Kölner Kult-Lokale Teil 1„Chlodwig Eck“: In der Südstadt begann das BAP-Wunder
Köln – Kölns Kult-Lokale – die neue EXPRESS-Serie führt sie in die faszinierende Welt der geselligen Runden, diskreten Treffs und bizarren Begegnungen, in Kneipen, Cafés und Restaurants, die Geschichte(n) geschrieben haben. So wie das Chlodwig Eck in der Südstadt!
Es dauert nicht lange. Und die Leute bleiben ungläubig stehen. „Ist er das?!“ Dass Wolfgang Niedecken (65) hier, im Chlodwig Eck in der Südstadt, einst täglich ein und ausging, hat man in der Südstadt wohl schon mal gehört.
Chlodwig Eck
Kneipe, Annostraße 1-3
Gegründet: 1975
Betreiber: Robert Hilbers
Publikum: Musiker, Alternative, Künstler, Veedels-Lück
Aber nun steht er nach all den Jahren tatsächlich wieder vor der Tür und plauscht mit Wirt Robert Hilbers über die alten Zeiten. „Das Chlodwig Eck war damals das Zentrum der Südstadt“, erinnert sich die BAP-Legende, „so viele Kneipen, wo man als junger Mensch hinging, gab es nicht.“
Vor allem für die Musik- und die Alternativszene war der Laden Ende der 70er und in den 80ern im Veedel DER Treffpunkt schlechthin. Als Aushängeschild des „Bermuda-Dreiecks“, zu dem auch die „Opera“ und das „Climax“ zählten.
Treffpunkt für Literatur, Musik und Kunst
Clemens Böll, der Neffe von Literaturpreisträger Heinrich Böll, hatte direkt am Chlodwigplatz/ Ecke Bonner Straße den Laden 1975 aufgemacht, war dann 1978 zum heutigen Standort in die Annostraße umgezogen. Wer was mit Literatur, Songs und Kunst zu tun hatte, ging mit - und im Chlodwig Eck ein und aus.
„Hier ist relativ viel Kultur gemacht worden, Lesungen und Ähnliches, die Musikszene hat sich sehr breitgemacht, über BAP, Zeltinger, die Spider Murphy Gang. Das hat den Laden sehr geprägt“, erzählt uns Clemens Böll und zapft sich am Tresen erst einmal ein Kölsch.
„Hin und wieder kam auch mein Onkel. Wenn er andere Schriftsteller traf, saß er immer hier vorne. Das war mir manchmal peinlich, weil hier auch Asi-Köppe verkehrten, die Stress machten. Aber Hein sagte dann: Mach Dir keine Gedanken.“
Typisch: Schon zur Eröffnung spielen die Stammgäste ein Konzert – das BAP-Wunder nimmt in den Folgejahren seinen Lauf. Bei der Eröffnung 1979 ist der Andrang so groß, dass der Bus auf der Straße kaum durchfahren kann.
BAP spielen zur Eröffnung 1979
„Wir haben zur Eröffnung des Chlodwig Ecks gespielt, das war im Mai 1979. Das war zu der Zeit praktisch unser Wohnzimmer. Wir haben hier morgens gefrühstückt, mittags Bohnenfleisch gegessen und abends gefeiert. Die letzte Amtshandlung war, wenn der Schmal auf dem Fass in den Keller runtergefahren ist. Mit nem Glas Kölsch in der Hand“, schmunzelt der kölsche Kultrocker und zeigt uns das Telefon an der Wand. „Man wusste: Man konnte mich entweder zu Hause anrufen oder hier. „Über dieses Telefon haben wir anfangs fast alle Konzertanfragen angenommen.“
Die Band rekrutiert gern auch die Aufbaucrew für das Konzert am Folgetag spontan am Tresen. Es entstehen sogar Songs. Finanziell ist die Kneipe vom ersten Tag an eine kleine Goldgrube.
Und das bleibt auch so, als Böll an Hilbers und dessen Partner Costa Fotiadis Ende der 80er Jahre übergibt: „Für mich war das Chlodwig Eck immer eine Legende“, so Costa, der mittlerweile das „Filos“ in der Merowinger Straße führt, „als das Angebot kam, dass das Eck zu haben sei, bin ich mit Robert direkt hin. Die Leute haben uns die Bude eingerannt. Wir hatten sehr gute Jahre. Es schien so, als wenn die Leute drauf gewartet hätten.“
Rechte werden aus der Kneipe gejagt
Es wird gefeiert, gelacht, geklüngelt. Und man hält zusammen: Als Anfang der 90er zwei Rechtsradikale an der Theke den Hitlergruß zeigen und randalieren, rennen alle Stämmgäste mit ihrem Wirt den Rechten auf der Straße nach und stellen sie, ehe die herbeigerufene Polizei eintrifft. „Da bekam ich Gänsehaut, hier sind wir zu Hause, habe ich gemerkt“, sagt Fotiadis. Rechte haben hier keinen Platz am Tresen.
