Ampel oder Jamaika? Die Frage, die Deutschland in den kommenden Wochen und vielleicht Monaten umtreiben wird, stellte am Wahlabend auch ZDF-Talkerin Maybrit Illner. Ein Journalist vertrat eine überraschende Theorie. Eine Grüne und ein Liberaler machten vor, wie Gespräche zum Scheitern verurteilt sind.
Koalitions-Prognose bei „Maybrit Illner“Machen die Grünen Laschet zum Klima-Kanzler?
Köln. Deutschland hat entschieden. Auf einen „politikfreien“ Wahlkampf, wie ihn der ehemalige SPD-Chef Sigmar Gabriel am Sonntagabend bei einem „maybrit illner spezial“ beschrieb, folgt nun die Frage, wer das Land tatsächlich regieren soll. Gelingt es SPD-Wahlgewinner Olaf Scholz, mit Grünen und FDP die Ampel-Koalition zu bilden? Oder rettet sich er angeschlagene CDU-Bewerber Armin Laschet trotz historischer Unionsverluste in ein Jamaika-Bündnis? Diese Frage beantwortete ein Journalist ist der ZDF-Runde überraschend eindeutig.
Da es ein rot-grünes und ein schwarz-gelbes Lager gebe, liege die Entscheidungshoheit letztendlich bei der Partei, die ins andere Lager wechsle, erörterte Robin Alexander, stellvertretender Chefredakteur der „Welt“. „Der, der rüberkommt, wird einen hohen Preis aufrufen können“, erklärte der Journalist.
maybrit illner: Talkgäste diskutieren Koalitionen nach Bundestagswahl
Vor allem die Grünen müssten nun überlegen, welchen Preis sie kassieren könnten, wenn sie „nach Jamaika kommen“. Dieser Preis wiederum könne nur die Klimapolitik sein. Robin Alexander: „Die Grünen könnten sagen, wir kommen zu euch rüber, machen aber eine Klimapolitik, die sich gewaschen hat.“ Dies ließe sich auch der eigenen Wählerschaft als Erfolg vermitteln.
Eine Ampel hält Alexander für weniger leicht umsetzbar. Ein Argument für eine solche Koalition wäre gewesen, ein rot-rot-grünes Bündnis zu verhindern. Da dies nun rechnerisch gar nicht möglich sei, sei die Wahrscheinlichkeit für das Zustandekommen einer schwarz-grün-gelben Koalition ungleich höher.
maybrit illner: Politiker sehen die Grünen am Hebel
Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel, der ins Studio zugeschaltet war, stimmte grundsätzlich zu: „Robin Alexander hat recht.“ Die Entscheidung liege nun bei den Grünen - besonders, da die FDP nicht erneut wie im Jahr 2017 Nein sagen könne. Die Grünen hätten nun „den größten Hebel“. Trotzdem: Die Ampel habe durchaus eine Chance, so Gabriel. Immerhin spreche die „Psychologie“ dafür, denjenigen zum Kanzler zu machen, der „gewaltige“ Zugewinne zu verantworten habe: Olaf Scholz.
Auch Armin Laschet hatte am Sonntagabend trotz herber Verluste verkündet, das Land regieren zu wollen. Intern habe er auch verlauten lassen, nicht Oppositionsführer zu werden, berichtete Robin Alexander bei „Maybrit Illner“. „Dieser Mann muss gewinnen“, sonst, so Alexander, werde er erneut Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen werden - oder „gar nichts“. Sollte sich Laschet „ins Kanzleramt retten“ können, könne ihm ein Neustart gelingen. Ansonsten werde sich auch parteiintern die Schuldfrage am Wahldebakel erst gar nicht stellen. Alexander: „Wenn er sich nicht rettet, sind sich alle in der Union einig, dass er schuld ist.“
Dass es wohl noch eine Weile dauern wird, bis eine neue Regierung gefunden wird, darüber waren sich alle Gäste der Sendung einig. Einen Vorgeschmack auf herausfordernde Koalitionsverhandlungen boten Grünen-Politikerin Marina Weisband und der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP, Alexander Graf Lambsdorff. „Wir können nicht Grünen-Klimapolitik machen und FDP-Wirtschaftspolitik“, befand Weisband. Das sei „in sich widersprüchlich“.
Sigmar Gabriel: „Hoffe, dass wir Weihnachten wissen, wer dieses Land regiert“
Graf Lambsdorff, der sich zuvor um konziliante Töne bemüht hatte, wurde es da zu bunt: „Wenn man über Klimapolitik redet, können es nicht nur grüne Ansätze sein.“ Zudem könne Klimaschutz nicht zum einzigen Thema im neuen Bundestag avancieren, man brauche einen breiteren Ansatz. „Wir müssen aufhören, die eigene Dogmatik vor uns herzutragen wie eine Monstranz. Dann wird es nicht funktionieren.“
Alle müssten nun bereit sein, den anderen „zuzuhören, ihre Prioritäten anzuerkennen und ernst zu nehmen“, Illners Nachfrage, inwieweit auch die FDP sich an diesen Maßstäben messe und bereit sei, Kompromisse einzugehen, blieb Graf Lambsdorff hingegen eine Antwort schuldig.
Einen „Blick in die Schneekugel“ forderte Illner abschließend von Sigmar Gabriel. Der stellte fest: „Letztlich geht es um die Frage: Wer kriegt da die größten inhaltlichen Überschneidungen hin?“ Lange Koalitionsverhandlungen befürchte er allerdings nicht zwangsläufig. „Wenn das ernst gemeint ist, kann man das schnell herausfinden.“
Gabriel hoffe, „dass wir Weihnachten wissen, wer dieses Land regiert.“ Es sei nicht der richtige Zeitpunkt, um die zähe Regierungsbildung aus dem Jahr 2017 zu wiederholen: „Wir haben so gewaltige Aufgaben in Europa vor uns, dass ein mehrmonatiger Ausfall der Bundesrepublik Deutschland dem ganzen Kontinent schaden wird.“ (tsch)