Christoph Daum war Nationaltrainer Rumäniens. Vor dem WM-Quali-Spiel der Nationalmannschaft sprach er mit EXPRESS.de über diese Erfahrung und die Erwartungen an Hansi Flick.
Korruption, Gefängnis, ChaosChristoph Daum über Vergangenheit bei Deutschland-Gegner Rumänien
Hamburg. Die meisten deutschen Fußball-Fans denken bei Deutschlands WM-Quali Gegner Rumänien noch an frühere Legenden wie Gheorghe Hagi (56) oder Marcel Răducanu (66). Doch was erwartet die DFB-Elf am Freitag (8. Oktober 2021, 20.45 Uhr, RTL) in Hamburg? EXPRESS.de sprach mit Christoph Daum (67). Der war von Juli 2016 bis September 2017 selbst Nationaltrainer Rumäniens, die aktuell auf Platz 42 der FIFA-Weltrangliste liegen.
Schützenfest oder Zittersieg: Worauf können sich die deutschen Fans freuen?
Christoph Daum: Das kann eine Geduldsprobe werden. Rumänien wird im 5-4-1-System spielen, einen Abwehrriegel aufbauen und auf Kontersituationen hoffen. Die bisherigen Ergebnisse decken sich nicht mit der Erwartungshaltung im Land. Rumänien erleidet immer wieder Rückschläge in entscheidenden Momenten. Deshalb wechselt Nationaltrainer Mirel Radoi auch immer extrem viel durch. Jetzt wurden auch schon wieder elf neue Spieler für die Länderspiele nominiert. Aber der Fokus liegt in Rumänien eh nicht auf dem Spiel gegen Deutschland.
Wieso nicht?
Christoph Daum: In Hamburg geht es nur um Extra-Punkte. Um gegen Deutschland irgendwie etwas Zählbares zu erreichen, da müssten sie schon über sich hinaus wachsen. Das entscheidende Spiel für Rumänien ist am Montag gegen Armenien. Da geht es um Platz zwei, der die Teilnahme an den Play-offs bedeutet. Deshalb erwarte ich auch, dass erfahrene Spieler wie Nicolae Stanciu oder Claudiu Keseru gegen Deutschland nicht spielen, um sich die Kräfte für Montag aufzusparen.
Rumänien hat seit 2016 kein Turnier mehr erreicht. Kann es denn 2022 mit der WM-Teilnahme klappen?
Christoph Daum: Die Mannschaft verfügt über genügend Potenzial für Platz zwei. Ich gehe davon aus, dass sie die Play-offs erreichen. Dann hängt viel von der Auslosung ab. Da muss schon viel zusammen kommen, damit es Rumänien zur WM schafft.
Christoph Daum: Bereue die Zeit in Rumänien nicht
Die Station dort war Ihre bislang letzte Trainerstation. Bereuen Sie es rückblickend?
Christoph Daum: Nein, das war eine unheimlich wichtige Erfahrung. Ich wollte unbedingt, nachdem ich 35 Jahre nur Vereine trainiert habe, noch einmal eine Nationalmannschaft führen. Dort habe ich jedoch eine schwierige Situation vorgefunden. In Rumänien herrscht insgesamt eine instabile gesellschaftliche Situation. Es müssen viele Altlasten mitgetragen werden. Es herrscht Korruption, Vereinsbesitzer wandern ins Gefängnis, Trainer werden unter Druck gesetzt. Da passieren aus deutscher Sicht unvorstellbare Dinge.
Sie hatten auch Ihre Probleme mit der Presse.
Christoph Daum: Die Journalisten denken immer noch, dass da eine Generation Haghi auf dem Platz steht. Es gab wenig Unterstützung für mich. Ich habe aber die absolute Souveränität und Gelassenheit. Ich stehe über den Dingen. Selbst dass mir ein Reporter während einer Pressekonferenz eine Angel geschenkt hat, weil ich zuvor gesagt habe, dass seine Zeitung nur zum Fisch einwickeln taugt, fand ich witzig.
Dagegen herrscht rund um die deutsche Mannschaft eine ganz andere Atmosphäre.
Christoph Daum: Ja, die von Oliver Bierhoff einst benannte dunkle Wolke über der Mannschaft ist weg. Zum einen haben die ganzen Probleme des Verbands auf die Mannschaft ausgestrahlt. Zudem hat Joachim Löw am Ende leider zu viele Dankbarkeitsentscheidungen getroffen und nicht nach dem Leistungsprinzip gehandelt. Er hat Spieler auf den falschen Positionen eingesetzt, ihnen dadurch die Stärken genommen. Hansi Flick geht nun unvorbelastet an die Sache ran. Er ist sehr gut in der Mannschaftsführung, hat hohe empathische Qualitäten. Bei ihm wissen die Spieler nun, wo sie dran sind.
Christoph Daum: Joachim Löw hat nicht nach Leistungsprinzip gehandelt
Ist Deutschland deshalb 2022 wieder ein Titelkandidat?
Christoph Daum: Ich blicke noch nicht mit einer Titelerwartung auf das Turnier. Aber ich bin mir sicher, dass das Team ein anderes Gesicht als bei der WM 2018 oder der EM 2021 zeigen wird. Unter Flick wächst die Mannschaft wieder zusammen. Die Spieler geben alle ihr Bestes und finden auch wieder einen Draht zu den Fans.