„Keine Vision, keine Kompetenz“Mitglieder-Initiative entzieht FC-Bossen Vertrauen
Köln – „Gemeinsam gewinnen alle!“ Mit dieser Botschaft trat 2019 der Vorstand des 1. FC Köln zur Wahl an. Einer, der sich viel von der neuen Führung versprochen und für sie im Vorfeld gekämpft hatte, ist Philipp Herpel (47). Und der enzieht dem Vorstand und damit auch dem zur Wahl antretenden Carsten Wettich (41) das Vertrauen. Im EXPRESS-Interview erläutert der Anführer der Mitglieder-Initiative „100% FC – Dein Verein“, warum das so ist.
- Philipp Herpel half Werner Wolf im Vorfeld der Wahl 2019
- Warum die Investoren-Freiheit ein hohes Gut ist
- „Desaströses Verhältnis von Aufwand und Ertrag beim 1. FC Köln“
Philipp Herpel ist Experte für Fußball-Strategien
Seit 31 Jahren ist er FC-Mitglied und zudem seit vielen Jahren in der Mitgliederinitiative „100% FC – Dein Verein“ engagiert. Er ist seit über 15 Jahren und seiner Zeit beim Organisationskomitee der WM 2006 aber auch ein Experte der Fußball-Industrie für Strategien, Organisationsmanagement und Sportinfrastrukturen. Mit seiner Firma berät der Dozent am Institut für Sportökonomie der Deutschen Sporthochschule die FIFA, UEFA, DFL und den DFB genauso wie Organisationskomitees, Regierungen, Austragungsorte, Stadien und Fußballklubs.
1. FC Köln: Werner Wolf verlor Mitglieder-Dialog aus den Augen
Herpel hätte seine Expertise gerne auch nach der Wahl zum Wohle des 1. FC Köln eingebracht. Kaum gewählt, wollten Wolf & Co. von einer nachhaltigen Strategieentwicklung und einem Mitgliederdialog auf Augenhöhe allerdings nur noch wenig wissen – Corona dient in den zurückliegenden Monaten für sämtliche Fehlentwicklungen als Entschuldigung und Erklärung. „Dem Vorstand fehlt es an Kompetenz, Führungsstärke und einer nachhaltigen Vision, unseren Verein erfolgreich zu führen“, sagt Herpel und erklärt das im EXPRESS-Interview am 5. Juni 2021.
Herpel, einer der Vorkämpfer der Initiative „100% FC – Dein Verein“, im Gespräch über die Kritik von Volker Struth an der FC-Strategie, über die Chancen für den 1. FC Köln und die Fehler des Vorstands.
Wie steht der 1. FC Köln aus dem Blick der engagierten Mitgliederschaft zwei Wochen vor der Mitgliederversammlung da?
Ich erlebe den 1. FC Köln uneins. Uneins in der Führung, in der Vorstand und Geschäftsführung nicht an einem Strang ziehen, und uneins mit der Mitgliederschaft. Der Vorstand agiert viel zu langsam und rückwärtsgewandt. Er reagiert viel zu spät und fast ausschließlich nur auf Dinge, die ganz offensichtlich falsch laufen. Selbst vermeintlich richtige Schritte werden falsch angegangen. Dabei steht der Klub gerade jetzt vor wegweisenden Herausforderungen.
Nach dem Saisonende hat der Spielerberater Volker Struth den Vorstand in einem Interview ebenfalls kritisiert. Er sprach von „Traumtänzern im Märchenland“. Stimmen Sie ihm zu?
Nein, denn man muss wissen, dass Herr Struth finanzielle Eigeninteressen verfolgt. Klar ist er daran interessiert, dass weiterhin jährlich knapp 200 Millionen Euro an Beratergeldern in den deutschen Fußballkreislauf gepumpt werden. Und er hat ein Interesse, einen Spieler wie Mark Uth erneut hochdotiert beim FC unterzubringen. Aus dem betriebswirtschaftlichen Blickwinkel eines rational agierenden Fußballklubs betrachtet, kann man seinen Positionen nicht folgen.
1. FC Köln: Mythos Europapokal oder Aschenplatz
Eine These lautet: Ohne Investoren geht es auch, doch dann spielt man halt bald in der dritten Liga gegen Zwickau.
