Lieber frieren als dasPutins Krieg: Deutschland braucht jetzt die Schockbehandlung

Ukrainische Kinder schauen am 4. März aus dem Fenster eines Zuges, der von Lviv aus in den Westen fährt.

Ukrainische Kinder schauen am 4. März aus dem Fenster eines Zuges, der von Lwiw (Lemberg) aus in den Westen fährt. Seit Beginn des Krieges hat die Bundespolizei 64.604 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland festgestellt.

Was sich in der Ukraine abspielt, ist eine einzige Katastrophe. Natürlich für die Menschen, aber auch für die Wirtschaft. Der Westen hat mit scharfen Sanktionen reagiert. Doch die sind nicht konsequent, findet unser Autor. Wir lassen uns weiterhin Energie von Putin liefern. Schluss damit! Wir brauchen die Schockbehandlung, den kalten Entzug. Ein Kommentar.

von Martin Gätke  (mg)

Im Osten von Europa werden auch wir selbst bedroht. Es ist unerträglich dabei zuzusehen, wie die tapferen Ukrainerinnen und Ukrainer ihre Menschenleben dafür einsetzen, auch unsere Demokratie zu verteidigen. Putin bombt sie aus ihren Häusern, bombt ihr Land zurück ins Mittelalter. Die Menschen verlieren ihre Familien, ihre Freunde, ihre Heimat.

Und die Bundesregierung reagiert erst viel zu spät. Und klammert sich jetzt – trotz der bereits verhängten Sanktionen – weiter an ihren Wohlstand. Doch was ist uns die Verteidigung von Menschenleben, von Demokratie und europäischen Werten wert? Es sollte mehr sein, als wir derzeit bereit sind zu zahlen.

Russland hat den Stopp von Nord Stream 1 angekündigt. Die Regierung sollte dem zuvorkommen – und zwar sofort. Die Bundesregierung sollte die russische Energielieferung ohne Umschweife auf der Stelle beenden.

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Hätte das gravierende Folgen für Deutschland? Ja. Jede zweite Wohnung wird bei uns mit Gas geheizt, auch die Industrie ist höchst abhängig. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums liegt der Anteil russischer Importe an den fossilen Gasimporten nach Deutschland bei rund 55 Prozent, bei Rohöleinfuhren bei rund 35 Prozent.

Doch jeder Cent, den wir Russland für dieses Gas und sein Öl zahlen, fließt in Putins Kriegskasse. Seit Jahren finanzieren wir mit unseren Öl- und Gasimporten seinen Krieg. Wie er unsere Milliarden nutzt, spielt sich jetzt tagtäglich vor unseren Augen ab: Die Städte werden kurz und klein gebombt, Tote säumen die Straßen, Menschen verlieren ihre Heimat.

Und wir in Deutschland haben Angst um unseren Wohlstand.

Krieg in der Ukraine: Den Energiesektor haben wir ausgeklammert

Denn wir haben zwar scharfe Sanktionen verhängt, unterstützen die Ukraine auch militärisch – wenn auch viel zu spät. Doch der Energiesektor wurde im Großen und Ganzen ausgeklammert. Russische Banken, mit denen der Handel mit Öl und Gas abgewickelt wird, können ohne Beschränkungen weitermachen. Es wird weiter exportiert, was das Zeug hält.

Heißt: Auch jetzt, in diesem Moment, zahlen wir mit unseren Millionen in Putins Kriegskasse ein und finanzieren sein mörderisches Handwerk. Während wir auf der anderen Seite Waffen, Lebensmittel und Hilfen für die Ukraine bereitstellen.

Schluss damit! Lieber friere ich, lieber hungere ich, lieber verzichte ich auf meinen Wohlstand, als Putin auch nur einen weiteren Cent für sein giftiges Gas zu geben. Auch Expertinnen und Experten erklären: Ein Stopp russischer Energielieferung wäre zu meistern.

Krieg in der Ukraine: Lieber mehr zahlen, als Menschenleben zu betrauern

Ja, so ein Lieferstopp würde die Preise in die Höhe katapultieren.

Ja, für Mieterinnen und Mieter könnte die nächste Heizkostenabrechnung einen Schock bedeuten.

Und ja, auch an der Tankstelle wird Benzin unbezahlbar.

Doch wir können nicht auf der anderen Seite Menschen betrauern, die in ihrem Land sterben. Die bei uns um Hilfe bitten. Und auf der anderen Seite über ein paar Euro weniger klagen. Nein, der Staat muss handeln und den Gashahn abdrehen – und dann für einen sozialen Ausgleich sorgen. Um Menschen mit weniger Geld in der Tasche mehr zu entlasten.

Ukraine: Deutschland braucht die Schockbehandlung

Deutschland braucht die Schockbehandlung – den kalten Entzug.

Veronika Grimm vom Sachverständigenrat Wirtschaft sagte dem „Handelsblatt“, dass dies möglich wäre. Ein Verzicht auf russisches Gas sei eine Herausforderung, aber machbar. „Wir müssten kurzfristig Gas auf dem Weltmarkt beschaffen, um die Versorgung in Sektoren sicherzustellen, wo keine Substitution möglich ist.“

Krieg in der Ukraine: Lieber frieren, bevor wir Putin weiter unterstützen

Kohlekraftwerke müssten ebenso weiterlaufen. „Wenn ein Energieembargo die Eskalation eindämmen kann und die Ausbreitung von Krieg in Europa unwahrscheinlicher macht, dann sollten wir den Schritt gehen“, meint auch Grimm. „Lange andauernde kriegerische Auseinandersetzungen in Europa hätten deutlich schwerwiegendere Folgen als der Stopp der Energielieferungen.“

Für den laufenden Winter reichten die Gasreserven ohnehin. Für den Winter 2022/2023 müssen wir jetzt sofort Vorbereitungen treffen. Mit Gasimporten aus anderen Ländern, dem Einsatz von Kohlekraftwerken und einem geringeren Verbrauch sei das aber machbar, so Grimm. „Es wird herausfordernd und teuer, aber nicht kalt.“

Die Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sagt ebenfalls, ein Stopp könnte mit Importen aus anderen Ländern ausgeglichen werden. Auch mit Energiesparen. „Jeder kann im Haus oder in der Wohnung die Temperatur um ein Grad runterdrehen, auch die Industrie hat enorme Einsparpotenziale.“ Dann lasst uns doch lieber frieren, bevor wir diesen Krieg weiter unterstützen.