Interview

Thomas HitzlspergerARD-Experte bei EM 2024: „Will nicht dran denken was los ist, wenn ...“

Thomas Hitzlsperger, deutscher ehemaliger Fußballspieler und Fußballfunktionär, spricht auf der Leipziger Buchmesse.

Thomas Hitzlsperger, hier am 23. April 2024, ist bei der EM 2024 in Deutschland Botschafter und TV-Experte bei der ARD.

Thomas Hitzlsperger ist bei der EM 2024 in Deutschland Botschafter und TV-Experte bei der ARD. Vor dem Turnier sprach er im EXPRESS.de-Interview unter anderem über die Titel-Chancen und Druck der Spieler.

von Tobias Schrader  (tsc)

Beim letzten Fußball-Groß-Turnier auf deutschem Boden stand Thomas Hitzlsperger (42) noch selber als Spieler auf dem Feld. 18 Jahre später findet nach der WM 2006 im Jahr 2024 die Europameisterschaft in Deutschland statt.

Auch 18 Jahre später ist Hitzlsperger wieder dabei, diesmal allerdings als TV-Experte am Spielfeldrand. Für die ARD begleitet der Ex-Profi (u. a. VfB Stuttgart und West Ham United) die EM 2024 mit seinen Einschätzungen und Analysen, ist zudem EM-Botschafter. Im EXPRESS.de-Interview sprach er unter anderem über seine Erwartungen an das Turnier, den Druck für die deutschen Spieler und die Titel-Chancen der DFB-Elf.

Thomas Hitzlsperger: „Jeder Tag war ein Genuss“

Thomas Hitzlsperger, 2006 haben Sie mit der WM als Spieler ein großes Turnier im eigenen Land miterleben dürfen. Wie war das damals für Sie?

Alles zum Thema EM 2024

Thomas Hitzlsperger: Damals gab es für mich als möglichen Kaderspieler nur den Gedanken „Ich will dabei sein“. Alles dafür tun, hart trainieren und dann im Kader zu sein. Ich konnte aber auch nicht abschätzen, wie groß das wirklich wird. Wir haben uns vieles erarbeitet, hatten aber auch ein bisschen Glück, dass dieses Turnier dann am Ende so überragend wurde. Weil die Leistung gepasst hat, die Stimmung war überragend, das Wetter war toll. Alles kam da zusammen. Auch Dinge, mit denen man sich im Vorfeld auch nicht so beschäftigt hat, wie etwa das Public Viewing. Dann war es einfach ein Selbstläufer. Jeder Tag war ein Genuss.

Wie sehr freuen Sie sich denn nun auf die Heim-EM im Sommer, für die Sie unter anderem auch Botschafter sind?

Thomas Hitzlsperger: Ich habe das Glück, als Botschafter für das Auswärtige Amt schon unterwegs sein zu dürfen und die Vorfreude ins Ausland zu transportieren. Ich freue mich sehr auf die EM, weil ich das Turnier jetzt in einer anderen Rolle begleiten kann. Damals war ich selbst Spieler, jetzt bin ich TV-Experte. Es ist auch wieder Arbeit, sich mit allen Teams zu beschäftigen, Spieler herauszuarbeiten, Besonderheiten bei den Mannschaften zu sehen. Ein guter Experte zu sein, ist mein Anspruch. Gleichzeitig freue ich mich auch, diese Atmosphäre, die hoffentlich wieder entsteht, hautnah mitzuerleben. Unter den Menschen und im Land unterwegs zu sein und mir keine Gedanken über das Training am nächsten Morgen zu machen.

Sie haben ihr TV-Experten-Dasein bereits angesprochen, für die ARD werden Sie bei den Spielen im Einsatz sein. Wie viel Spaß macht Ihnen dieser Job?

