Willi Weber, der langjährige Manager von Michael Schumacher, hat eine Autobiografie verfasst. Darin geht es natürlich auch um den tragischen Ski-Unfall des siebenmaligen Formel-1-Weltmeisters.
Keinen Kontakt mehrWilli Weber: Corinna Schumacher löschte mich aus ihrem Leben
Köln. Nach 20 Jahren Formel 1 und sieben Weltmeister-Titeln trat Michael Schumacher (52) Ende 2012 endgültig zurück. Doch die Zeit nach seiner aktiven Karriere konnte er nur kurz genießen. Am 29. Dezember 2013 erlitt er bei einem tragischen Skiunfall in Frankreich ein schweres Schädel-Hirn-Trauma und lebt seitdem abgeschottet von der Öffentlichkeit in der Rehabilitation in der Schweiz.
Nur noch seine Familie und engste Freunde haben Zugang zu ihm – sein langjähriger Manager Willi Weber (79) gehört nicht mehr dazu. Darüber und wie er das Schicksal seines Freundes verarbeitet, schreibt Weber in seiner am 27. August im Lübbe-Verlag erscheinenden Autobiografie „Benzin im Blut“. EXPRESS.de darf daraus vorab zitieren.
An einem klirrend kalten Vorweihnachtstag vor sieben Jahren sehe ich meinen Michel das letzte Mal – und zwar so, wie ich ihn für immer in Erinnerung behalten möchte: taff und auf der Überholspur.
Eine gut gelaunte Dezembersonne fällt durch die wintergrauen Panoramascheiben des Mövenpick Hotels am Stuttgarter Airport, als wir uns zum Mittagessen setzen. Wir haben einen Logenplatz mit 1-A-Blick auf den grauen Beton des Hotelvorplatzes. Nun muss man der Fairness halber sagen, dass dieser Ort eh keinen Preis gewinnen will für seine Kuscheligkeit. Es ist das perfekte To-go-Hotel, um Unterschriften unter wichtige Business-Deals zu setzen.
„Mensch, Willi, schön, dass wir uns treffen!“, strahlt Michael. Ihm behagt die Location. Bis zum Privatflieger-Terminal, wo seine Falcon 2000 wartet, sind’s nämlich nur fünf Minuten. Wer einen Beruf hatte, in dem es um Millisekunden ging, liebt schlanke Wege.
„Oh Mann, Willi“, ruft Michael nach der Vorspeise und schlägt sich an die Stirn, „ich bin aber auch so was von blöd! Ich habe mein Weihnachtsgeschenk für dich vergessen!“ Er guckt zerknirscht. „Weißt du? Ich will, dass du auch eine Audemar Piguet bekommst.“ Für dieses Luxus-Uhrenlabel macht er seit Kurzem Werbung. Was doppelt praktisch ist. Er verdient ein Heidengeld und hat zwölf Monate im Jahr fertige Weihnachtsgeschenke in der Schublade liegen. Wenn Sie wissen wollen, woher die Schotten kommen, ich sag’s Ihnen: Die kommen aus Kerpen.
Wobei es letztlich egal ist, was ich von Michael zu Weihnachten bekomme. All die Jahre hat er mir seine Gunst geschenkt, das ist das größte Geschenk überhaupt. „Ach komm, kein Problem“, wiegle ich ab. „Doch, doch“, Michael lässt sich nicht beirren. „Das ist mir wichtig, ich kümmere mich! Du musst mir nur sagen – magst du lieber Roségold oder Weißgold, Willi?“ „Roségold.“ „Gut!“ Michael lehnt sich zufrieden zurück. „In einer Woche habe ich einen Werbeauftritt in Nürnberg, da nehme ich die Uhr mit und schicke sie dir mit einem Fahrer. Okay?“ „Ja, klasse. Aber bitte, wie gesagt, keine Umstände.“
Während sich Michael seinem Teller widmet – wie immer eine ausgewogene Mischung Hühnerfutter, also Körner, Proteine, Grünzeugs –, fällt mein Blick auf Gina-Maria, Michaels Tochter, einen hübschen Teenager von mittlerweile 16 Jahren, die ihren Papa zu diesem Termin begleitet und sich gerade angeregt mit Christina, meiner Tochter, über Tiere unterhält. Was für ein bodenständiges, natürliches, bescheidenes Mädchen, geht es mir nicht zum ersten Mal durch den Kopf. Da haben Michael und seine Corinna einen echt guten Job gemacht.
Eine Woche später klingelt mein Handy. „Hallo, Willi!“ Michaels zerknirschte Stimme. „Du, ganz blöd gelaufen, ich bin jetzt in Nürnberg, aber finde keinen Fahrer. Kannst du nicht jemanden schicken?“ „Ich bitte dich, Michael, wir sind doch keine Kinder!“, wehre ich ab. Nach 25 Jahren kenne ich meinen Pappenheimer natürlich ganz gut. Der hat gar keine Uhr dabei. „Ob ich die Uhr heute kriege oder im neuen Jahr, ist doch völlig egal. Das muss ja kein Gewaltakt werden hier.“ „Oh, Willi, du bist der Größte!“
Was danach passiert, bricht mir bis heute das Herz. Fünf Tage nach Weihnachten steigt der Mann, der für mich der Sohn ist, den ich nie hatte, auf seine Ski und wedelt fröhlich die französischen Alpen hinunter. Zwanzig Jahre Formel 1, Millionen gefahrene Kilometer hat er ohne nennenswerte Kratzer überstanden. Ob mit 310 Sachen in Monza in einen Reifenstapel geknallt, ob beim Großen Preis von Deutschland durch die Luft geflogen und sich mehrfach überschlagen, immer ist da ein Schutzengel. In sechs schweren Crashs bricht er sich lediglich einmal das Schienbein. Das ist es. Nur heute nicht.
