Interview

Karnevals-Bosse schlagen AlarmAuflagen der Stadt gefährden den Rosenmontagszug – „irrsinnig“

Vor dem Start in die neue Karnevalssession beklagt das Festkomitee im Interview die immer größer werdenden Sicherheitsanforderungen. Unter den Rahmenbedingungen sei der Rosenmontagszug in Gefahr.

von Marcel Schwamborn  (msw)Daniela Decker  (dd)

Der Start der Karnevalssession rückt immer näher. 114 tolle Tage warten auf die Jecken der Stadt. Erneut wird es zahlreiche bunte Veranstaltungen geben. In den Vereinen und Veedeln laufen schon längst die Vorbereitungen.

Doch ausgerechnet über dem jährlichen Karnevalshöhepunkt ziehen dunkle Wolken auf. Am 3. März 2025 zieht wieder der Rosenmontagszug durch die Straßen – das Festkomitee Kölner Karneval schlägt jedoch Alarm.

Kölner Karneval: Minus von über einer halben Million Euro

Auf der Jahreshauptversammlung musste die dem Festkomitee angeschlossene gemeinnützige Gesellschaft des Kölner Karnevals, die unter anderem als Veranstalter des Rosenmontagszuges agiert, einen negativen Jahresabschluss vorstellen. 572.058 Euro beträgt das Jahres-Defizit.

Alles zum Thema Rosenmontagszug

Die Kosten rund um den Zoch – zum Beispiel für Sicherheitsdienste, Sanitätsdienste, Absperrgitter und Tribünenbauer – sind in den letzten Jahren förmlich explodiert. In diesen schwierigen Zeiten tritt mit Marc Michelske (40) ein neuer Zugleiter seinen Job an.

EXPRESS.de sprach mit dem Prinzen des Kölner Dreigestirns 2019, der das Erbe von Holger Kirsch angetreten hat, sowie Festkomitee-Präsident Christoph Kuckelkorn (60). Beide erwarten mehr Entgegenkommen seitens der Stadt, um das Erlebnis Karneval in der bekannten Form zu sichern.

Wieso ist die Finanzlage beim Festkomitee inzwischen so ernst?

Christoph Kuckelkorn: In der Nach-Corona-Zeit sind uns im Veranstaltungsbereich die Kosten weggelaufen. Die wenigen Anbieter, die noch auf dem Markt sind, bestimmen die Preise. Das führt dazu, dass die bisherigen Geschäftsmodelle nicht mehr funktionieren.

Sie leiden auch unter den erhöhten ordnungspolitischen Standards.

Christoph Kuckelkorn: Die Anforderungen der Stadt in Sachen Sanitätsdienst oder Sicherheit steigen in jedem Jahr, teilweise sehr kurzfristig. Vor dem letzten Rosenmontagszug gab es wenige Wochen zuvor die Anweisung, dass Rettungsassistenten am Zugweg durch Rettungssanitäter ersetzt werden mussten. Das war ein Schlag ins Kontor und nicht im Budget geplant. Zudem musste die Security verstärkt werden. Am Karnevalssonntag waren am Wallrafplatz mehr Sicherheitsbedienstete als Zuschauerinnen und Zuschauer. Das ist irrsinnig und an vielen Stellen absolut unnötig. Das wollen wir hinterfragen und da haben die ersten Gespräche mit Feuerwehr und Ordnungsamt begonnen.

Marc Michselke und Christoph Kuckelkorn von Festkomitee.

Marc Michelske (l.) ist der neue Rosenmontagszugleiter. Festkomitee-Präsident Christoph Kuckelkorn muss mit ihm bei schwierigen Rahmenbedingungen klarkommen.

Glauben Sie, dass Sie da etwas erreichen?

Christoph Kuckelkorn: Wir sind zuversichtlich, dass die Philosophie weg von dieser Vollkaskomentalität zu einem normalen Umgang führen kann. Es gibt über die Jahre immer weniger Rettungseinsätze, trotzdem werden die Anforderungen immer höher. Das ist nicht verständlich und auch nicht mehr bezahlbar. Das betrifft übrigens nicht nur das Festkomitee, sondern alle Veranstalter. Auch in deren Namen wollen wir sprechen, damit die Anforderungen auf ein normales Maß reduziert werden.

