Niedecken und seine TinaKeiner glaubte an ihre Liebe, jetzt feiern sie Silberhochzeit
Kölsch-Rocker Wolfgang Niedecken sprach mit EXPRESS über...
... das Altern, samt Besuchen beim Urologen.
... Stolz und Sorge um seine erwachsenen Kinder.
... den an Krebs erkranktem Bassist Werner Kopal.
... eine Liebe, an die Anfangs keiner so richtig glauben wollte.
Ins Soest geht’s los. Freitag startet dort Niedeckens BAP mit der „Live & Deutlich“-Tour. Und dabei wird mal wieder kein Konzert unter drei Stunden 15 Minuten dauern. Manchmal auch drei-dreißig. „Je nachdem wie meine Plauderlaune ist und ob das Publikum es schafft, uns danach noch ein Stück aus den Rippen zu leiern“, sagt Wolfgang Niedecken lachend. EXPRESS traf den 67-Jährigen zum Gespräch über...
... die Songausauswahl
Wir fangen jetzt bei der Tour an mit „Drei Wünsche frei“. Das Stück habe ich 1983 geschrieben, 1984 war es auf dem Album. Das hätte ich auch heute schreiben können. Oder „Kristallnaach“. Aber da würde ich mich freuen, wenn „Kristallnaach“ mal so inaktuell wäre, dass wir es nicht mehr spielen müssen. Oder „Arsch huh- Zäng ussenander“. Das Stück hätte noch in der Chemnitz-Woche geschrieben werden können. Ich hätte auch nicht gedacht, dass sich die politische Situation noch mal dermaßen verschärft. Dass es noch mal so schlimm wird. Aber vor zwanzig Jahren war noch nix mit Internet und den ganzen neuen Manipulationsmöglichkeiten, da drängten noch keine rechten Populisten weltweit an die Macht. „Absurdistan“ stammt vom letzten BAP-Album – also von vor der großen Flüchtlingswelle.
Wir haben jetzt eine Setliste, bei der wir ziemlich politisch in die Zielgerade gehen. Die Songs sprechen schon eine deutliche Sprache. Ich finde, das ist notwendig. Aber auch „Verdamp lang her“ oder „Nemm mich met“ und Songs vom letzten Solo-Album „Reinrassije Strooßekööter – das Familienalbum“ werden zu hören sein.
Ich versuche immer eins aus dem anderen entstehen zu lassen. Als eine Art organischer Prozess. Die Solo-Alben, die ich gemacht habe: Aus „Zusammen alt“ ist die „BAP zieht den Stecker-Tour“ entstanden. Die hätten wir niemals gewagt, wenn ich dieses Solo-Album nicht gemacht hätte. Damals habe ich schon gedacht, dass ich mit dieser Wahnsinns-Besetzung noch mal was in New Orleans aufnehmen könnte. Letztes Jahr war im Mai spielfrei, also haben wird das gemacht. Würde ich nix Neues zulassen, gäbe es nix Überraschendes mehr. Ich bin sehr froh über die New-Orleans-Sessions. Sonst würde diese Tour niemals mit Bläsern laufen
...über Zufälle
Vieles entsteht ja aus Zufällen. Die Bläser, das sind die drei Jungs von der „Sing meinen Song“-Band. Axel Müller, Christoph Moschberger und F. Johannes Goltz. Die laufen mir immer mal wieder über den Weg. Das letzte Ding war dann die Nena-Show in Hamburg im vergangenen September. Da saßen die schon wieder in der Big-Band. Da habe ich dann endlich gefragt: Würdet ihr, falls ich euch fragen würde, wenn wir wieder auf Tour gehen, Lust haben, dabei zu sein? Und die haben sofort ja gesagt. Da bin ich abends ins Hotel und hab mir die erste Set-Liste unter den neuen Bedingungen überlegt. Tatsächlich habe ich die ersten vier Stücke vom Programm schon damals nachts im Hotel festgelegt. Da können wird „Drei Wünsche frei“ spielen, und „Waschsalon“ macht mir auch wieder Spaß und „Psycho-Rodeo“ und „Diss Naach ess alles drin“ können wir endlich wieder mit Trompeten-Intro spielen. Tina war übrigens der Hauptadvokat. Sie hat mich immer mal wieder gedrängt die Jungs mal zu fragen.
...drei Stunden-Shows und Fitness
Ich setze mich jeden Morgen auf Heimtrainer und strample ‘ne Stunde. Ich schieb mir dann eine DVD rein oder gucke Fernsehen. Dann mach ich jeden Morgen und jeden Abend meine Übungen für den Bandscheibenvorfall, den ich erfreulicherweise ohne Operation in den Griff gekriegt habe. Die ersten zwei Ärzte wollten noch operieren. Der dritte hatte einen anderen Plan. Jetzt mache ich diese Übungen. Damit die Muskulatur gestärkt ist. Das ist das A und O. Und es hilft!