Thomas Hitzlsperger: Das ist schon toll. Nach meiner Karriere ist es die Chance nah dran zu sein, Fußball genießen zu können. Trotzdem kann ich mich tief mit der Materie beschäftigen. Ich kann mir nichts Besseres vorstellen. Ich bin extrem dankbar, dass ich das seit vielen Jahren machen kann. Es ist auch immer wieder eine Herausforderung, weil sich das Spiel kontinuierlich weiterentwickelt. Es ist immer wieder harte Arbeit. Fußball ist unvorhersehbar. Die Dinge spontan richtig einzuschätzen ist eine der Aufgaben für uns als Experten.

Julian Nagelsmann und sein Team hatten mit den Testspielen gegen die Niederlande und Frankreich endlich ein wenig EM-Euphorie versprüht. Wie empfinden Sie die Vorfreude der Fans?

Thomas Hitzlsperger: Das letzte Groß-Turnier in Katar wurde sehr kontrovers diskutiert. Es war sehr zäh und es wurde viel über was anderes gesprochen, außer Fußball. Ich habe mich ja auch beteiligt. Jetzt merke ich, dass das Turnier näherkommt, die Fans fragen nach. Ich merke es auch bei mir selbst, das ist der beste Indikator, dass ich sage: „Ich will da dabei sein“. Je näher es kommt, desto mehr beschäftigen sich die Leute damit. Ich bin sehr zuversichtlich, dass es auch wieder gut wird.

Thomas Hitzlsperger über die deutschen Titel-Chancen

Nach den enttäuschenden Turnieren zuletzt, was trauen Sie der DFB-Elf im Sommer zu?

Thomas Hitzlsperger: Ich traue ihr schon viel zu. Wir sind nach wie vor eine gute Mannschaft, haben eine Vielzahl an guten Spielern. Ich würde nicht sagen, dass wir Top-Favorit sind, aber in der vorderen Spitzengruppe sind wir dabei. Und wir haben den Heim-Vorteil, da baue ich sehr stark drauf. Wenn es schnell wieder gelingt so eine Verbindung zwischen Publikum und Mannschaft herzustellen, dann setzt das etwas frei, was andere Mannschaften in der Regel nicht freisetzen können. Das ist extrem wertvoll und meine Hoffnung, dass das wieder eintritt.

Wer sind denn Ihre Favoriten auf den EM-Titel?

Thomas Hitzlsperger: Frankreich sehe ich da vorne, Portugal hat eine tolle Qualifikation gespielt und ist mit tollen Spielern bestückt. Auf die sollte man schon schauen. Bei England ist es die Frage. Seit Jahrzehnten schaut man sich die Spieler an und denkt, dass sie weit kommen können. Bei der letzten EM waren sie immerhin im Finale. Bei den Engländern kann viel gehen, zumal dort auch viele Fans mitreisen werden.

Die DFB-Elf hatte seit der WM 2022 in Katar keine Pflichtspiele mehr. Glauben Sie, dass das ein Nachteil gegenüber den anderen Mannschaften ist, die unter anderem durch die Qualifikation mussten?

Thomas Hitzlsperger: Nein, weil man auch bei den Testspielen die Anspannung gemerkt hat, wie wir jedes Testspiel auch sofort wieder bewerten. Julian Nagelsmann hat nach den zwei Niederlagen gegen die Türkei und in Österreich nochmal den Kader verändert. Da war schon genug Druck drauf. Es ist zwar schön, dass man experimentieren und ein Spiel auch mal verlieren kann, dennoch gibt es eine hohe Grundanspannung. Da sehe ich überhaupt keinen Nachteil. Da gibt es eine Parallele zu 2006, da waren die Testspiele zuvor auch nicht überragend und am Ende war das Turnier super.

2006 war der 4:2-Sieg im Eröffnungsspiel gegen Costa Rica ein Brustlöser, was die Stimmung für den Turnierverlauf anging. Wird das im Spiel gegen Schottland am 14. Juni genauso wichtig sein?

