Sexismus-Debatte in der ARDLouis Klamroth fühlt sich „wie ein alter, weißer Mann“

Louis Klamroth (Mitte) diskutierte mit (von links) Fikri Anıl Altıntaş, Collien Ulmen-Fernandes, Dorothee Bär, Frauke Rostalski und Romy Stangl. (Bild: WDR/Dirk Borm)

Louis Klamroth (Mitte) diskutierte mit (von links) Fikri Anıl Altıntaş, Collien Ulmen-Fernandes, Dorothee Bär, Frauke Rostalski und Romy Stangl.

Jede dritte Frau in der EU hat Gewalt erfahren. Auch in Deutschland steigen Straftaten gegen Frauen und Mädchen, das zeigen erschreckenden Zahlen des BKA-Lagebericht. Louis Klamroth versuchte sich bei „Hart aber fair“ in der Aufarbeitung und sprach dafür unter anderem mit Ricarda Lang und Dorothee Bär.

Gewalt erlebte Romy Stangl bereits im Elternhaus. „Die ganze Famile saß im Wohnzimmer, während mich mein Vater im Flur zusammengeschlagen hat“, erzählte sie der „Hart aber fair“-Redaktion. Dass er danach mit zitternden Händen gesagt hätte, wie sehr er sie liebte und wie leid es ihm tue, sei ein schwacher Trost gewesen. Für Romy Stangl war klar: „Ich möchte das nicht in meinem Leben.“ Doch es sollte anders kommen. Nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes wurde auch ihre große Liebe gewalttätig. Als sie ihren Sohn im Kindergarten ablieferte, bemerkte eine Kindergärtnerin die Verletzungen und brachte sie ins Frauenhaus. Das war vor 16 Jahren.

Heute kämpft Stangl mit dem Verein One Billion Rising für den Schutz von Frauen: „Wenn meine Geschichte einer Frau, einem Mädchen hilft, rauszukommen, dann ist das der richtige Schritt“, klärt sie über das Tabuthema auf: „Wer zuschlägt, hat die Entscheidung getroffen und ist verantwortlich“, plädiert sie dafür, dass „Scham die Seite wechselt“ - von den Betroffenen zu den Tätern.

„Hart aber fair“: Schockierende Zahlen zu Gewalt gegen Frauen

Für den Schutz im Frauenhaus sei sie auch Jahre später „sehr dankbar“, betonte Stangl, die als eine der - überwiegend weiblichen - Gäste bei Louis Klamroth am Montagabend über Hass und Gewalt gegen Frauen diskutierte. Laut Lagebericht des Bundeskriminalamts wurden im Jahr 2023 180.715 Frauen Opfer häuslicher Gewalt. Hierzulande fehlen jedoch rund 13.000 Plätze in Frauenhäusern.

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„Hinter jeder Zahl steht eine menschliche Geschichte“, richtete Stangl den Fokus auf das Wesentliche und warnte: „Zahlen machen eine Hornhaut drüber, dass das Thema nicht nahbar ist.“

„Es gibt Themen, die sind wichtiger als Wahlkampf“, stellte Grünen-Frau Ricarda Lang unter Applaus klar. (Bild: WDR/Dirk Borm)

„Es gibt Themen, die sind wichtiger als Wahlkampf“, stellte Grünen-Frau Ricarda Lang unter Applaus klar.

„13.000 Plätze fehlen, an wem liegt das?“, wollte Louis Klamroth dennoch von Dorothee Bär wissen. Den Gefallen, die Schulddiskussion zu eröffnen, tat die stellvertretende Parteivorsitzende der CSU ihm nicht. Vielmehr verwies sie auf den nationalen Aktionsplan der Union zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, in dem der Bund Frauenhausplätze mitfinanzieren sollte. „Momentan zahlen Länder und Kommunen“, betonte sie. Den gesamten Punkteplan wollte sie zwar nicht „runterbeten“, einen Aspekt aber sehr wohl: Eine elektronische Fußfessel sollte den Aufenthaltsort der gewaltbereiten Männer nachverfolgbar machen.

Was das Publikum goutierte, stieß bei Stangl auf Kritik: „Gewaltschutz für Frauen ist wichtig, aber die Investition in Täterprävention muss in finanzieller Art und Ressourcen zunehmen“, forderte sie „progressivere Gesetzeslagen wie das Gewalthilfegesetz“. Es gäbe vielen Betroffenen Hoffnung.

Beifall für Ricarda Lang: „Es gibt Themen, die sind wichtiger als Wahlkampf“

Kürzlich hatte das von Rot-Grün vorgelegte Gewalthilfegesetz im Kabinett Zustimmung gefunden und müsste jetzt im Bundestag beraten werden. Es soll für jede Frau den Rechtsanspruch für Schutz vor Gewalt bringen. „Geht es durch?“, erkundigte sich Klamroth bei Ricarda Lang, bis November 2024 Parteivorsitzende Bündnis 90/Die Grünen.

