Hofer

Aufmachen musste die Sendung natürlich mit den dramatischen Bildern vom Flughafen in Kabul, wo sich Menschen an startende Flugzeuge klammerten. „Was mich richtig ärgert, um es mal milde auszudrücken, ist, dass das ja mit Ansage passierte“, sagt Baerbock. „Es war klar, dass wenn die NATO-Truppen abgezogen werden, dass dann Menschen wirklich bedroht sind. Wir haben daher als Grüne schon vor der Sommerpause des Bundestages einen Antrag gestellt, die Ortskräfte in Sicherheit zu bringen. Das haben SPD und Union in der Bundesregierung verweigert, und jetzt sehen wir diese dramatischen Bilder, die niemanden kalt lassen.“

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„Mal angenommen, Sie wären in dieser Situation Bundeskanzlerin, wie würden Sie reagieren?“, fragt Jan Hofer ein bisschen so, als wäre er in einer Quizshow. „Müsste nicht jemand zurücktreten“, möchte er drastische politische Konsequenzen aus dem Afghanistan-Debakel von der Staatslenkerin in spe abchecken. „In diesem Moment geht es darum, Menschenleben zu retten“, bleibt Baerbock staatsfrauisch. „Wir müssen das genau analysieren, was ist in den letzten Wochen, den letzten Monaten falsch gelaufen. Wie kann es sein, dass ein Außenministerium nicht annimmt, wenn es Warnungen von der eigenen Botschaft bekommt.“ Völkerrechtlerin Baerbock ist für „große, klare Kontingente“, die verschiedene Staaten an Flüchtlingen aus Afghanistan aufnehmen.

Nach fünf Minuten ist der Afghanistan-Block vorüber, es folgt ein Nachrichtenüberblick mit der Corona-Impfempfehlung für Jugendliche, Starkregen in den Alpen und einer Protestwoche für Klimaschutz.

Nach siebeneinhalb Minuten folgt Teil zwei des Baerbock-Gesprächs mit der Frage: „Wie grün wird Deutschland und was kostet uns das?“. Der Filmeinspieler zeigt eine fünfköpfige Familie mit kleinen Kindern, die gerne „grün“ leben möchte. Doch das Geld ist knapp, und im Biomarkt zahlt man 85 Euro mehr für den gleichen Einkauf, verglichen mit einem herkömmlichen Supermarkt.

„Deshalb möchte ich das so regeln, dass das für alle Menschen bezahlbar ist“, sagt Baerbock zum grünen Paradethema. „Es kann nicht sein, dass sich nur einige Leute in diesem Land gesunde, regionale Lebensmittel leisten können. Ich möchte, dass in allen Supermärkten, auch in den Discountern, Biofleisch angeboten wird.“ Hofer will wissen: „Und wie lässt sich das bezahlen?“ Baerbock: „Wir wollen das durch eine starke Sozialpolitik regeln – zum Beispiel den Mindestlohn endlich auf zwölf Euro anheben, damit Menschen mehr Einkommen haben.“

Annalena Baerbock will Biofleisch für alle

Zum Abschluss kommt „RTL Direkt“ (auf Abruf auch bei TVNOW) zum Block Wahlchancen und Koalitionen. Baerbock gibt sich kämpferisch. „Alles ist noch drin, diese Wahl ist so spannend wie noch nie, weil mehrere Parteien gleichauf sind.“ Die ehemalige Leistungs-Trampolin-Athletin bemüht zum wiederholten Mal im Wahlkampf Vergleiche aus dem Sport, um auf ihren Kampfeswillen hinzuweisen. „Rechnerisch ist momentan grün-rot-rot möglich. Würden Sie eine Koalition mit der Links-Partei eingehen?“, fragt Hofer. Die Antwort fällt zunächst ausweichend aus. „Ich werbe dafür, dass wir als Grüne möglichst stark werden. Dass wir die nächste Bundesregierung anführen - inhaltlich und personell.“ Doch dann immerhin Baerbocks theoretisches „Go“ für ein linkes Bündnis: „Das hängt davon ab, wie sich Wählerinnen und Wähler entscheiden.“

RTL-Debüt: Hektischer Themensprint mit Annalena Baerbock

Bevor Jan Hofer, der immer noch ein bisschen wie ein Sprecher und weniger wie ein Moderator wirkt, zu einem Block mit Zuschauerfragen kommt, die für Baerbock über eine Videowand abfragbar sind, entfällt Hofer kurzfristig der Name seines Gastes: „Frau ...“ lässt der Anchorman bei der Frage das Wort Baerbock aus. Doch auch die Kanzlerkandidatin verstrickt sich in bestenfalls halbrunde Satzkonstruktionen, redet einmal zum Thema Agrarwende von „Bäuerin und Bäuer, die ihre Tiere gut halten und die dann für gutes Fleisch aus der Region möglichst in Bioqualität sorgen“.

Zum Abschluss, bevor Comedian Abdelkarim die Zuschauer „mit einem Lächeln“ in den Abend entlassen soll, wie Hofer ein wohl festes Konzept – den kurzen Standup-Abbinder – der Sendung anmoderierte, wirkt es so, als würden beiden Menschen vor der Kamera Steine vom Herzen fallen, als die Sendung vorbei ist.

Sowohl dem 71-jährigen Ex-„Tagesschau“-Mann, der nun die Seriosität der RTL-Nachrichten befeuern soll, als auch einer Kanzlerkandidatin, deren Werte seit Beginn ihrer Kampagne deutlich in den Keller gesunken sind. Es gibt sicher bessere Befindlichkeits-Konstellationen für eine erste Sendung. Aber in Zukunft hat das Format ja vier Möglichkeiten pro Woche, an Konzept und Auftreten zu feilen. (tsch)