Am Freitag, 13. August, startet die 1. Fußball-Bundesliga in die neue Saison. Übertragen wir die Partie zwischen Borussia Mönchengladbach und dem FC Bayern München live in Sat.1. Kommentator Wolff-Christoph Fuss (45) spricht vorab Klartext – und räumt mit einem VAR-Gerücht auf.
Bundesliga-Start bei Sat.1Wolff Fuss über FC Bayern, VAR und seinen Sprachgebrauch
Unterföhring. Endlich wieder Bundesliga!
Die Vorfreude ist groß, diesmal insbesondere auch beim Sender Sat.1, der nach vielen Jahren der Abstinenz wieder mitmischt und am Freitag, 13. August, mit der Übertragung des Eröffnungsspiels zwischen Borussia Mönchengladbach und dem FC Bayern München sowie am Dienstag, 17. August, mit dem Supercup-Finale Borussia Dortmund gegen den FC Bayern mit Karacho in die Saison startet.
Als Kommentator sitzt mit Wolff-Christoph Fuss einer der Besten seiner Zunft am Mikro: einer, der Fußball fühlt, denkt und lebt und sich trotz seines Hangs zu kühnen sprachlichen Bildern bei seinen Analysen so gut wie nie verdribbelt. Als die Personalie im Frühsommer verkündet wurde, brach bei Sat.1 regelrecht Jubelstimmung aus: „Was für eine Top-Verstärkung! Wir werden mit ‚ran Sat.1 Bundesliga‘ große Fußballabende feiern“, verkündete „ran“-Sportchef Alexander Rösner.
Dem Sender sei es gelungen, „den besten Fußball-Kommentator Deutschlands zu verpflichten“, schwärmte Rösner von dem 45-Jährigen, der nach wie vor auch für Sky tätig ist. Vor dem Liga-Start spricht Fuss im Interview über einen Traumberuf im Wandel der Zeit.
Herr Fuss, Sie starten bei „ran“ am Freitag, 13. August, mit dem Eröffnungsspiel in die Bundesligasaison. Sind Sie aufgeregt?
Wolff-Christoph Fuss: (lacht) Höchstens vor Vorfreunde. Gladbach gegen Bayern ist ein Kracher, mehr geht ja fast nicht. Bei so einer Paarung geht jedem Fan das Herz auf. Es gibt diesmal eine Menge Geschichten: Bayern tritt erstmals unter dem neuen Trainer Julian Nagelsmann auf, die Vorbereitung holperte. Gladbach, auch mit neuem Trainer, musste im Sommer die schwer verdauliche Rückrunde der letzten Saison aufarbeiten. Außerdem sind voraussichtlich 20.000 Leute im Stadion. Wir werden eine tolle Atmosphäre haben. Das Ganze vor großer Kulisse live in Sat.1. Einen Tag später kommentiere ich bei Sky Dortmund gegen Frankfurt, am Dienstag darauf steht dann wieder bei „ran“ der Supercup an ... – Es geht Schlag auf Schlag. Auch in der Zweiten Liga, die ja schon begonnen hat.
Alle reden von der besten Zweiten Liga aller Zeiten. Sie auch?
Zunächst einmal ist es die am prominentesten besetzte Zweite Liga, die es je gab. Ob's die beste wird, wissen wir nach 34 Spieltagen. Für mich spielt das aber eine eher untergeordnete Rolle - ich gehe jedes Spiel, das ich kommentiere, mit größtem Respekt vor allen Beteiligten an. Da stellt sich nicht die Frage, ob Bundesliga, Zweite Liga oder Europameisterschaft. Der Job bleibt ja der gleiche. Ich gehe grundsätzlich davon aus, dass das nächste Spiel das beste wird.
Wolff Fuss: Zweite Liga genießt soviel Aufmerksamkeit wie nie
Was bedeutet die stark besetzte Zweite Liga fürs Fernsehen?