Das ist Quatsch. Dem Mythos „Asche oder Europapokal“ muss ich vehement widersprechen. Dieser wird von Personen vertreten, die ein finanzielles Interesse an möglichst hohen, externen Kapitalzuflüssen haben. Zum Beispiel eben den Spielerberatern. Von diesen lassen sich dann leider auch viele Fans vor den Karren spannen, welche die komplexen Zusammenhänge und Alternativen gar nicht vollständig überblicken können. Schauen Sie nach Berlin oder Hamburg: Zusätzliche Gelder führen eben nicht zwangsläufig zum Erfolg. Amüsant ist, dass Struth unter anderem Freiburg und Mainz als Musterbeispiele benennt, die es besser machen würden als der FC. Nehmen Sie noch Borussia Mönchengladbach dazu und Sie haben drei Vereine, die eindrücklich beweisen, dass man auch ohne externe Geldgeber und deren Einfluss gesund und erfolgreich Fußball-Unternehmen führen kann. Dazu braucht man drei Dinge: Professionalität auf allen Ebenen des Klubs, Führungsstärke in der Anleitung und Integration aller Geschäftsprozesse und eine klar formulierte Strategie, die man auch konsequent leben muss.
So kann der 1. FC Köln erfolgreich sein
Mit einer guten Strategie kann der FC langfristig erfolgreich sein?
Selbstverständlich. Der FC muss zudem endlich aus den Fehlern lernen, also eine konstruktive Fehlerkultur einführen und leben. Es kann doch nicht sein, dass der FC seit Jahren angesichts des eingesetzten Geldes dem Erfolg hinterherrennt. Das desaströse Verhältnis von Aufwand und Ertrag ist leicht von den erzielten Punkten im Verhältnis zum Spieleretat abzulesen. Vereine wie Mainz oder Freiburg liegen in dieser Effizienztabelle weit vor dem FC. Da fehlt es mir seit Jahren absolut an dem erkennbaren Willen, den FC nachhaltig und vorwärtsgewandt zu entwickeln. Unser FC muss viel stärker seine Standortvorteile nutzen. Allen Lippenbekenntnissen zum Trotz führt die Kooperation mit der Sporthochschule nicht weit genug. Heute ist es für Fußballklubs längst üblich mit Wirtschaftsinformatikern und -wissenschaftlern zu kooperieren, eine Vielzahl an Datenanalysten zu engagieren, um abseits der ausgetrampelten Pfade fundierte Entscheidungen zu treffen. Mit diesem Know-How würde man auf keinen Fall für einen verletzungsanfälligen und bald 30-Jährigen Spieler ein acht bis zehn Millionen Euro-Paket schnüren, wenn man nachhaltige Transferwerte schaffen wollte. Hochgradig professionell geführte Fußballunternehmen wie Hoffenheim oder Leipzig würden dies niemals tun.
Herpel: Strategie wichtiger als Investor
Sie sprechen zwei funktionierende Investoren-Modelle der Bundesliga an. Ist das also doch das bessere Modell?
Nein. Ob man die Unternehmen jetzt mag oder nicht: Sie sind extrem erfolgreich und das nicht allein aufgrund der finanziellen Möglichkeiten. Es sind vielmehr die jeweiligen Strategien und handelnden Personen, die diese Modelle erfolgreich machen. Das Red-Bull-Imperium mit seiner weltweiten Strategie in der Sportunterhaltungsindustrie oder das Modell Hoffenheim, mit seinem eher in der Region verankerten Ansatz – beide Modelle und Strategien lohnen sich für die Eigner am Ende auch noch wirtschaftlich, sonst würden sie kein Geld investieren. International wären Brentford oder Midtjylland weitere Beispiele, von denen man lernen könnte. Genau da liegen neben unseren Standortvorteilen die großen Chancen für den 1. FC Köln. Zumal man sich vor Augen führen muss, was für ein Verein von Weltrang unser FC ist.
Herpel: „1. FC Köln ist ein Klub von Weltrang“
Jetzt klingen sie aber ganz schön vermessen. Dieser Fahrstuhl-FC soll ein Klub von Weltrang sein?