Marc Michelske: Am Zugweg steht inzwischen – umgerechnet auf die Zugstrecke – alle zehn Meter ein Sanitäter. Das kann nicht der Sicherheitsanspruch sein, den gibt es weder im Rennsport noch im Stadion. Das Publikum besteht aus Familien mit Kindern, nicht aus Leuten, die Krawall machen wollen. Da kommt keiner, der sich vorher betrunken hat. Wir haben im niedrigen dreistelligen Bereich Einsatzzahlen. Das ist bezogen auf die Menschenmassen bei sieben Kilometer Zugweg sehr, sehr wenig.

Christoph Kuckelkorn: Als an Weiberfastnacht die Alternativveranstaltung zur Zülpicher Straße auf den Ringen ausprobiert wurde, lautete eine der Voraussetzungen, dass zwei Intensivpflegeplätze eingerichtet werden mussten. So vergrault man jeden Veranstalter, der etwas wagen möchte.

Sie beklagen auch den geringen Zuschuss der Stadt zum Zug.

Christoph Kuckelkorn: Wir sind der Organisator für ein Volksfest, das sich die Kölschen selbst geben. Beim Zoch muss man größtenteils keinen Eintritt bezahlen, nimmt auch noch Wurfmaterial mit nach Hause. Die Stadtverwaltung hat den Zuschuss von 153.000 Euro seit über 20 Jahren nie angepasst. Zudem haben damals städtische Betriebe bei einzelnen Aufgaben mitgeholfen und angepackt, das geht alles nicht mehr. Wir haben über die Jahre versucht, diese ganzen Punkte aufzufangen, aber es geht einfach nicht mehr. Wir sind mit einem ausgeglichenen Budget in die Session gegangen. Aber die Verteuerungen auf den letzten Metern haben zu einem großen Minus geführt.

Klingt dramatisch.

Christoph Kuckelkorn: Wir fordern ein, dass unsere Arbeit wertgeschätzt wird. Und das vermissen wir auf politischer Seite total. Es geht um den Magneten Karneval, das große touristische Highlight der Stadt, das allein für 380.000 Übernachtungen pro Jahr sorgt. Wir sind immaterielles Kulturerbe der Bundesrepublik und sind gefährdet durch solche Entwicklungen. Hinzu kommen die kommerziellen Anbieter, die parallel den Gesellschaften, die diese Auflagen nicht mehr stemmen können, das Publikum abwerben. Deshalb müssen wir uns im Schulterschluss zusammenstellen und das Ehrenamt schützen.

Schull- un Veedelszöch unter den Bedingungen sehr gefährdet

Wie steht es denn um die Schull- un Veedelszöch?

Christoph Kuckelkorn: Die Freunde und Förderer des kölschen Brauchtums können unter den bestehenden Rahmenbedingungen eigentlich gar keinen Zug mehr machen. Wie kann es sein, dass solch ein wichtiges Ereignis, dass die Jugend fördert, den Veedelskarneval darstellt, infrage gestellt wird? Die astronomisch gestiegenen Kosten aufgrund der Anforderungen sind nicht zu rechtfertigen. Wir schütteln nur noch mit dem Kopf.

Aber was machen Sie, wenn sich die Stadt nicht bewegt?

Christoph Kuckelkorn: Wenn sich gar keiner bewegt, müssen wir einen rapiden Sparkurs fahren und uns von vielen Elementen im Karneval verabschieden. Wir können dann nicht mehr in die Schulen gehen, viele soziale Projekte müssten eingestellt werden, Kinder- und Jugendtanzgruppen könnten wir nicht mehr unterstützen. Denn die letzten Finanzmittel müssen wir dafür einsetzen, um den Zug zu halten, denn das ist nun mal das Wichtigste. Im Festkomitee arbeiten alle als Sparfüchse und stellen alles infrage – von der Eröffnung des Zuges mit Fanfaren am Chlodwigplatz bis hin zu den Persiflagewagen.

Könnten die Erlöse des Zuges nicht irgendwie erhöht werden?

Christoph Kuckelkorn: Ich wehre mich dagegen, den Karneval kommerziell zu überfrachten und möchte nicht wie in Düsseldorf Werbewagen im Zug haben. Man gerät auch in Abhängigkeiten. Wie will ich denn eine Persiflage gegen eine Firma machen, wenn die meinen Zug finanziert?

Marc Michelske: Das ist auch meine Haltung: Der Zug soll so gut es geht werbebefreit bleiben.

