Wolfgang Niedecken hat mit seiner Band BAP die „Zeitreise 81/82“ gestartet. Im Sartory-Saal in Köln präsentierten die Kölsch-Rocker die Songs aus ihren Anfangsjahren. 2024 geht es damit auf große Tour.
Klassentreffen mit KlassikernNiedecken sorgt für viele Emotionen bei BAP-„Zeitreise“
In der Vorweihnachtszeit werden viele gerne mal etwas sentimentaler. Dann wird zurückgeblickt, an schöne und weniger erfreuliche Zeiten gedacht. Den passenden Soundtrack zu dieser Stimmung präsentierte Wolfgang Niedecken (72) am Donnerstagabend (7. Dezember 2023) mit seiner Band im Sartory-Saal.
„Zeitreise 81/82“ nennt sich das Konzept und trifft genau ins Ziel. Im traditionsreichen Saal in der Friesenstraße spielte Niedecken mit seiner Band BAP in den Anfangsjahren regelmäßig. Bei der Präsentation des „Affjetaut“-Albums am 3. Dezember 1980 kostete der Eintritt damals sechs Mark an der Abendkasse.
Niedeckens BAP: „Zeitreise 81/82“ – kein Song ist jünger als 40 Jahre
Kurz danach gelang den Kölsch-Rockern der große Durchbruch mit „Verdamp lang her“. Und natürlich wird der Klassiker auch 42 Jahre später besonders frenetisch bejubelt. Viele Bands kennen das Phänomen: Neue Songs werden beklatscht, die älteren gefeiert. Bei der zurückliegenden Tour hatte Niedecken viele dieser lange nicht gespielten Schätzchen ins Programm gestreut. Die Resonanz im Publikum war enorm.
Aus dieser Erfahrung entstand das Konzept für die „Zeitreise“-Tour. Kein Titel, der gespielt wird, ist jünger als 40 Jahre. Zur Begeisterung der Fans kommen so nochmal alle Titel der beiden Durchbruchsalben „für uzzzeschnigge!“ und „von drinne noh drusse“ auf die Bühne.
Man glaubt es kaum, aber selbst da gibt es noch Songs, die ihre Live-Premiere erleben. „Koot vüür aach ess et, jlisch ess et widder suwigg. Op de Bühn, et jeht loss, et ess voll. Optimal, klar, ich weiß, ich beklaach mich jo nit. Bloß: Wie ich hück widder dropkumme soll“, heißt es zum Start. Auch Lieder wie „Weißte noch?“, „Fuhl am Strand“ und „Hundertmohl“ gibt es leicht neu arrangiert.
Das Durchschnittsalter des Publikums bewegt sich um die Pensionsgrenze. Unter den 1400 Glücklichen, die für die in wenigen Minuten ausverkauften Abende Karten ergattern konnten, finden sich viele Männer ohne Haupthaar, einige mit weißem Rauschebart. Einige kennen sich, eine Stimmung wie beim Klassentreffen macht sich breit.
Dass die alten Lieder nicht aus der Zeit gefallen und plump kitschig klingen, hatte Niedecken schon im Sommer gespürt, als er „10. Juni“ reaktiviert hat. „Plant mich bloß nit bei üch ein“, heißt es in dem Stück und „Ich hann met ühre Logik nix ahm Hoot“. Eigentlich schrieb der Frontmann den Song anlässlich der Friedensdemonstration gegen den Nato-Doppelbeschluss 1982 in Bonn. Aber zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine passen die Zeilen ebenso.
Genauso erschreckend aktuell ist das wohl bekannteste politische Statement der Band gegen Antisemitismus und Fremdenhass. „Was da gerade in Israel passiert, ist schrecklich und geht uns sehr nahe. Wir als Deutsche haben erst mal vor der eigenen Haustüre zu kehren und dafür zu sorgen, dass jüdische Mitbürger hier angstfrei leben können“, sagt der Sänger und stimmt „Kristallnaach“ an.
Von der ursprünglichen BAP-Besetzung ist nur Niedecken noch mit dabei. Auch er hat, wie viele im Publikum, in den Jahrzehnten Höhen und Tiefen erlebt. Er hat beziehungsmäßig nochmal neu angefangen, aber jetzt sind auch die beiden Töchter aus der zweiten Ehe aus dem Haus. Dann war da der Schlaganfall, von dem er sich wieder berappelt hat und jetzt mit Vollbart und wallender grauer Mähne auf der Bühne steht.
„Der ganz naive Pazifismus ist dann doch irgendwie auf der Strecke geblieben“, scherzt er rückblickend auf die politische Vergangenheit der Band. Selbst mit dem Karneval hat er Frieden geschlossen, weil vor allem seine Frau und die Töchter sehr jeck seien. „Nit für Kooche“, der Anti-Karnevals-Song, der die spießigen Vereinsmeier der Vergangenheit aufs Korn nimmt, sorgt in der Jecken-Hochburg Sartory für Schunkelstimmung.
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„Wellenreiter“, Müsli Män“, „Jupp“, „Ne Schöne Jrooss“, „Do kanns zaubere“, „Jraaduss“, „Anna“, „Stell dir vüür“ – alle BAP-Klassiker der Anfangsjahre können bejubelt werden.
Das letzte Lied, „Helfe kann dir keiner“, singt Niedecken allein. Um 23.08 Uhr ist dann die erste von vier Sartory-Shows beendet. Der Konzert-Rekord von vier Stunden und acht Minuten wurde also nicht gerissen. Im kommenden Jahr geht es mit der wunderbaren Zeitreise auf die großen Bühnen. Finale ist dann wieder in Köln – am 12. und 13. Dezember in der Lanxess-Arena.