Ganz klar: Diese Liga wird so viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen wie nie zuvor. Es werden sich mehr neutrale Fußballfans denn je für das Unterhaus interessieren. Wir haben das zum Start in Sat.1 erlebt. Noch nie haben mehr Zuschauer ein Zweitligaspiel live im Fernsehen verfolgt. Es schweben auch einige hochspannende Fragen über dem Geschehen - zum Beispiel: Wie wird sich Schalke 04 nach der desaströsen Abstiegssaison behaupten? Wie ergeht es denen in Sandhausen oder Heidenheim? Wie kommt Werder eine Etage tiefer klar? Was wird aus dem HSV, aus Nürnberg, aus Hannover? Die Ostclubs sind prominent vertreten, und wie ergeht es den alteingesessenen Zweitligisten, angesichts dieser Prominenz?
Die Bundesliga-Spiele der Schalker waren für Kommentatoren allerdings nicht immer vergnügungssteuerpflichtig, oder?
Ach was (lacht). Ich habe Schalke immer gerne kommentiert – das sind Spiele, die Spaß machen, weil sie besonders unterm Brennglas stehen, weil es ein extrem erwartungsgeladenes Umfeld gibt und weil so viele Fans ganz genau hinschauen und hinhören. Außerdem weißt du, bei Schalke ist immer was los. Das kann ganz plötzlich völlig verrückt in die eine oder in die andere Richtung gehen. Es geht auf Schalke nie um nichts.
Wolff Fuss: Ich spreche weiter frei und spontan
Sie sprechen es an: Es wird heutzutage sehr genau hingehört, was Kommentatoren und Reporter von sich geben. Hat das Ihre Arbeit verändert?
Nein, aber da kann ich nur für mich reden. Ich spreche 90 Minuten frei und live und spontan. Da ist klar, es kann nicht jedes Bild immer zu 100 Prozent passen, es kann nicht jede Formulierung sitzen. Es gibt kein Drehbuch. Das sind die Herausforderungen des Berufs. Ich weiß aber sehr wohl um die Verantwortung, die ich trage. Gerade auch für die Sprache, und deshalb nehme ich dieses Thema seit jeher sehr ernst.
Stichwort Political-Correctness: Spüren Sie in dieser Hinsicht Druck?
Null! Ich weiß ja, dass ich weder Rassist bin, noch frauenfeindlich oder gegen eine Religion. Ich weiß, dass ich nicht dazu neige, Menschen spontan zu beleidigen. Ich weiß, dass ich grundsätzlich erst mal Respekt vor jedem Menschen habe. So kann ich also einfach mein Ding machen und mich ganz gut auf mich selbst verlassen. Mir ist aber durchaus bewusst, dass heutzutage Leute der Versuchung erliegen, Sätze aus dem Zusammenhang zu reißen, oder bewusst falsch zitieren, um sich ein bisschen Social-Media-Applaus abzuholen. Auch Beleidigungen scheinen mittlerweile dazuzugehören. Wobei ich noch zu denen gehöre, wo die Leute eben auch schreiben, dass ihnen etwas gefallen hat. Da ist kein besonderer Druck, ich lasse einfach laufen, so wie in den letzten 20 Jahren auch. Darüber hinaus ist es genau richtig, dass wir Sprachgebrauch hinterfragen, dass wir gegebenenfalls potenziell Diskriminierendes aus der Sprache entfernen.
Niemand würde mehr sagen, dass in der Abwehr „Polen offen“ ist ...
So ist es. Gutes Beispiel – diese unsägliche Phrase wurde gedankenlos, teilweise auch in purer Naivität jahrzehntelang verwendet, dabei war sie schon vor Jahrzehnten kritisch. Jetzt ist sie praktisch aus dem Sprachgebrauch verschwunden, und das ist auch gut so.
Am 23. Juli ging es mit der Zweitligasaison los – und es waren endlich wieder Fans im Stadion: Wie fühlte sich für Sie als „ran“-Kommentator der Auftakt auf Schalke an?
Cool! Die Stimmung war fantastisch – die Emotionen waren unabhängig vom Ergebnis gewaltig. Da hatte manch einer feuchte Augen. Ich fand es auch durchaus angenehm, endlich einmal nicht mehr jedes Wort zu hören, das auf den Platz gebrüllt wurde. Es war ein absoluter Genuss – und schon ein besonderes Ereignis, denn im Grunde war vieles anders als in den Geisterspielen all die Monate zuvor.
