Bayer Leverkusen erwartet in der Bundesliga zunächst den FC Bayern München und tritt dann beim 1. FC Köln an. Reiner Calmund spricht über die Chancen der Werkself in den Duellen und im Meisterkampf.
Reiner Calmund macht den Titel-CheckLeverkusen vor Top-Duellen gegen Bayern und Köln
Leverkusen. Die Werkself als Bayern-Jäger. Vor Beginn des achten Spieltags thronte der Rekordmeister nur dank des um vier Treffer besseren Torverhältnisses auf Platz eins der Bundesliga. Doch Bayer Leverkusen hat zuletzt für Furore gesorgt. 4:0 in Bielefeld, 4:0 bei Celtic Glasgow, 1:0 gegen Mainz, 3:1 in Stuttgart.
Am 17. Oktober 2021 (15.30 Uhr, DAZN) steigt das Spitzenspiel, dann empfängt Bayer 04 die Münchner. Eine Woche später tritt die Mannschaft von Gerardo Seoane (42) beim 1. FC Köln an. Zwei heiße Duelle, auf die die Liga schaut. EXPRESS.de sprach mit Rheinland-Experte Reiner Calmund (72). Der war zwar 28 Jahre für Leverkusen tätig, hat aber auch – vor allem dank seiner Familie – ein Herz für den FC.
Ist Bayer schon bereit für die Spitze?
Reiner Calmund: Da sollten wir alle mal schön auf dem Teppich bleiben. Nur, weil die Bayern jetzt einmal verloren haben, sind beide Klubs noch längst nicht auf Augenhöhe. Gegen Frankfurt hatten die Münchener 73 Prozent Spielanteile und 20:5-Torschüsse. Die haben Kevin Trapp die Torwarthandschuhe fast kaputt geschossen. So viele Bälle hält nicht jeder Keeper. Das Ergebnis täuschte am Ende. Daher sage ich: Bayer kann eher die Europa League gewinnen als Meister werden.
Reiner Calmund: „Bayer kann eher die Europa League gewinnen als Meister werden“
Also wieder nur Vizekusen?
Reiner Calmund: Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich habe Rudi Völler und Simon Rolfes erst vor wenigen Tagen angerufen und zum starken Saisonstart gratuliert. Ich freue mich vor allem für Rudi, dass es in seinem letzten Jahr als Geschäftsführer so gut läuft. Die Mannschaft spielt schnell, attraktiv. Dennoch sind Spiele gegen Glasgow oder Bielefeld nicht mit Duellen gegen Bayern zu vergleichen. Die sind aus einer anderen Liga. Natürlich ist in einem Spiel immer alles möglich und über eine überraschende Meisterschaft würde sich keiner mehr freuen als ich. Leider holen am Ende vermutlich wieder die Bayern den Titel.
Wie werden Sie den Liga-Gipfel verfolgen?
Reiner Calmund: Auf meine Frau, unsere jüngste Tochter Nicha und mich wartet eine tolle Woche. Am Donnerstag vor dem Fußball-Hit hat meine Frau Sylvia Geburtstag. Dann besuchen wir erst in Bochum das Musical Starlight Express, einen Tag später im westfälischen Halle die Show der Ehrlich Brothers. Am Sonntag trennen sich kurzfristig unsere Wege. Sylvia und Nicha besuchen das Phantasialand in meinem Geburtsort Brühl, ich schaue mir natürlich das Bundesliga-Spitzenspiel der Bayern im Leverkusener Stadion an.
Beim Bundesliga Highlight ist die Familie nicht dabei?
Reiner Calmund: Nein, ich habe jedoch beiden einen Stadion-Besuch in Leverkusen in nächster Zeit versprochen. Beim Spitzenspiel möchten wir keinem Fan einen Platz wegnehmen.
Eine Woche später ist Derby in Köln. Was sagen Sie zum FC-Start?