Das ist Fakt: Der FC ist der sechstgrößte, unabhängige Fußballklub der Welt (Anmerkung: neben Schalke 04, River Plate, Barca, den Boca Juniors und Internacional Porto Alegre). Und unabhängig bedeutet, dass ein Klub nicht fremdbestimmt ist und ausschließlich seinen Mitgliedern gehört. Warum suchen wir bei der dahinsiechenden Internationalisierung da nicht den Schulterschluss? Fußballfans gehen weltweit gegen eine Super League auf die Straße und werden sich mehr und mehr gewahr, welchen Wert unabhängige Fußballvereine haben. Wir würden ohnehin nicht mit einmaligen 25, 50 oder auch 100 Millionen Euro den Erfolg erlangen, den sich alle für den 1. FC Köln ersehnen. Der HSV, Hertha BSC und die ganzen anderen gescheiterten Investorenmodelle belegen nachdrücklich, dass genau diese Träumereien das von Herrn Struth angeführte „Märchenland“ darstellen. Was viel wichtiger ist als Geld: Wir müssen den FC auf allen Ebenen professionalisieren: natürlich im sportlichen Bereich, aber auch bei Themen wie der Unternehmensführung, Finanzen, Marke, Innovation und so weiter. Stand heute ist „Spürbar anders“ nur eine leere Worthülse. Wir sind eben nicht „anders“ oder besser als die Mitbewerber. Wir müssen die Entwicklungen und Chancen im Weltfußball, aber auch in Gesellschaft und Wirtschaft, gründlich analysieren und endlich zu unserem Vorteil nutzen.
Der Vorstand ging mit dem Slogan zur Wahl: Gemeinsam gewinnen alle. Wie wird der Slogan aus Sicht eines engagierten Mitglieds gelebt?
Nullkommanull. Dieser Verein lebt davon, dass an Spieltagen im Stadion oder in Kneipen zehntausende FC-Fans zusammenkommen, um mit unserem Klub zu fiebern; dass engagierte Mitglieder zur Mitgliederversammlung gehen und gemeinsam diskutieren. All das wird uns allen derzeit genommen und die Klubführung hat in der Pandemie nicht eine einzige Alternative geschaffen, in der man den FC gemeinsam erleben kann. Keine gemeinsamen Workshops, keine Mitgliederbefragungen, keine Satzungskommission oder ähnliches für die überfällige Diskussion erforderlicher Anpassungen an der Satzung. Es gibt einen Fandialog hinter verschlossenen Türen, ein paar Audienzen in Form einseitig gesteuerter Mitgliederstammtische aber keinerlei Dialog mit und unter den Mitgliedern auf Augenhöhe.
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Sieben-Jahres-Strategie für den 1. FC Köln
Der Vorstand will nun eine Sieben-Jahres-Strategie vorstellen. Vielleicht geht es jetzt ja richtig los?
(lacht) Der 1. FC Köln braucht zwar seit einem Vierteljahrhundert dringend eine Strategie, man muss aber schon die Frage stellen, warum der Vorstand diese erst jetzt vorstellt. Warum haben die handelnden Personen, die alle mindestens seit acht bzw. über zehn Jahren verschiedene Ämter im Verein bekleiden, in all der Zeit keine Strategie eingefordert oder entwickelt? Was soll in einer Strategie stehen, die mit externen Unternehmensberatern entwickelt wurde, die naturgemäß rein zahlenorientiert denken? Welches Wertesystem soll denn dahinterstehen? Ich hege da keinerlei Erwartungen, vor allem nicht, weil zu keinem Zeitpunkt in ausreichender Form mit den Eignern des Fußballklubs gesprochen wurde: den Mitgliedern.
Jetzt verlangen sie aber ein bisschen viel. Ist es nicht naiv zu glauben, man könnte 111 000 Mitglieder über eine Strategie diskutieren lassen?
Das ist genauso naiv, wie zu glauben, dass am Ende drei Personen allein entscheiden sollten, ohne die Mitgliederschaft im gesamten Prozess mit einzubinden - von wegen gemeinsam gewinnen alle?! Eine repräsentative Demokratie lebt davon, dass die Gremien ihre Vertretungsfunktion ernst nehmen. Und dazu gehört ein ehrlicher und ernstgemeinter Prozess der gemeinschaftlichen Meinungsbildung. Man muss alle Leute mitnehmen, die sich einbringen wollen. In jedem Taubenzüchterverein können sich interessierte Mitglieder mehr in die Geschicke ihres Vereins einbringen als beim 1. FC Köln.