Wo liegen für Sie die wesentlichen Unterschiede?
Es fehlte so vieles, was fußballtypisch ist – das unmittelbare Feedback von den Rängen auf Aktionen, die auf dem Platz passieren, ist auch für meinen Job als Kommentator essenziell. Ich tat mich daher zunächst nach dem ersten Lockdown recht schwer, eine Haltung zu den Geisterspielen zu entwickeln. Nach zwei, drei Spieltagen wurde es besser. Ich begann, die Gegebenheiten anzunehmen. Das Markanteste waren diese 10, 15 Sekunden der absoluten Stille – wenn das musikalische Vorprogramm beendet ist, die Mannschaften sich zum Anpfiff aufgestellt haben, der aber noch nicht ertönt ist. Wenn die Hütte voll ist, gehören diese 10, 15 Sekunden ausschließlich den Fans. In der Regel bedeutet das: ohrenbetäubender Lärm. Nun aber hörte man die Vögel zwitschern oder draußen ein Moped vorbeifahren. Ich werde diese gespenstischen Augenblicke wohl für immer als das große Nichts der Lockdown-Zeit in Erinnerung behalten.
Es wurde viel über das spielerische Niveau der Geisterspiele debattiert ...
Ich fand es eigentlich ziemlich okay. Ich denke auch, dass das überraschend gute Niveau uns allen, also auch den Fans daheim am Fernseher, den Zugang irgendwie erleichtert hat. Ich kann mich bei meinen Bundesliga-Übertragungen auf Sky eigentlich nicht an ein gruseliges 0:0 erinnern. Stattdessen waren auch sehr gute Spiele dabei. Und doch hat Woche für Woche etwas Elementares gefehlt.
Sie sind ein Kommentator, der über die Spontaneität und über die Leidenschaft kommt. Waren die Geisterspiele für Sie besonders schwer?
Nein, das kann ich nicht bestätigen. Die Leidenschaft ist bei mir immer da, und was die Spontaneität betrifft, das funktioniert zum Glück unabhängig von der Frage, wie viele Leute im Stadion sind. Aber es fehlt bei den Geisterspielen schon eine ganz wesentliche Erzählebene, wenn die Ränge leer sind. Der Fokus des Kommentators richtet sich zwangsläufig noch mehr auf das reine Spiel – was großartig sein kann. Bei den Spielern ist es ja ähnlich: Erinnern wir uns beispielsweise an das Champions League-Turnier, bei dem Bayern München als Sieger hervorging. Die wollten um jeden Preis gewinnen. Sie wussten trotz der besonderen Umstände: Der Titel bleibt für immer. Und damit kann ich als Reporter schon auch eine Menge anfangen.
Sie haben unter dem Titel „Geisterball: Meine irre Reise durch verrückte Fußballzeiten“ sogar ein Buch über Ihre Lockdown-Erfahrungen veröffentlicht. Haben Sie in den langen Wochen des ersten Lockdowns 2020 Neues über sich erfahren?
Nee, so viel philosophische Tiefe hatte das nicht. Es war für mich einfach wie Elternzeit - ein Geschenk. Denn im März und April ist normalerweise die absolute Hoch-Zeit im Beruf, da nimmt die Saison richtig Fahrt auf, da kann man sich nicht einfach so rausnehmen. Nun kam es unverhofft so, dass wir zu Hause bleiben mussten oder durften, und da haben wir als Familie schnell geswitcht und das Allerbeste aus der Situation gemacht - mit meiner damals eineinhalbjährigen Tochter, die große Lust aufs Leben hatte. So haben wir vergnügte zweieinhalb Monate verbracht. Was man lernt? Man denkt zum Beispiel ganz neu über Kinderlieder nach. Entdeckt die Natur neu. Und ich habe wieder angefangen, Klavier zu spielen.