„Das müssen Sie Doro Bär fragen, ich würde es mir wünschen“, schob Lang der CSU-Politikerin den schwarzen Peter zu. Wollte sich Bär anfangs nicht festnageln lassen, lenkte sie dann doch ein: „Wenn wir unsere Vorstellungen mit einarbeiten, es noch gemeinsam verbessern, kann ich gerne die Hand reichen.“

„Ich halte nichts von Gegeneinander, das sollen ein paar Jungs machen“, genehmigte sich Dorothee Bär (CSU) einen Seitenhieb gegen ihre männlichen Parteikollegen. (Bild: WDR/Dirk Borm)

„Ich halte nichts von Gegeneinander, das sollen ein paar Jungs machen“, genehmigte sich Dorothee Bär (CSU) einen Seitenhieb gegen ihre männlichen Parteikollegen.

„Das Angebot nehme ich sehr gerne an“, antwortete Lang rasch. „Ich würde mir wünschen, dass wir das im Januar gemeinsam beschließen. Wahlkampf werden wir noch genug führen“, gab sie sich unter Applaus versöhnlich, „aber es gibt am Ende genug Themen, die sind wichtiger als Wahlkampf - dazu gehört das.“ Bär bestätigte: „Ich halte nichts von Gegeneinander, das sollen ein paar Jungs machen. Wir sollen mehr miteinander machen.“

Nur Frauke Rostalski vom Deutschen Ethikrat hielt von dieser Verschwesterung offenbar wenig: „Das Gewalthilfegesetz ist richtig, setzt aber nicht an der Wurzel an“, verwies die Rechtswissenschaftlerin auf eine fast 28-prozentige Zunahme an sexualisierten Straftaten seit 2019. 90 Prozent aller Vergewaltigungen würden im unteren Drittel bestraft, zu 99 Prozent auf Bewährung. „Im gesamten Bereich Gewalt- und Frauenschutz muss es eine verpflichtende Weiterbildung für Richter und Staatsanwälte geben“, erkannte auch Lang Maßnahmenbedarf und betonte, dass es sich nicht nur um „Frauenthemen“ handle, sondern um „Grundfragen der demokratischen Gesellschaft“.

Deshalb dürfte man einer Partei wie der AfD „nicht guten Gewissens seine Stimme geben, wenn man möchte, dass die eigene Tochter eine gute Zukunft in diesem Land hat“, machte Bär jetzt doch etwas Wahlkampf. Allerdings gegen einen gemeinsamen Feind.

Fikri Anıl Altıntaş: „Nicht alle Männer werden gleich mit einen femininstischen T-Shirt herumlaufen“

Ein gutes Stichwort für Klamroth, sich auf die Männer zu stürzen - oder vielmehr auf den Mann in der Runde Fikri, Anıl Altıntaş (Autor, Botschafter der UN-Kampagne #HeForShe): In Deutschland hätte jeder dritte Mann ein sexistisches Weltbild, zitierte der Hahn im Korb aus der Leipziger Autoritarismusstudie 2022. Verharmlosen dürfte man das keineswegs, denn: „Das sind die Rechtsextremen von morgen“, bezog er sich auf weitere Studien. Influencer wie Andrew Tate machten sich das zunutze. Sie zeichneten ein Männlichkeitsbild, das alle Probleme löse.

„Gewalt und Aggression sind schädliche Bewältigungsmechanismen“, wies Moderatorin und Schauspielerin Collien Ulmen-Fernandes auf Depressionen und andere psychische Probleme bei Männern hin. Wenn ihr beim Dreh einer Dokumentation T-Shirts mit der Aufschrift „Jungen weinen nicht“ aus der Hand gerissen würden, verdeutlichte das das gefährliche Männlichkeitsbild.

„Die Ungleichwertigkeit zwischen den Geschlechtern beginnt im Kinderzimmer“, hielt Altıntaş gesetzliche Verbote von sexistischem Kinderspielzeug und Gendermarketing - wie sie in Spanien existieren - für überlegenswert. „Jetzt müssen Sie mir helfen“, fiel es Klamroth schwer, diese Argumentation nachzuvollziehen, „ich komme mir fast wie ein alter, weißer Mann vor: Was ist ein sexistisches Spielzeug?“

Auch Altıntaş hatte beim Erklärungsversuch seine Probleme, verrannte sich in blauen T-Shirts und Astronauten und blickte hilfesuchend in seine weiblich dominierte Umgebung: „Ihr könnt das besser beschreiben als ich, aber den Mädchen wird gesagt, geht nicht raus, seid nicht so laut.“

Gesetze wie in Spanien oder Großbritannien könnten solche Geschlechterstereotypen reduzieren. „Aber wir dürfen nicht vergessen, das sind nur Gesetze. Es werden nicht alle Männer sofort mit 'Wir sind Feministen'-T-Shirts herumlaufen. Aber wir müssen jetzt Maßnahmen setzen, dass der Sexismus von Männern verlernt wird.“ (tsch)