Christoph Kuckelkorn: Wir haben die Teilnahmegebühr von 22 auf 44 Euro pro Person erhöht. Dafür haben wir verständlicherweise heftigen Gegenwind von einigen Gesellschaften bekommen. Aber irgendwoher müssen wir das Geld nehmen. Auch die Tatsache, dass eine Proklamationskarte teurer wird und die Anzahl der Ehrenkarten reduziert wird, war einer der vielen Schritte.

Marc Michelske: Anfangs war die Empörung groß, inzwischen herrscht mehr Verständnis. Die Karten für die Gesellschaft des Dreigestirns bleiben auch beim bisherigen Preis.

Marc Michelske steht vor einem Karnevalswagen.

Der neue Zugleiter Marc Michelske in der Wagenbauhalle des Festkomitees.

Wären noch mehr vermarktete Tribünen am Zugweg eine Option?

Marc Michelske: Wir könnten noch knapp sechs Prozent mehr Tribünen am Zugweg bauen, möchten das aber nicht. Der Zoch soll ein Ereignis für Familien mit Kindern bleiben. Zudem kommen wir dann wieder zum Problem, dass die Tribünenbauer fehlen. Außerdem ist die Nachfrage auch dort nicht mehr so hoch. Firmen, die mal eben eine Tribüne für 200 Mitarbeitende samt Essen und Trinken spendieren, sind in der wirtschaftlichen Lage auch rar gesät.

Warum haben Sie das Amt des Zugleiters unter den Umständen eigentlich übernommen?

Marc Michelske: Ich habe zuvor als Schatzmeister schon gesehen, wie die Lage ist. Da gehört es zur Verantwortung dazu, wenn solch ein Posten neu besetzt werden muss, sich der Aufgabe auch zu stellen.

Christoph Kuckelkorn: Wenn ihn eins nicht kennzeichnet, dann ist das Eitelkeit. Marc muss man schon eher nach vorne drängen. Mit ihm haben wir jemanden, der mit sehr viel Demut an die Aufgabe herangeht und genau weiß, was die Sache bedeutet.

Ihr Vorgänger Holger Kirsch hat den Hänneschen-Zoch während Corona erfunden, hatte einen Zug im Stadion geplant und den Jubiläumszug organisiert. Was haben Sie sich vorgenommen?

Marc Michelske: Ich hoffe, dass ich in den nächsten Jahren einfach einen ganz normalen Zug machen darf und kann. Wir wollen uns auf die Basisdinge besinnen. Das Rad muss nicht neu erfunden werden, deswegen reduzieren wir die Kür derzeit etwas oder schauen uns nach Alternativen um. Die größten Herausforderungen sind nun mal die finanziellen.

Kölner Karneval: Nur noch 20 Persiflagewagen im Zug 2025

Haben Sie denn keine Visionen für Ihr Amt?

Marc Michelske: Um Visionen geht es derzeit nicht. Unsere Aufgabe ist es, den Zoch in der Form zu halten, wie er immer war. Wenn wir eine finanzielle Sicherheit erreichen, können wir über neue Dinge nachdenken. Erst einmal ergreifen wir Maßnahmen. Der Zugleiterwagen, der sonst immer ans Motto angepasst wurde, wird für die nächsten fünf Jahre gleich bleiben, um Kosten zu sparen. Wir haben die Persiflagen bereits reduziert. Mitte der 90er waren es mal fast 40 Wagen im Zug, 2025 werden es nur noch 20 sein. Der rote Faden wird das Thema „Liebe“ aus dem Motto sein. Ich will jetzt auch nicht krampfhaft mit einem harten Wagen provozieren, nur weil ich der Neue bin.

Christoph Kuckelkorn: Wir brauchen uns auch nicht hinter den Wagen aus Düsseldorf zu verstecken und sind auch schon ganz schön mutig unterwegs. Uns geht es nicht darum, Menschen zu verletzen, um Aufmerksamkeit zu erhaschen. Wir wollen Missstände anprangern, aber in den Grenzen des guten Geschmacks.

Welche Änderungsmöglichkeiten beim Zug diskutieren Sie ansonsten?

Marc Michelske: Wir hinterfragen viele Themen. Sollen wir alles auf Elektrobetrieb umstellen? Wir schauen uns nach Wurfmaterial mit wasserdichtem Papier statt Plastik um. Bei einem solch großen Zug lassen sich Dinge nicht per Fingerschnippen ändern. Außerdem sollen die Züge für alle aus der Gesellschaft offen sein. Und da will ich nicht mit dem Finger auf die zeigen, die sich gewisse Dinge nicht leisten können.