Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft hat inklusive des frühen WM-Scheiterns in Katar eine außergewöhnlich schlechte Länderspiel-Saison hinter sich. Im Zentrum der öffentlichen Kritik steht Hansi Flick.
Völler attackiert Team statt TrainerNach Offenbarungseid: Präsident Neuendorf telefoniert mit Flick
Es war ein trostloses Bild. Hansi Flick (58) saß auf dem Podium des Pressekonferenzraums in der Schalker Arena. Leise summten die Kühlgeräte, der Bundestrainer blickte ins Leere und klammerte sich am Mikrofon fest.
„Es ist in die Hose gegangen. Wir sind wahnsinnig enttäuscht über die Art und Weise. Das tut mir leid für die Fans. Was wir ausprobiert haben, hat nicht funktioniert. Der Plan ging nicht so ganz auf. Deswegen müssen wir uns der Kritik stellen“, stammelte er, ehe er um 23.40 Uhr den Raum mit hängendem Kopf verließ.
Hansi Flick: Elf Länderspiele in dieser Saison – Bilanz negativ
Die 0:2-Niederlage gegen Kolumbien beendete am Dienstagabend (20. Juni 2023) eine äußerst schwache Länderspiel-Saison mit einem WM-Vorrunden-Aus und vielen Frust-Erlebnissen. Drei Siege, drei Unentschieden und fünf Niederlagen sind nicht akzeptabel, ebenso wenig das Torverhältnis von 17:18.
Die Fans pfiffen, Zettel mit „Flick raus“-Aufdruck waren zu sehen. „Sie haben das Anrecht darauf, dass wir besser performen und spielen“, zeigte der schwer angeschlagene Coach Verständnis für die Reaktionen. Hinwerfen will der Ex-Bayern-Trainer aber nicht. „Ich kann versprechen, dass wir im September eine andere Mannschaft sehen“, lautete seine Durchhalteparole.
Eine Etage unter dem Pressekonferenzraum verabschiedeten sich unterdessen die Spieler in den Urlaub. Die meisten zogen stumm ihren Koffer hinter sich her und ließen sich vom DFB-Fahrdienst nach Hause bringen. Emre Can (29) war einer der wenigen, der noch Worte fand und den Trainer verteidigte. „Ich glaube nicht, dass wir diskutieren müssen. In erster Linie müssen wir uns an die eigene Nase fassen. Wir sind für die Leistung verantwortlich“.
Bei einer EXPRESS.de-Umfrage, an der sich schon rund 8000 Menschen beteiligt haben, stimmten hingegen 80 Prozent für einen Trainerwechsel. Der DFB solle sich mit Alternativen beschäftigen, war die deutliche Meinung. Ein Jahr vor der Heim-EM läuten alle Alarmglocken.
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Doch auch Rudi Völler (63) arbeitete sich lieber am Team statt am Trainer ab. „Am Ende ist Hansi Flick die ärmste Sau, er versucht alles, dass wir erfolgreich sind, probiert ein bisschen was aus“, sagte der DFB-Direktor. „Man muss sagen, dass wir es ein bisschen unterschätzt haben, dass die Qualität nicht die ist wie vor einigen Jahren.“
Und das werde Konsequenzen haben. „Das Gesamtpaket der drei Spiele war zu wenig“, betonte Völler und kündigte an: „Es waren einige dabei, die werden wir im September nicht mehr sehen. Der ein oder andere ist an seine Grenzen gekommen.“
Sicherlich lag der frühere Leverkusen-Chef mit der Einschätzung richtig. Gleichzeitig deutete Flick aber auch nach dem erneuten Offenbarungseid an, dass er beratungsresistent seinen Weg gehen wird. „Meine Idee vom Fußball ist für diese Mannschaft die richtige“, sagte er trotzig. „So eine Situation habe ich in der Form noch nicht erlebt“.
Rudi Völler rechnet mit den Spielern ab: „Gesamtpaket war zu wenig“
Am Tag danach rief Bernd Neuendorf (61) beim Trainer an. „Er selbst, aber auch die Spieler, sind sehr selbstkritisch. Der Bundestrainer hat mir versichert, dass wir im September eine Mannschaft sehen werden, die anders auftritt als zuletzt“, sagte der DFB-Präsident.
Neuendorf suchte auch mit DFB-Sportdirektor Rudi Völler noch einmal persönlichen Kontakt. „Wir haben uns alle erfolgreichere Länderspiele seit der WM gewünscht. Wir sind daher nach dem gestrigen Spiel sehr enttäuscht und frustriert“, sagte er. Zugleich glaubt der Präsident, dass Völlers Erfahrung bei der Bewältigung der Krise auf dem Weg zur Heim-EM in einem Jahr hilfreich sein werde.
Hansi Flick kündigt für Spiele im September festen Stamm an
Flick wird Anfang September die Vorbereitung auf die nächsten Länderspiele gegen Japan und Frankreich starten. Experimente soll es dann nicht mehr geben. „Wir werden versuchen, einen Stamm von 10, 12, 14 Spielern dann auch wirklich festzuzurren und zu benennen“, kündigte er an. Es solle dann auch klar sein, wer auf den jeweiligen Positionen die Nummer eins sei.
Die Chancen, schon nach dem Katar-Debakel frühzeitig eine mögliche EM-Formation zu formen, wurde in fünf am Ende sinnlosen Länderspielen vertan. „Ich habe ein gutes Feeling für die Mannschaft. Wir kriegen es aber aktuell nicht auf den Platz. Es ist zu wenig, was wir an Ergebnissen erzielen“, sagte der Bundestrainer. Dabei ist er eigentlich dafür verantwortlich.