Auch Niedecken und seine Truppe sind dem Chlodwig Eck stets treugeblieben. „Bei der Fan-Convention 2011 haben wir noch mal hier gespielt. Es war eine sehr schöne Atmosphäre, das war in dem Jahr vor meinem Schlaganfall, da hatte ich noch keinen Bart“, erinnert sich Niedecken.
Viele Ehen im Chlodwig Eck entstanden
„Jede Menge Ehen sind hier entstanden“, sagt Hilbers und zeigt uns zum Spaß sein Porträt in der Wandmalerei, das einst der Künstler Markus Schönau aufwendig gestaltete - das optische Highlight der Kneipe, „Mann, sah ich da noch jung aus...“ Doch der Geist vom Eck hat sich nicht verändert - er ist der gleiche geblieben. Bis heute.
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Wie „Jupp“ zum BAP-Hit wurde
Legendär: Im BAP-„Wohnzimmer“ entstanden auch so manche Lieder...
„Zum Beispiel der „Jupp“, sprudelt es aus Wolfgang Niedecken geradezu heraus. Der Frontmann erinnert sich, wie ihn ein Penner zu einem Hit inspirierte: „Nebenan war das Männerübernachtungsheim. Und wenn die Jungs da morgens raus mussten, kamen die hier ins Chlodwig Eck rein, um ein Kölsch oder Käsebrötchen abzustauben. Irgendwann saß ich mit meinem Hund Blondi hier. Dann kam der Typ rein, guckt mich und den Hund an und sagt den epochalen Satz: "Der Schäferhund ist der beste Freund des Mannes. Er hat mir in Alaska mal das Leben gerettet." Er hat eine Geschichte erfunden, um sich ins Gespräch zu bringen. Ich hab dem den Kaffee bezahlt und bin nach Hause, hab den Song geschrieben. Das war der Jupp.“
Und auch die „Ruut, wiess, blau querjestriefte Frau“ saß im Eck am Tresen! „Die Frau war eine höhere Tochter im Tennisoutfit, die sich hierin verirrt hatte, als wir einen Gig hatten. Die saß dann vor mir, und die war sehr attraktiv, ich konnte kaum woanders hingucken. In einer Pause fingen wir Verzäll an, aber sie erzählte unfassbaren Scheiß, und aus diesem Scheiß habe ich dann das Lied zusammengesetzt.“
Niedecken lacht: „Mit Perlen, Ohrringelchen, sie war halt ein Schuss, wo du hingeguckt hast.“ Und der musikalisch unsterblich werden sollte.
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Stollwerk-Besetzung ruinierte Niedecken das Date
Die wilden Südstadt-Jahre. Das Chlodwig Eck war auch politischer Treffpunkt für die Alternativszene - gerade zu der bewegten Zeit der Stollwerck-Besetzung ein paar Häuser weiter!
Die 49 Tage dauernde Hausbesetzung der ehemaligen Stollwerck-Schokoladenfabrik im Severinsviertel hielt die Südstadt ab dem 20. Mai 1980 in Atem - die 600 Besetzer sorgten sogar für bundesweite Beachtung.
Die Aktion endete schließlich mit dem Abzug der Besetzer nach Verhandlungen mit einem Ratsvertreter. Das Hauptziel der Aktivisten, der selbstverwaltete Umbau der Fabrikgebäude in preiswerten Wohn- und Kulturraum, wurde nicht erreicht. Als Erfolg der Aktion wurde die Fabrik allerdings im Rahmen einer Zwischennutzung über sieben Jahre als Kulturzentrum von einer progressiven Kunst- und Theaterszene genutzt.
Niedecken war Zeitzeuge und als Gast im Chlodwig Eck an dem Tag der Besetzung gewissermaßen ihr „Leidtragender“. Denn anstatt mit seiner späteren, ersten Ehefrau Carmen entspannt Kaffee zu trinken, rissen ihn die Ereignisse aus dem ersten Date.
„Hier im Eck hatte ich das erste Rendezvous mit der späteren Mutter meiner Söhne. Ich saß mit Carmen hier am Fenster, an diesem 20. Mai“, erinnert er sich, „der Besetzerzug kam vorbei, in erster Reihe Klaus der Geiger. "Wolfgang, was machst du in der Kneipe?", fuhr er mich an, "Du musst das Stollwerck besetzen!" Mein Rendezvous war im Eimer. Es waren ja offene Fenster, da hat er mich gesehen. Unfassbar, dass ich bei dieser revolutionären Geschichte nur Frauen im Kopf hatte.“
Doch natürlich wurde auch der BAP-Chef jetzt an der Seite des legendären Straßenmusikers aktiv- und im Chlodwig Eck tauschten sich die Besetzer und ihre Unterstützer aus.