KommentarBittere EM-Bilanz: Fünf Gründe, warum es dieses Turnier nicht gebraucht hätte
Köln. Italien im Titel-Rausch, England im Tal der Tränen – am Sonntag (11. Juli) ist die EM mit einem echten Elfer-Krimi zu Ende gegangen. Die „Squadra Azzurra“ sicherte sich zum Abschluss eines denkwürdigen Turniers zum zweiten Mal nach 1972 die europäische Fußball-Krone. Und auch, wenn in der K.o.-Runde dann doch noch richtig Spannung aufkam – die 16. Europameisterschaft hätte es in dieser Form schlichtweg nicht gebraucht, findet unser Autor. Ein Kommentar.
Diese EM hätte es nicht gebraucht. Weil die Entscheidung der UEFA, ein Turnier mit Zehntausenden Fans in den Stadien durch die Corona-Pandemie zu prügeln, unverantwortlich war. Masken? Abstand? In nahezu allen Stadien Fehlanzeige. Stattdessen: ausgelassener Jubel, Menschentrauben, obendrein noch etliche Massenaufläufe beim Public Viewing. Die europäische Gesundheitsbehörde ECDC zählt im Zusammenhang mit dem Turnier bereits jetzt mehr als 2.500 Corona-Infektionen. Die Dunkelziffer liegt um einiges höher. Und selbst wenn alle Stadionbesucher getestet waren – um und auf den Weg in die Arenen machten sich Abertausende mehr. Und infizierten sich. Zu großen Teilen mit der neuen, hoch ansteckenden Delta-Variante. Die UEFA hat so mit dem Leben unzähliger Menschen gespielt. Und das ist aufs Schärfste zu verurteilen.
EM 2021: Der Fußball zeigt seine hässliche Fratze
Diese EM hätte es nicht gebraucht. Weil sie – wieder einmal – gezeigt hat, dass die „Equal Game“-Kampagne der UEFA nur eine hohle Marketing-Hülse ist. Verbote für Regenbogen-Werbung in Baku und St. Petersburg, Ermittlungen gegen DFB-Keeper Manuel Neuer wegen einer bunten Kapitänsbinde, die Verhinderung einer in Regenbogen-Farben leuchtenden Münchner Arena: Der europäische Verband drehte sich beim Thema Rassismus und Diskriminierung wie ein Fähnchen im Wind, knickte vor Regierungen ein und machte neuerlich klar, dass es ihm in erster Linie um zweierlei geht: Geld und möglichst wenig Störgeräusche.
Diese EM hätte es nicht gebraucht. Weil ein Turnier in elf verschiedenen Ländern aus ökologischer Sicht ein völliges Desaster ist. Allein das Team der Schweizer legte für seine drei Vorrundenspiele annähernd 13.000 Kilometer zwischen Rom und Baku im Flugzeug zurück. Hunderttausende Tonnen CO2 bliesen die Mannschaften sowie Fans, Offizielle und Medienvertreter in die Luft. Eine unfassbare Menge – und schlichtweg unfassbar unnötig.
Diese EM hätte es nicht gebraucht. Weil der Fußball erneut seine hässliche Fratze gezeigt und für einen bitteren Nachgeschmack gesorgt hat. Rechtsradikale Fans durften unbehelligt zu Hunderten in die Arenen, Menschenhasser sangen rassistische und homophobe Botschaften, Gegner wurden verhöhnt und bei der Hymne oder beim Kniefall ausgebuht, Spieler und ihre Familien von den Rängen oder in den sozialen Netzwerken aufs Übelste beleidigt und bedroht. Nach wie vor schafft es der Fußball nicht, diese Menschen aus den Stadien zu bekommen, sondern bietet ihnen – im Gegenteil – sogar die große EM-Bühne als Plattform für ihren Hass. Und das ist zu vielen Menschen immer noch viel zu egal.
Diese EM hätte es nicht gebraucht. Und aus deutscher Fan-Sicht schon gar nicht. Nach dem WM-Desaster 2018 gab es die nächste herbe Enttäuschung bei einem großen Turnier. Bundestrainer Joachim Löw erlebte nach 15 Jahren derweil den denkbar bittersten und traurigsten Abgang. Das ohnehin seit Längerem belastete Verhältnis zwischen „der Mannschaft“ und ihren Fans hat nach dem EM-Debakel weitere, tiefe Risse bekommen. Diese in Zukunft wieder zu kitten, wird für Hansi Flick und den DFB eine echte Herkulesaufgabe.
Diese EM hätte es nicht gebraucht. Nein, es hätte sie wahrlich nicht gebraucht.