In seiner Autobiographie „Immer am Limit“ erzählt Daum zum ersten Mal, wie es zum größten Fehler seines Lebens kam.
Es war der 24. Oktober 2000, mein 47. Geburtstag – der beschissenste meines Lebens. Zur Feier des Tages hatte ich mir selbst ein Geburtstagsfrühstück zubereitet. Es gab eine Banane mit kanadischem Honig, daneben stellte ich mir eine Kerze auf: Happy Birthday, Christoph. Es half nichts, weil die Fragen in meinem Kopf einfach nicht aufhören wollten zu bohren: Was zum Teufel machst du hier? Wie konnte es zu diesem mysteriösen Wert bei der Haaranalyse kommen? Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Ich wurde sie nicht los.
Ich sah keine Perspektive mehr. Nicht für mich als Trainer. Nicht für mein Leben. War das wirklich das Ende? Ich glaubte, dass ich aus dieser Nummer nicht mehr rauskommen würde, und die Wucht meines Absturzes war so groß, dass ich lange brauchte, um sie zu begreifen. Ich stand vor dem Nichts.
Die Laboranalyse hatte einen astronomischen Wert von 72 Nanogramm Benzoylecgoninmethylester ergeben, dabei kommt in den meisten Fällen bei solchen Proben ein Wert zwischen 1 und 10 Nanogramm raus. Ich wusste, dass dieses irrsinnige Ergebnis nicht auf mich zutreffen konnte! Es war verrückt, doch natürlich zweifelte in Deutschland niemand das Gutachten eines gerichtsmedizinischen Instituts an. Mir dagegen wurde Realitätsverlust bescheinigt, ich wurde durch den Dreck gezogen.
Christoph Daum: Eine zweite Haarprobe sollte ihn rehabilitieren
Mark Dillon half mir, die zweite Haarprobe zu organisieren. In einer Arztpraxis in Orlando wurden mir von Dr. John Russell unter Anwesenheit von zwei Zeugen Haare entnommen und verschlossen. Anschließend wurde die Probe zur Untersuchung zum American Toxicology Institute, einer der renommiertesten toxikologischen Einrichtungen der USA in Las Vegas, verschickt.
Das Ganze lief sehr professionell ab, kein Vergleich zum Haartest am 9. Oktober in Leverkusen. Damals waren mir die Haare vor den Augen eines Notars entnommen und mit Tesafilm auf ein Blatt Papier geklebt worden. Mit Tesafilm! Die Probe damals war nicht mal versiegelt worden, und eine Mitarbeiterin des Notariats brachte sie in einem Briefumschlag zum Kölner Institut für Gerichtsmedizin.
Professor Herbert Käferstein, der die Haare dort untersuchte, sagte später vor Gericht, dass er nicht mit Sicherheit sagen könne, von wem die Haare eigentlich stammten. Es sei ihm lediglich mündlich mitgeteilt worden, dass es Haare von Christoph Daum seien. Wenn ich heute daran denke, kann ich es immer noch nicht begreifen. Es ist unfassbar.
Am 12. November 2000 machte ich folgenden Tagebucheintrag: „Lieber Reiner, wenn dir etwas Vergleichbares passiert wäre, wäre ich aus der tiefen Freundschaft zu dir an deiner Seite bis zum bitteren Ende durchs Feuer gegangen. Freundschaft ist für mich mehr als nur ein Wort. Wir haben Brot und Bett miteinander geteilt und wussten oft über den anderen mehr als er selbst. Dieses Wissen haben wir genutzt, um den anderen zu schützen und zu unterstützen. Lieber Reiner, ich weiß, dass auch du viel durchmachen musstest. Ich verzeihe dir, weil du im Bewusstsein gehandelt hast, das Beste für Bayer zu tun. Da unsere Interessen augenblicklich unterschiedlich sind, ist unsere Freundschaft einer Zerreißprobe ausgesetzt.“
Ich schrieb gerade wieder Tagebuch, als das Faxgerät in meinem Zimmer ansprang. Post für mich. Von Dr. Russell, der mir die zweite Haarprobe entnommen hatte. Meine Augen flogen über die gerade mal vier Zeilen. „The result is negative for the presence of cocaine.“ Negativ, stand da! Da war für die letzten sechs Monate gar nichts nachweisbar, nullkommanull! Am liebsten hätte ich dieses Ergebnis sofort aller Welt präsentiert!
Manche Journalisten machten sich lustig darüber, dass die Haaranalyse ausgerechnet in einem Institut im Zockerparadies Las Vegas durchgeführt worden war. Mein Befreiungsschlag verwandelte sich in ein Desaster. Das Schlimmste war, dass die Staatsanwaltschaft meine zweite Haarprobe nicht anerkannte. Sie wollten nichts davon akzeptieren, gar nichts! Eigentlich hätte es jetzt 1:1 stehen müssen, das war zumindest mein Plan gewesen. Stattdessen stand es 0:2 aus meiner Sicht. Ich hatte schon wieder die Arschkarte gezogen.
Staatsanwaltschaft ermittelte gegen Christoph Daum
In Deutschland verschärfte die Koblenzer Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen mich. Es ging um den unerlaubten Handel und Besitz von Betäubungsmitteln, was ziemlicher Schwachsinn war, da ich ja nie etwas besessen oder gehandelt, sondern „nur“ gelegentlich konsumiert hatte.
Die Koblenzer Staatsanwaltschaft drängte mich, ein Drogengeständnis abzulegen. Mein Anwalt, Dr. Rolf Stankewitz, hielt das für eine gute Idee. Aber ich hatte Bedenken: Wenn ich meinen gelegentlichen Drogenkonsum zugeben würde, dann würde man auch das haarsträubende Ergebnis der falschen Haarprobe für richtig halten. Außerdem wollte ich nicht einknicken. Ich war nie ein Saubermann, nie fehlerfrei, und ich wollte für den Mist, den ich zu verantworten hatte, auch geradestehen. Aber doch nicht für das Ergebnis einer Haarprobe, das auf mich nicht zutraf!
Ich hatte davor immer rumgeeiert, wenn es um die Frage ging, ob ich Drogen konsumiert habe. Das war mit Sicherheit falsch! Aber ich hoffte damals noch, mich von den falschen Vorwürfen mit einer zweiten, negativen Haarprobe reinwaschen zu können. Was bekanntermaßen in die Hose gegangen war.
Christoph Daum: „Ich war als Lügner enttarnt“
Ich war als Lügner enttarnt und abgestempelt worden. Zu Recht. Ich schämte mich dafür. Außerdem war nach der misslungenen Pressekonferenz im Hyatt meine Reputation endgültig verloren gegangen. Aber ich war noch nie jemand, der lange herumjammert. Hätte ich mich etwa jeden Abend in den Schlaf weinen sollen? So war ich nicht. Ja, ich war oft laut, und das hat nicht jedem gefallen. Ja, ich habe Grenzen überschritten, und das war falsch. Ja, ich habe großen Mist gebaut. Und für all diese Dinge habe ich auf die Schnauze bekommen. Aber es musste jetzt weitergehen. Und was ich dafür brauchte, war der Fußball.