DFB-KommentarUntergang statt Neuanfang: Flick sollte unbequeme Wahrheiten ansprechen

Serge Gnabry wird von Mergim Berisha umarmt.

Serge Gnabry (hier mit Mergim Berisha) läutete mit seinem Tor zum 2:3 gegen Belgien (28. März 2023) noch einmal die Schlussoffensive ein.

Die 2:3-Niederlage gegen Belgien zeigte erneut einige Schwachstellen der deutschen Nationalmannschaft auf. Hansi Flick und die Spieler verwiesen jedoch lieber auf die guten Aspekte. Ein Kommentar zur Lage beim DFB.

von Marcel Schwamborn  (msw)

Die Fans, die am Dienstag (28. März 2023) bei Dauerregen und eisiger Kälte beim Länderspiel im ausverkauften Kölner Stadion dabei waren, erlebten eine historische Anfangsphase. Das schnellste 0:2 einer deutschen Auswahl seit 1939 war eine Vorführung erster Klasse.

Nach 25 Minuten hätte es eigentlich 0:4 stehen können, erst danach wachte die DFB-Elf auf. Bei der Analyse der 2:3-Niederlage gegen Belgien verwiesen Spieler und Trainer aber lieber auf das Aufbäumen in der restlichen Spielzeit.

Nationalmannschaft: Schnellster 0:2-Rückstand seit 84 Jahren

Während Lothar Matthäus (62) von „Komplettversagen“ sprach, hatten andere ein „gutes Gesicht“ (Niclas Füllkrug) und „gute Ansätze“ (Thilo Kehrer) bei den Gastgebern erkannt. Belgien, ein Team, was trotz der guten Weltranglisten-Platzierung ebenfalls nach der WM-Vorrunde nach Hause fahren musste, machte Deutschland eine halbe Stunde lang lächerlich.

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Untergang statt Neuanfang lautete das Motto. Dass die Partie doch noch mal spannend wurde, lag an den nachlassenden Gästen, an den personellen Umstellungen, an der kämpferischen Bereitschaft – und am Publikum. Die Fans in Köln gaben einen Vorgeschmack, was bei der Heim-EM möglich sein kann.

Statt ihr Team für den Horror-Start auszupfeifen, trieben sie die Spieler immer wieder an. In der hektischen Schlussphase, als selbst Keeper Marc-André ter Stegen (30) stürmte, kochte Müngersdorf. Der Heimvorteil kann 2024 ein Faktor werden. Aber die Unzulänglichkeiten im deutschen Team können auch nicht nur durch Leidenschaft und Stimmung kompensiert werden.

Matthias Ginter, Christian Günter, Emre Can und Joshua Kimmich (v.l.) drehen ihre Runde auf dem Platz.

Die Nationalspieler Matthias Ginter, Christian Günter, Emre Can und Joshua Kimmich (v.l.) bei ihrer Ehrenrunde nach dem Abpfiff.

Dass nach diesen beiden Länderspielen Bremens Niclas Füllkrug (30) als verlässlicher Torschütze und Arbeitstier Emre Can (29) die beiden Gewinner sind, spricht nicht für die restlichen Akteure. Der deutsche Kader ist mit Talenten gesegnet, nur bringen die das nicht verlässlich auf den Platz.

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Für das WM-Aus wurden schnell Ausreden wie die Unruhe durch das Kapitänsbinden-Fiasko oder die schwachen 20 Minuten aus dem Japan-Spiel gefunden.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Hansi Flick (58) auf einigen Positionen schlicht keine internationale Top-Klasse zur Verfügung hat. Auf den Außenbahnen sind alle Versuche Notlösungen, eine stabile Innenverteidigung weiter nicht in Sicht, Weltklasse-Stürmer Mangelware.

Gute Stimmung in Köln: Rückhalt der Fans macht Hoffnung für 2024

Statt auf Transparenten schon wieder vom „Sommermärchen 2024“ zu träumen und immer nur auf Harmonie zu setzen, sollte Flick auch mal ein anderes Gesicht zeigen und die unbequemen Wahrheiten über die deutsche Fußball-Realität aussprechen. Sonst könnte die nächste herbe Enttäuschung schon in gut einem Jahr folgen.

Am 12. Juni geht’s in Bremen gegen die Ukraine weiter. Ein Jahr vor EM-Start ist dann kein Platz mehr für Experimente. Da Flick auch dann nicht auf allen Positionen Top-Qualität nominieren kann, weil sie schlicht nicht vorhanden ist, bleibt nur die Hoffnung, dass durch das Einstudieren von Automatismen die Defizite kompensiert werden können.