Eine militärische Eskalation zwischen Russland und der NATO ist wieder erschreckend denkbar geworden. Doch wie sähe ein solcher „Krieg der Zukunft“ aus? Eine zweiteilige ZDF-Doku spielt Szenarien zu Land und in der Luft durch. Erstrebenswert ist keines von ihnen.
Was wäre, wenn Putin die NATO angreift?ZDF-Doku schildert ein Szenario zum Gruseln
Fünf bis acht Jahre - so lange werden die russischen Streitkräfte brauchen, um sich nach den in der Ukraine erlittenen Verlusten für einen Krieg gegen die NATO zu rekonstituieren. Davon ist der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, überzeugt. Und er schlussfolgert: Gegen Ende des Jahrzehnts müsse man „fertig sein“.
Was das heißt, „fertig sein“ in der Vorbereitung auf eine neue alte Bedrohung, das hinterfragt die zweiteilige ZDF-Dokumentation „Krieg der Zukuft“ von Andreas Orth (ab Montag, 10. Februar, abrufbar in der Mediathek). Was wäre die NATO im Zweifel auch ohne die USA zu leisten imstande? Wie groß ist der Nachholbedarf der Bundeswehr nach Jahrzehnten des Kaputtsparens? Und wie sähe das konkret aus, wenn passiert, was niemals passieren darf - ein Krieg entlang der NATO-Ostflanke?
„Russland würde mit sehr starken Kräften auf deutschem Boden angreifen“
Es sind sehr informative, aber auch sehr verstörende 90 Minuten.
„Deutschland in einem Krieg mit Russland ist das Aufmarschgebiet für die NATO-Truppen“, sagt im Film der Analyst Franz-Stefan Gady vom International Institute for Strategic Studies in London: „Dementsprechend würde Russland mit sehr starken Kräften auf deutschem Boden angreifen, mit ballistischen Raketen, Marschflugkörpern, Drohnen, Cyber-Angriffen und so weiter.“
3.000 Kilometer ist die NATO-Ostflanke lang. Deutsche Truppen würden nach Stand der Dinge vor allem in Litauen und Polen kämpfen. Litauen sei „der beunruhigendste der drei baltischen Staaten“, meint der luxemburgisch-französische Politikberater François Heisbourg.
Der Grund: „Die Russen könnten davon ausgehen, dass Deutschland ein geringeres Risiko darstellt, als sich beispielsweise mit den Truppen der Atommächte in Estland anzulegen, wo Briten, Franzosen und Amerikaner sind.“ Ein Angriff auf Polen wäre ebenfalls „eine sehr große Sache verglichen mit der kleinen litauischen Armee und nur einer deutschen Brigade mit nur wenig Kampferfahrung.“
„Auf den Krieg mit Drohnen ist die Bundeswehr derzeit kaum vorbereitet“
Wenig Kampferfahrung, dazu teils veraltetes Material in zu geringer Menge. Es sind nicht die besten Vorzeichen, unter denen sich das Unternehmen „Zeitenwende“ im Rekordtempo vollziehen soll. Aber wird nicht immer von der technologischen Überlegenheit der NATO gegenüber Russland gesprochen? Hier nimmt einem der ZDF-Film manche Illusion.
„Auf den Krieg mit Drohnen ist die Bundeswehr derzeit kaum vorbereitet“, heißt es etwa mit Blick auf die ausgedünnten Panzerbestände der Bundeswehr. Zwar würden Panzer mit immer mehr Schutzfunktionen hochgerüstet. Allerdings um den Preis von mehr Gewicht. „Das führt dazu, dass man sich in Europa fragen muss, über welche Brücken können diese Panzer eigentlich fahren“, legt der Oberst a.D. Wolfgang Richter den Finger in eine von vielen klaffenden Wunden im Verteidigungskonzept. Russische Panzer wie der ältere, aber leichtere T-72 aus der Zeit des Kalten Krieges seien da im Vorteil. Und günstiger. Die modernste Version des Leopard kostet rund 20 Millionen Euro.
Auch in der Luft gilt: Je komplexer das System, desto höher der Wartungsaufwand. Und die Kosten. Der Kampfjet Eurofighter gilt bereits als veraltet. Von den amerikanischen F-35-Jets hat Deutschland 35 Stück bestellt. Es ist ein fliegender Supercomputer, aber noch immer mit diversen technischen Problemen behaftet.
„Nehmen Sie Begriffe wie 'Iron Dome' nicht für bare Münze. Das ist Marketing.“
Acht Milliarden Euro lässt sich die Bundeswehr das israelische Arrow-3-Luftverteidigungssystem kosten. Das aber schützt nicht vor Marschflugkörpern. Der Wissenschaftler Justin Bronk vom Royal United Services Institute in London nennt die Investition „weniger erfreulich“: „Man hätte für das gleiche Geld ziemlich viele andere Dinge kaufen können. Und das Hauptproblem ist: Weil es israelisch ist, ist es nicht wirklich möglich, es in die NATO-Luftabwehr zu integrieren.“
Nach jetzigem Stand müssten die Hauptlast bei der Luftverteidigung die deutschen Patriot-Raketen leisten. Die Bundeswehr verfügt derzeit aber über nur neun Systeme. Um das ganze Land zu schützen, bräuchte es jedoch 50 bis 60 Systeme, wie der Hamburger Friedensforscher Timur Kadyshev vorrechnet.
Und selbst die wären nur bedingt imstande, Angriffe abzuwehren. „Nehmen Sie Begriffe wie 'Iron Dome' oder 'Schutzschild' nicht für bare Münze“, warnt Kadyshev im Interview vor der Kamera. „Das ist Marketing. Es ist nur eine Waffe. Sie garantiert keine völlige Sicherheit.“
„Technik und Kommunikation“, zieht der ZDF-Film sein Fazit, würden auf dem Schlachtfeld der Zukunft zentrale Rollen spielen. Vor allem aber das Zusammenwirken aller Truppenarten, Waffensysteme und Drohnenschwärme. Aber: Auch Infanterie, also Fußsoldaten, würden weiter gebraucht, um feindliche Stellungen zu stürmen und Positionen zu sichern.
Experte spricht von Zehntausenden Verlusten „in den ersten Stunden“
Dass Maschinen anstelle von Menschen den Krieg ausfechten und so das Leid minimiert wird, ist eine gefährliche Fehlannahme. Der „Krieg der Zukunft“ werde völlig neuartig sein, mit Robotern, Drohnen und KI - und gleichzeitig so wie immer, mit Toten und Verwundeten in Schützengräben.
Mit den größten Verlusten müsse man unmittelbar nach Kriegsausbruch rechnen, sagt der Analyst Gady im ZDF-Film: „Das wird disproportional die Kampftruppen auf deutscher oder NATO-Seite treffen. Hier rede ich wirklich von Verlusten, die in die Zehntausende gehen können in den ersten Stunden. Ist die NATO fähig, derartige Verluste zu absorbieren? Im Moment ist sie es dezidiert nicht.“
Der Hamburger Rüstungsexperte und Friedensforscher Ulrich Kühn erörtert im gleichen Zusammenhang: „Wenn man relativ früh ausschließt, dass man das Ganze nuklear ausfechten möchte, wird Masse zählen, und das ist ein Problem, weil das ist eine Art von Krieg, die wir in Europa nicht mehr führen können und wollen. Es ist auch für uns politisch nicht mehr vertretbar.“ Besser wäre es, die These muss nie an der Wirklichkeit überprüft werden. (tsch)