Gremien sind ein schönes Stichwort. Der Standardvorwurf lautet: Beim FC könne man wegen der vielen Gremien nicht erfolgreich arbeiten. Richtig?
Nein, der 1. FC Köln hat im Kern die gleiche Struktur wie alle anderen Bundesligisten. Es gibt eine Operative und es gibt Entscheidungs- und Kontrollorgane. Es sind in allen Konstrukten die handelnden Personen, die über den Erfolg und Misserfolg entscheiden. Es muss auch beim FC ein Aufsichtsorgan geben und es wäre völlig absurd, wenn in diesem Organ nicht die Eigner des Unternehmens vertreten sind – und das sind beim 1. FC Köln die Mitglieder.
Ein weiterer häufig formulierter Vorwurf lautet, der FC habe zu wenig Fußballkompetenz im Vorstand und in den Gremien. Gerne wird dann auch nach ehemaligen Profis gerufen. Ist das tatsächlich entscheidend?
Überhaupt nicht. Natürlich braucht ein Fußballverein Experten, die entscheiden, welches Spielsystem gespielt wird und die Kaderplanung und Jugendarbeit entsprechend ausrichten. Dazu muss man aber kein ehemaliger Spieler gewesen sein. Dazu kommen noch all die bereits angesprochenen Kompetenzen, die über den Erfolg eines Fußballunternehmens mitentscheiden. Woher soll ein ehemaliger Fußballer über all diese Expertisen verfügen, die ein moderner Klub braucht? Wenn er sie nachweisen kann, fantastisch, aber das ist alles andere als selbstverständlich.
Keine Wahlempfehlung für Carsten Wettich
In welcher Rolle sehen Sie den Vorstand des 1. FC Köln?
Der Vorstand gibt die Richtung vor, in die sich ein Verein und Klub entwickeln sollte. Deshalb erwarte ich vor allem eins: Führungsstärke. Neudeutsch nennt man das „Leadership“. Der Vorstand sucht und beruft dazu die fähigsten Manager für die operative Steuerung der anstehenden Herausforderungen, und schwört sie auf die Vision ein, die es hoffentlich gibt. Und natürlich kontrolliert der Vorstand die Geschäftsführung, ob sie die gemeinsam festgelegten Ziele erreicht. Sprich: ob sie erfolgreich ist.
Nun stellt sich Carsten Wettich am 17. Juni zur Wahl, will Vizepräsident werden. Gibt es eine Wahlempfehlung?
Wir kamen als 100% FC in den letzten Wochen leider zu der Erkenntnis, dass kaum etwas von dem, was der Vorstand bei seiner Wahl versprochen hatte, gehalten wurde. Carsten Wettich sitzt seit 2015 im Gemeinsamen Ausschuss, hat 2019 das Vorstandsteam mit ausgewählt und ist seit mehr als anderthalb Jahren Teil des Vorstands. Die zwingend erforderliche Debatte über das Für und Wider von Anteilsverkäufen hat es trotz aller Versprechungen nie gegeben. Zudem war er an einer Reihe schwerwiegenden Fehlentscheidungen beteiligt. Deshalb rechtfertigt sein Wirken leider nicht die Wahl von Dr. Carsten Wettich in den Vorstand.
Spielt man da nicht mit dem Feuer? Es gibt Stimmen aus Vorstandskreisen, die malen ein düsteres Bild für den 1. FC Köln, sollte das Trio vorzeitig scheitern.
Die Satzung definiert eindeutig, was passiert, wenn ein Vorstandskandidat nicht gewählt würde. Sollte es so kommen, muss sich der Vorstand die Frage gefallen lassen, warum dies trotz allerbester Voraussetzungen so passieren konnte. Für mich steht fest: Wenn man nicht mit Inhalten und klaren Ideen, sondern nur über Angst- oder Drohszenarien eine Wahl gewinnen kann, dann ist der Vorstand nicht der richtige, um unseren FC in die Zukunft zu führen.