Reiner Calmund: Großes Kompliment. Mit Trainer Steffen Baumgart hat der FC einen tollen Fang gemacht. Er ist – ähnlich wie ich – positiv bekloppt. Was der an der Seitenlinie abzieht, ist sehenswert. Aber das ist nicht nur ein Show-Programm vor der Bank. Seine Mannschaft hat einen klaren Plan, denkt offensiv und wird mit jedem Erfolg selbstbewusster. Vor fünf Monaten hätte man nicht träumen können, solch ein Spektakel beim FC zu sehen.
Wie viel Steffen Baumgart steckt in diesem Kölner Erfolg?
Reiner Calmund: Das Lob gehört natürlich der gesamten FC-Truppe, dennoch ist der „Mann mit der Mütze“ der Hauptverantwortliche für diesen Aufschwung. Steffen Baumgart hat die Kölner reanimiert mit seiner Art. Er hat auch nie gejammert, als absehbar war, dass der FC nur mit der ganz kleinen Tüte einkaufen kann. Baumgart hat etwas geschafft, was einen Trainer unbezahlbar macht: Er hat jeden Spieler besser gemacht. Ich erinnere mich in dem Zusammenhang an Christoph Daum, der 1996 Bayer Leverkusen nach dem gerade entronnenen Abstieg mit einem billigen jungen Kader in die Spitze der Bundesliga führte.
Heißt: Sie trauen dem FC einen Spitzenplatz zu?
Reiner Calmund: Es wäre vermessen, über das obere Drittel zu sprechen. Aber, wenn ich noch einmal zurückblicke. 1996 haben wir mit Bayer durch das Tor von Markus Münch acht Minuten vor dem Abpfiff gegen Kaiserslautern den Abstieg verhindert. Im Jahr darauf fehlten uns am Ende zwei Punkte zur Meisterschaft, weil uns Toni Polster mit dem FC am 33. Spieltag mit 4:0 abgeschossen hat. Deswegen: Im Fußball ist vieles möglich.
Beim Duell Köln gegen Leverkusen wird natürlich auch wieder Florian Wirtz im Fokus stehen. Wie sehen Sie ihn?
Reiner Calmund: Florian Wirtz profitiert von einem sehr harmonischen und fußballverrückten Elternhaus, Vater und Mutter stehen mit beiden Füßen im Leben. Bevor Florian zu Bayer Leverkusen wechselte, hatte er schon einigen Top-Klubs aus der Bundesliga und dem Ausland abgesagt. Er hatte mit seinen Eltern entschieden, dass sein Abitur-Abschluss Priorität hatte. Neben seinem Heimatverein 1. FC Köln kam als Alternative eigentlich nur Bayer Leverkusen infrage, zumal die Entfernung zur Schule bei beiden Klubs nicht weiter als 20 Kilometer betrug.
Reiner Calmund: Bayer Leverkusen ist bei Florian Wirtz mit der ganzen Kapelle aufmarschiert
Für den FC ist dieser Wechsel das größte Versagen der letzten Jahre.
Reiner Calmund: Es steht mir nicht zu, Kritik an den Kölner Verantwortlichen zu üben, warum sie nicht viel früher alles mit ihm klargemacht haben. Aber vermutlich gewann Bayer 04 das Duell um Florian, weil sie direkt mit der kompletten Kapelle bei Familie Wirtz aufspielten. Vereins-Boss Fernando Carro, Sportdirektor Simon Rolfes, der damalige Cheftrainer Peter Bosz und Rudi Völler als Weltmeister, Champions-League-Sieger und ehemaliger Nationaltrainer saßen mit Florian, Papa Hans-Joachim und Mama Karin am Verhandlungstisch. Dieser geballte Wille von Bayer 04 sorgte wahrscheinlich bei Florian Wirtz und seiner Familie für Eindruck. Zusätzlich haben sicherlich die Zahlen im Vertrag und die direkte Teilnahme am Profi-Training mit den Jungstars wie Kai Havertz, Diaby und Co. eine große Rolle gespielt. Im Übrigen spielte zum Zeitpunkt des Wechsels Florians 20-jährige Schwester Juliane schon in der Damen-Bundesliga von Bayer 04.