Thomas Hitzlsperger: So ein Eröffnungsspiel kann immer helfen. Aber das zweite Spiel dann auch zu gewinnen und sich frühzeitig für die nächste Runde zu qualifizieren, das wäre wichtig. Alleine ein Eröffnungsspiel zu gewinnen, reicht nicht. Aber ich will auch gar nicht dran denken was los ist, wenn das nicht gewonnen wird.

ARD-Experte Hitzlsperger über Nagelsmann-Verlängerung

Ist das zweite Spiel für die Köpfe der Spieler dann sogar nochmal etwas schwieriger anzugehen, als ein Eröffnungsspiel?

Thomas Hitzlsperger: Das kann man vorher gar nicht sagen. Das Eröffnungsspiel hat definitiv eine große Bedeutung, weil das nochmal ein anderes Anspannungslevel ist. Man ist die erste Mannschaft, die ganze Welt schaut auf dieses Spiel. Wenn das Turnier mal läuft, dann verläuft es sich auch so ein bisschen.

War die Entscheidung, mit Nagelsmann bereits vor der EM bis 2026 zu verlängern richtig? Oder hätte man den Turnierverlauf abwarten sollen?

Thomas Hitzlsperger: Auf dem Trainermarkt – egal ob Bundesliga, international oder bei den Nationalmannschaften – hängt alles miteinander zusammen. Rudi Völler hat das gut gemacht, dass er Julian Nagelsmann die Wertschätzung gezeigt und gesagt hat, dass er ihn länger beim DFB haben will. Das hat Julian Nagelsmann gespürt. Aus seiner Sicht ist das sicherlich eine gute Entscheidung. Aus Sicht des DFB wollte man glaube ich einfach Sicherheit haben, dass der Trainer bleiben wird. Ich kann es nachvollziehen. Erst einmal wollte man Beständigkeit, keine Diskussion während des Turniers, wie es weitergeht. Das ist beruhigend für den DFB.

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Es hätte natürlich auch so kommen können, dass Nagelsmann mit Deutschland eine überragende EM spielt und währenddessen von einem anderen Klub abgeworben wird.

Thomas Hitzlsperger: Hätte passieren können. Aber das war jetzt auch das Thema bei Ralf Rangnick: Wenn ein Nationaltrainer bei einer EM coacht und weiß, dass er danach zu einem Klub geht, dann muss er sich jetzt schon mit dem Verein beschäftigen. Die neuen Spieler wollen unter anderem schon mit dem Trainer reden. Es ist also sehr kompliziert. Deshalb ist es jetzt für alle Beteiligten eine gute Entscheidung.

Wenn Sie Bundestrainer spielen dürften, wie würde ihre Startelf am 14. Juni gegen Schottland aussehen?

Thomas Hitzlsperger: Das kann ich am besten am 14. Juni beantworten. Wer ist zum Startzeitpunkt wirklich am besten drauf? Wer ist fit? Wir können nicht immer nur sagen: Heute ist es so! An der einen oder anderen Stelle bin ich mir noch unsicher. Auf der Doppelsechs hat das Toni Kroos zuletzt super gemacht, der wird wahrscheinlich auch spielen. Daneben sehe ich Ilkay Gündogan, auch wenn er ein bisschen weiter nach vorne gezogen ist. Florian Wirtz und Jamal Musiala müssen unbedingt auf den Platz. Im Sturm, abhängig vom Gegner, ist Niclas Füllkrug eine gute Option. Aber Kai Havertz ist auch sehr gut, wenn man sieht, welche Leistungen der gerade bei Arsenal zeigt. Joshua Kimmich ist für mich rechts hinten gesetzt, das Thema ist auch erledigt. Er würde gerne zentral spielen, aber er hilft der Mannschaft mehr hinten rechts. Bei Maximilian Mittelstädt war es schon überraschend, dass er da so schnell Fuß gefasst hat. Ich würde ihn gerne auf der Linksverteidiger-Position sehen.