Corona: Fuss ist überrascht, dass Profivereine kaum Rücklagen gebildet haben
Wie groß war in dieser Zeit die Sehnsucht nach dem Job, nach den Stadien und nach dem Fernsehen?
Gar nicht mal so groß, muss ich sagen. Weil mir durchaus klar war, dass es weitergehen würde, sobald das Pandemiegeschehen die ersten Lockerungen zulässt. Der Fußball hat einfach einen zu hohen gesellschaftlichen Stellenwert. Und der wirtschaftliche Druck war ja auch im Profifußball teilweise existenziell. Was mich wirklich überrascht hat, ist die Tatsache, dass die Profivereine ökonomisch offenbar extrem auf Kante genäht sind. Dass es da kaum Absicherungen oder Puffer zu geben schien. Die Auswirkungen sind ja bei fast allen Vereinen immer noch spürbar.
Hatten Sie je grundsätzliche Sorgen um das milliardenschwere System Bundesliga?
Nein, eigentlich nicht. Als es schließlich weiterging, waren sich allerdings alle, inklusive mir, des Privilegs bewusst, seinem Beruf nachgehen zu können. Ich weiß, dass es sehr vielen Branchen deutlich schlechter ging und geht.
Sie hatten dieses Jahr so viel zu tun wie selten zuvor: Nach der Bundesliga kam schnell die EM, die Sie für Magenta TV begleiteten, nun sind wir schon wieder in der Zweiten Liga, der Bundesliga-Start steht vor der Tür ... Brauchten Sie keine Auszeit?
Es klingt banal, aber ich habe Glück, dass ich zu jeder Zeit Spaß an meinem Job habe. Andere Leute arbeiten noch mehr, noch härter, daher will ich das auch nicht größer machen, als es ist. Es war schon eine intensive Phase, keine Frage, aber das ist jetzt halt mal so. Große Familienurlaube kann man in diesen Corona-Zeiten sowieso nicht planen.
Außerdem sind Sie ja beruflich schon so viel unterwegs ...
Das stimmt. Für mich ist es absolut erfüllend, wenn ich eine freie Woche auch einfach mal mit meiner Familie hier in München verbringen kann. Ausflüge in die Berge machen, früh ins Bett gehen, Freunde treffen, Sport treiben. Das ist wie Urlaub für mich.
Zum Schluss müssen Sie bitte noch mit einem Mythos aufräumen: Kann der Kommentator den VAR-Keller in Köln beeinflussen?
Nein, das kann er ganz sicher nicht. Ich kann weder einen Elfer herbeireden noch auf eine Rote Karte drängen, und auch auf eine Abseitsentscheidung nehme ich nullkommanull Einfluss. Meine Kommentare sind für die Entscheidungen nicht maßgebend und deshalb im VAR-Raum nicht zu hören.
Aber die Einführung des VAR hat auch Ihr Berufsbild verändert ...
Wir müssen jetzt im Grunde jederzeit mit einem Eingriff des VAR rechnen. Deshalb wird heute sehr viel mehr mit Fragezeichen gearbeitet. Da geht es uns nicht anders als den Spielern. Die jubeln meistens auch erst mal etwas unsicher, wenn sie ein Tor geschossen haben. Es hat sich ein ganz neuer Spannungsbogen entwickelt: Was zählt, ist der zweite Jubel, gewissermaßen die Nachgeburt des ursprünglichen Jubels. Das ist mitunter unglücklich, wenngleich die Entscheidungen zuletzt nachvollziehbarer geworden sind. Trotzdem schaffte der VAR neues Diskussionspotenzial.
Bei der EURO wurde erstaunlich wenig über den VAR-Einsatz debattiert.
Ich finde, bei der EM wurde der VAR effektiv eingesetzt. Das hat mir sehr gut gefallen. Das hatte eine gewisse Beiläufigkeit, man hatte nicht das Gefühl, dass das Spiel vom VAR bestimmt wird. Daraus sollte die Bundesliga lernen. Und hundertprozentige Sicherheit kann es ja ohnehin nicht geben. Wo Menschen am Werk sind passieren eben auch mal Fehler, und außerdem kennt der Fußball sehr viele Wahrheiten. (tsch)