Ich mache gerade Urlaub im berühmten Stanglwirt in Österreich. Mit dabei die ganze Meute: meine Frau Heidemarie, meine Tochter, alle vier Enkel, sechs Hunde. Da es kurz vorm Jahreswechsel ist, machen wir unseren traditionellen Spaziergang hoch zu unserer Lieblingshütte, um einen Jagertee zu trinken. Die Stimmung ist ausgelassen und fröhlich. Winter Wonderland.
Willi Weber: Die Nachricht von Michael Schumachers Unfall schockte ihn
Plötzlich klingelt mein Handy. „Weber …“ „Willi!“ Am anderen Ende der Leitung höre ich die aufgeregte Stimme von Kaschi, einem befreundeten Journalisten. „Du, Michael ist in Méribel schwer verunglückt! Irgendwo auf der Piste zwischen Biche und Chamois! Hab gerade den Anruf bekommen von einem Bekannten, der in der Bergstation Saulire arbeitet. Die haben einen Notruf gekriegt!“
In meinem Hals ist ein riesengroßer Kloß. Ich kann nicht sprechen. Michael? Mein Michael? Beim Skifahren verunglückt? Der Gedanke passt nicht in meinen Kopf. Michael fährt Ski, wie er Formel 1 fährt: begnadet. Er kennt das Skigebiet wie seine Westentasche, hat ganz in der Nähe ein Chalet, in dem er jedes Jahr mit der Familie Urlaub macht. Das passt doch alles nicht zusammen.
„Apa! Was ist, Apa? Sag schon! Was ist los? Warum schaust du so?“, bestürmen mich meine Enkel besorgt. Seit Windeltagen bin ich für sie nur „Apa“. Mein Gesicht, das weiß ist wie der Schnee um uns herum, macht ihnen Angst. Ich bedecke meine Augen mit den Händen.
Das Fernsehen bringt eine Sondersendung nach der anderen, mein Handy steht nicht still. Ich versuche, Corinna zu erreichen: „Hier ist die Mailbox von Corinna Schumacher. Nachrichten bitte nach dem Signalton“, antwortet die Mailbox. Ich führe unzählige Telefonate, langsam setzen sich die Puzzleteile zu einem Bild zusammen.
Michael ist nach Grenoble geflogen worden, er war bei Bewusstsein und hat wohl auch geantwortet, höre ich aus dem Umfeld des Helikopterpiloten. Ich schöpfe Hoffnung. Und trotzdem ist da dieses mulmige Gefühl. Schon seit geraumer Weile zeigen die Nachrichten diesige Luftbildaufnahmen eines tristen riesigen Krankenhauskomplexes, in dem man nicht liegen möchte, selbst wenn man gesund ist.
Michael Schumacher: Riesen-Auflauf vor Krankenhaus in Grenoble
Der Platz vorm Spital: schwarz von Menschen. Fans. Gaffer. Journalisten. Es werden Archivaufnahmen eingeblendet: Michael auf Skiern, fröhlich grinsend. Die unpräparierte Piste. Rote Schilder, die mahnen: „Ralentir! Slow! Langsam!“ Erste Augenzeugen melden sich: „Ja, den Schumacher hat’s durch die Luft katapultiert. Der ist kopfüber auf einen Stein geknallt.“
Am Nachmittag bestätigt sich das Undenkbare. Michael hat ein lebensbedrohliches Schädel-Hirn-Trauma davongetragen, liegt im Koma. In seinem Kopf: massive Blutgerinnsel. Der Schädel muss aufgesägt werden, um den Hirndruck einzugrenzen. Ich bin gelähmt, ohnmächtig, nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. In eilig anberaumten Pressekonferenzen stellen sich die behandelnden Professoren der gierig wartenden Weltpresse.
Überwältigt von der eigenen Angst, zu sehen, was ich nicht sehen will, fälle ich eine schicksalshafte Entscheidung. Nein, ich werde nicht nach Grenoble fliegen und mich den allgemeinen Spekulationen vor Ort anschließen. Ich werde mich nicht mit einer Rotte Wichtigtuer vor Michaels Krankenzimmer herumdrücken und die Ärzte behindern. Ich werde warten. Wie oft ich diese Entscheidung die folgenden Jahre bereut habe? Hunderttausend Mal? Eine Million Mal? Aber ich kann sie nicht rückgängig machen.
Willi Weber: Corinna Schumacher löschte mich aus ihrem Leben
Noch immer erreiche ich Corinna nicht. Heute nicht. Morgen nicht. Was ich nicht ahne: auch die nächsten Tage, Wochen, Monate nicht. Bis heute: kein Anruf, kein Brief. An diesem Tag des übermächtigen Schmerzes löscht sie mich, das weiß ich heute, aus ihrem Leben. Wischt mit dem Finger über die Delete-Taste. Hart? Ja. Unbarmherzig? Sicherlich auch. Und doch ist es nur ein kleiner Schmerz im Herzen verglichen mit dem übermächtigen Kummer, den ich fühle, wenn ich an meinen Michel denke.
Was bleibt, ist die Frage nach dem Warum. Warum musste Michael verunglücken? Warum bin ich für seine Frau nach all den Jahren nur ein abgefahrener Reifen, der nicht mehr taugt? Warum darf ich Michael nicht besuchen? Für was werde ich bestraft? Auf all diese Fragen habe ich keine Antwort. Aber damit kann ich leben.