ARD-KommentatorDeutsche Doppelmoral, Verzweiflung im WM-Finale – Tom Bartels zieht Katar-Fazit

Tom Bartels  an seinem Kommentatoren-Platz.

ARD-Kommentator Tom Bartels, hier am 3. Dezember 2022 in Katar, hat exklusive Eindrücke von der WM geschildert.

Nach seinem Einsatz beim Endspiel von Katar ist WM-Final-Kommentator Tom Bartels wieder daheim in Köln. EXPRESS.de traf den sympathischen ARD-Reporter zufällig in einem Café – und bat um eine ganz persönliche Bilanz.

von Ayhan Demirci  (ade)

Vier Wochen in der Wüste, neun Spiele kommentiert – ARD-Kommentator Tom Bartels (57) erklärt offen: „So ein Turnier ist auch belastend und anstrengend. Ich habe am Ende auch gemerkt, dass es lang wird. Ich hab mich echt gefreut auf die Kälte und die Weihnachtsatmosphäre! Ich bin froh, wieder hier zu sein.“

Der Höhepunkt seiner WM-Reise: das dramatische Endspiel Argentinien gegen Frankreich am Sonntag (18. Dezember 2022), welches die Südamerikaner im Elfmeterschießen (4:2) für sich entschieden. Bartels kommentierte die Partie für die ARD. EXPRESS.de hat den sympathischen Reporter nun zufällig in einem Ehrenfelder Café getroffen – und bat um eine ganz persönliche Bilanz.

Tom Bartels gibt exklusive Einblicke zum WM-Finale in Katar

Das Jahrhundertfinale Argentinien gegen Frankreich, der Thriller von Lusail, hat Bartels beeindruckt. „Unfassbar, sie haben bis in die Nachspielzeit der Verlängerung noch auf das Siegtor gespielt“, schwärmt Bartels von beiden Teams.

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Permanent habe er als Reporter hellwach sein müssen – bis zu den Feierlichkeiten auf dem Rasen: „Einmal hat irgendeine Frau Messi umarmt, man hat im ersten Moment gedacht, die Mutter, aber nein – es war die Mannschaftsköchin.“

Und Anekdoten, von denen die Zuschauerinnen und Zuschauer nichts mitbekamen? Bartels schildert, wie er mit seinem Co-Kommentator Thomas Broich (41) gelitten habe, als zwei ihnen vorab geheimnisvoll als „Helden“ angekündigte ältere Herren den WM-Pokal ins Stadion trugen: „Wir haben auf der Pressetribüne verzweifelt um uns geschaut – aber auch alle drumherum wussten nicht, wer sie waren. Irgendwann später hat einer gesagt, es seien zwei Spieler der argentinischen Weltmeistermannschaft von 1986, Pumpido und Batista. Nicht mal die Kollegen aus Südamerika wussten das.“Nehmen Sie hier an der EXPRESS.de-Umfrage teil:

Zur Erholung bleiben Bartels nun nur wenige Tage. Denn: Mit den ARD-Kollegen aus der Sportredaktion besprach er am Dienstag (20. Dezember) schon die anstehenden Wintersport-Events wie die Skisprungwettbewerbe, bei denen er wieder am Start ist.

EXPRESS-Reporter Ayhan Demirci sitzt mit ARD-Kommentator Tom Bartels am Tisch.

EXPRESS-Reporter Ayhan Demirci (l.) traf ARD-Kommentator Tom Bartels (r.) im Café Roastery in Köln-Ehrenfeld am 20. Dezember 2022.

Kritisch sieht Bartels derweil neben dem frühen sportlichen Aus der DFB-Elf auch die deutsche Haltung gegenüber dem Gastgeberland, er spricht von „maximaler Doppelmoral“: Geißelung des Landes auf der einen, Geschäfte auf der anderen Seite. 300 deutsche Firmen seien im Emirat aktiv.

Bartels: „Wir zeigen immer nur mit dem Finger auf Katar, was sie alles falsch machen und wie schlimm sie die Leute behandeln, aber die Menschen sind, auch wenn die Löhne höher sein könnten, gerne da oder haben zumindest keine Alternative.“

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Er selbst sei abends mit Kolleginnen und Kollegen immer zu einer Art Kiosk gegangen, wo es auch Essen gab. „Da arbeiteten drei Leute aus Bangladesch und zwei Inder, die haben superleckeres Essen und Fruchtgetränke gemacht. Arbeiter aus der ganzen Welt sind in Katar, die 60 bis 80 Prozent ihres Geldes nach Hause schicken – da klagt keiner. Das ist bei uns zu kurz gekommen. Was bieten wir diesen Leuten? Die fragen uns: Kann man bei euch auch arbeiten? Was würde man da verdienen?“

Nach der WM ist vor der EM 2024 in Deutschland. Was denkt Tom Bartels über die Organisation des Heimturniers? „Es ist fast unfair, zu vergleichen: Wir haben diese Infrastruktur nicht. Ich bin wiedergekommen und bin mit der Deutschen Bahn von Frankfurt nach Köln zurückgefahren, da ist wegen Oberleitungsstörungen erst mal die Hälfte der Züge ausgefallen. In Katar fällt kein Zug aus, die U-Bahn kommt im Minutentakt und 200 Meter unter der Erde ist alles fürs Internet verkabelt. Wenn du als Journalist aus Katar nach Deutschland zurückkehrst – das ist schon anders. Dieses Niveau können wir gar nicht erreichen, das ist ein hochmodernes Land, das so viel Geld hat, dass es egal ist, wie viele Menschen aus aller Welt für sie arbeiten. Aber dafür haben wir Atmosphäre und Fußballkultur. Von daher wird die EM in Deutschland sicher nicht schlechter als die WM in Katar.“

Dann berichtete Bartels noch, dass es bei der aus deutscher Sicht grandiosen WM 2014 mit dem Titelgewinn ihn selbst, den Kommentator des Finales gegen Argentinien (1:0), hinterher buchstäblich umgehauen hatte: „Da habe ich auch das Gefühl gehabt, es ist alles gut, ich war fit. Wir sind nach Norwegen in den Urlaub geflogen, und da bin ich quasi zusammengeklappt. Ich habe fünf Tage lang vier T-Shirts durchgeschwitzt. So gestresst war ich offenbar, ohne es zu merken.“