... das Altern
Altern ist etwas, auf das man sich einzustellen hat. Wie meine Mutter, die zu allem einen schönen Spruch parat hatte, schon sagte: „Wer nicht alt werden will, der muss jung sterben. Fäädisch“. Ich lebe auch so. Man muss, wenn man ein bestimmtes Alter erreicht hat, auf seine Sollbruchstellen achten. Das hört sich sehr unsexy an, aber du musst zum Urologen, zum Internisten, gucken, dass deine Zähne weiter funktionieren, du musst alles Mögliche machen. Schauen wir mal, wie weit wir damit kommen, dann sehen wir schon. Ich denke, ich habe es ganz gut getroffen. Ich bin jetzt 67, da wären andere schon zwei Jahre in Rente – und ich darf und kann weiterhin tun, was ich so gerne tue. Die langen Konzerte hängen vor allem damit zusammen, dass ich daran so viel Spaß habe.
... die Zukunft und das Aufhören
Solange es mein gesundheitlicher Zustand es zulässt, werde ich mit der Musik weiter machen. Und: toi, toi, toi, es sieht gut aus. In welchen zeitlichen Abständen und in welchen Konstellationen was passiert, bleibt abzuwarten.
... die Vorfreude auf die Tour
Ich freu mich total auf die Tour-Fortsetzung, ich konnte es in den letzten Tagen kaum noch erwarten. Zu touren ist für mich pures Vergnügen, ich gehe quasi als Erholung auf Tour. Es gibt da nur einen Moment, den ich hassen werde. Den nach dem letzten Konzert im Palladium. Die Kölner, die tragen uns immer auf einer Welle der Liebe. Das ist unglaublich. Am 31. Oktober ist es wieder so weit. Und danach werde ich von der Bühne gehen und sagen: Scheiße. Wie lange dauert es jetzt, bis ich wieder spielen darf? Das weiß ich heute schon ganz genau.
... den Urlaub und das Danach
Da geht es erst mal nach Sri Lanka. Frau Niedecken will Ayurveda machen, Herr Niedecken will schön lesen und eventuell ein paar Songs schreiben. Nächstes Jahr haben wir dann 2019. Also vierzig Jahre nach 1979. Da hat BAP die erste Platte rausgebracht. Da hab ich natürlich mit einem Luxusproblem umzugehen. Wir werden wohl ein paar Open-Airs spielen, im Sommer. Aber da überlegen wir noch.
... das Band-Management
Das machen mittlerweile meine Frau Tina und ich. Wir haben jetzt sogar einen eigenen Stempel: Kitchen-Table-Management. Haben wir uns geleistet (lacht). Bei Travelling Tunes Productions (TTP) sitzen die Mädels und machen den ganzen Papierkram, wir sitzen bei uns am Küchentisch, da steht jetzt auch der Drucker und besprechen, was geht, und was zu tun ist. Tina macht zum Glück den ganzen Internetkram, was ich ja gar nicht auf die Reihe kriege. Auf Tour ist sie natürlich auch immer dabei. Freitagmittag kommt der Wagen, da setzen wir uns auf die Rückbank, den Laptop auf dem Schoss und gucken, was wir noch bis Soest zu erledigen haben.
Familie und Loslassen
Ich bin ein Familienmensch. Die Familie gibt mir Halt, ich muss wissen, wo ich hingehöre. JoJo hat in Mannheim Musik-Business studiert und arbeitet schon in Berlin. Isis liegt mit ihrem Mode-Design-Studium in den letzten Zügen. Ich bin mächtig stolz auf meine Kinder. Die Jungs, also Severin und Robin, haben natürlich längst ihr eigenes Leben. Trotzdem macht man sich ganz ab und zu Sorgen. Meine beiden Söhne sind ja freischaffend. Severin als freischaffender Künstler, Robin dreht Dokumentarfilme. Und nicht mit den einfachsten Themen. Ja, es sind gute Jungs, die jetzt ihr eigenes Ding machen. Und wenn ich in „Reinrassije Strooßekööter“ singe: „Em Loslosse sinn mer schläch“, da meine ich natürlich mich damit.
... Tina Niedecken & die silberne Hochzeit
Wir leben zusammen ein relativ unkonventionelles Leben. Und ein symbiotisches. Wir müssen beide sehr flexibel sein, haben uns aber auch gesucht und gefunden. Das hätte damals auch keiner gedacht. Ich höre noch die ganzen Unkenrufe, damals vor gut 30 Jahren. Und dieses Jahr, am 11. Dezember feiern wir tatsächlich schon Silberne Hochzeit. Das erste Mal, dass Tina als Fotografin mit war, war die UDSSR-Tour, das war 1989. Das muss man sich mal vorstellen! Lang, lang ist es her.
... den an Krebs erkranktem Bassist Werner Kopal
Dem geht es gut. Er hat die zweite Chemo sehr gut überstanden. Die erste Chemo hatte er ja wegen einer Grippe abbrechen müssen. Nach der zweiten haben wir überlegt ob er schon jetzt im Herbst mitfährt. Aber er darf sich auf keinen Fall erkälten. Und in den Hallen fliegen die Bakterien rum wie jeck. Schließlich hat er sich dazu entschieden, das zu lassen, was ich sehr vernünftig finde. Er soll sich jetzt richtig erholen. Dann ist er nächstes Jahr wieder an Bord.