Interview

Christoph DaumVor Viertelfinale: Erfolgstrainer hat einen ganz speziellen Endspiel-Tipp

Christoph Daum steht am Spielfeldrand.

Christoph Daum (hier am 27. April 2024) verfolgt die Spiele der EM ganz aufmerksam. Natürlich gilt auch der Türkei ein besonderes Augenmerk.

Christoph Daum war als Trainer in Österreich und der Türkei erfolgreich. Zudem sollte er Bundestrainer werden. Über den EM-Endspurt und das Duell zwischen Deutschland und Spanien sprach er im Interview.

von Marcel Schwamborn  (msw)

Trainer-Legende Christoph Daum (70) verbringt gerade zusammen mit Reiner Calmund (75) ein paar entspannende Tage auf der „Mein Schiff 6“ in der Adria. Natürlich ist das Haupt-Diskussionsthema auch dort die Fußball-EM.

Am Dienstagabend (2. Juli 2024) war der Coach besonders aufmerksam. Beim Duell zwischen Österreich und der Türkei (1:2) schlugen gleich zwei Herzen in seiner Brust. Daum war Meister und Pokalsieger mit Austria Wien sowie Meister und Pokalsieger mit Besiktas und Fenerbahçe Istanbul.

Daum war Meister und Pokalsieger in Österreich und der Türkei

Nach dem Viertelfinal-Einzug der Türkei und vor dem bevorstehenden Kracher-Duell zwischen Deutschland und Spanien sprach der Mann, der 2001 eigentlich Bundestrainer werden sollte, mit EXPRESS.de.

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Was sagen Sie zum Sieg der Türkei gegen Österreich?

Christoph Daum: Zuallererst habe ich zu Torwart Mert Günok eine ganz besondere Beziehung. Den habe ich zu meiner Zeit bei Fenerbahçe zu den Profis hochgezogen, da war er gerade 17 Jahre alt. Solch eine Parade sieht man auch nur alle zehn Jahre. Wie er den aus der kurzen Entfernung rausgeholt hat, war sensationell. Er ist ein sehr solider, zuverlässiger Torhüter, der seine Möglichkeiten manchmal etwas überschätzt, aber insgesamt sehr professionell, hoch konzentriert und fokussiert arbeitet.

Torhüter Mert Günok wird gefeiert.

Der türkische Torhüter Mert Günok wurde vor 18 Jahren von Christoph Daum erstmals zu den Profis geholt.

Hat es Sie überrascht, dass die Türkei das Spiel gewonnen hat?

Christoph Daum: Gerechnet hatte ich damit nicht. Österreich hat auch mich im Holland-Spiel sehr beeindruckt, während die Türkei zuvor einige Flüchtigkeits- und Stellungsfehler sowie Eigentore gezeigt hat. Im März ging das Duell noch 6:1 für Österreich aus, daraus hat die Türkei sehr gelernt. In meinen Augen ist Österreich am Ausfall von David Alaba gescheitert. Er hatte vor der EM im Zusammenspiel mit Philipp Lienhart alles im Griff. Die Schwachstelle war am Ende die Innenverteidigung. Die Türkei hat außergewöhnlich konzentriert und kompakt gespielt.

Und leidenschaftlich natürlich auch …

Christoph Daum: Es gibt kaum ein Land, wo Spieler mit solch einer Überzeugung ihr Land vertreten. Das ist ein enormer Stolz, der da zu spüren ist. Viele Türken fühlen sich in Europa benachteiligt und versuchen deshalb durch Erfolge im Sport ihr Selbstwertgefühl aufzuwerten und zu bestätigen. Das haben sie perfekt demonstriert.

Was halten Sie vom 19-jährigen Wunderkind Arda Güler?

Christoph Daum: Entscheidend ist da Trainer Vincenzo Montella. Er hat ein unglaublich gutes Händchen für solche kommenden Superstars. Wenn ein Spieler aus der Türkei bei Real Madrid spielt, ist das schon ein Ritterschlag. Der Trainer nimmt ihn gut an die Hand, lässt ihn auch schon mal draußen, gibt ihm aber immer das Gefühl, dass er einer der wichtigsten Spieler ist.

Was ist der Mannschaft denn jetzt noch zuzutrauen?

Christoph Daum: Wenn diese Leistung wiederholbar ist, kann die Türkei bis ins Endspiel kommen. Die Frage ist, ob sie diese Fokussierung, Kompaktheit und Geschlossenheit und die fast fehlerfreie Spielweise wiederholen können. Wenn ja, dann werden die Holländer ihre Probleme haben. Die Türken sind durch ihre Emotionalität auf dem Platz viel kreativer, während die Holländer Fußball wie am Reißbrett spielen.

Es könnte also zum EM-Finale zwischen der Türkei und Deutschland kommen. Oder wie denken Sie über das Viertelfinale gegen Spanien?

Christoph Daum: Nach dem Sieg der Türkei glaube ich jetzt auch, dass die Deutschen die Spanier schlagen. Wenn ich die Dinge sachlich und logisch analysiere, sehe ich einen klaren Vorteil für Spanien. Aber ich glaube, mit den Zuschauern und der Heim-Euphorie im Rücken ist das DFB-Team in der Lage, sein Endspiel zu gewinnen. Und für Deutschland ist es ein Finale. Die Mannschaft kann in dem Spiel nur gewinnen und ich bin inzwischen zuversichtlich, dass sie es auch schaffen.

Niclas Füllkrug und Florian Wirtz feiern zusammen.

Niclas Füllkrug und Florian Wirtz sind nach Christoph Daums Ansicht perfekte Joker für ihr Team.

Sind Sie überrascht von der bisherigen Leistung der Nationalmannschaft?

Christoph Daum: Die ganze EM ist ziemlich euphorisiert bis sogar ekstatisch. Davon haben sich viele Spieler treiben lassen. Stimmung schlägt Qualität, das gab in einigen Situationen den Ausschlag. Unsere Spiele waren zwar oft ein Tanz auf der Rasierklinge, aber wir hatten das nötige Matchglück. Und das heißt in meinen Augen Manuel Neuer, der in kritischen Szenen immer zur Stelle war.

Traditionell gibt es immer viele Debatten um die Aufstellung. Sollte Florian Wirtz im Viertelfinale wieder in die Startelf?

Christoph Daum: Ob Florian in der Anfangsformation steht oder im Spielverlauf reinkommt, er bleibt ein brandgefährlicher Spieler für jeden Gegner. Das wird Julian Nagelsmann genau beurteilen. Es kann durchaus Sinn machen, ihn im Laufe des Spiels zu bringen, wenn die Spanier schon etwas bespielt sind und man noch eher sieht, wo sich Lücken auftun. Diese zu nutzen, das ist Florians Stärke. Er kann Spiele lesen, die erst in 14 Tagen stattfinden, so vorausschauend spielt er.

Christoph Daum: Deutschland hat das Matchglück dank Manuel Neuer

Sollte Niclas Füllkrug nicht mal im Sturm beginnen?

Christoph Daum: Er ist eine unschlagbare Waffe auf der Bank, braucht quasi keine Anlaufzeit. Das gibt der Mannschaft so viel Sicherheit, dass sie weiß, dass sie immer noch mit einem torgefährlichen Spieler nachlegen kann, der für die Entscheidung sorgen kann. Das verschafft dem Team ein Selbstbewusstsein, was sonst höchstens noch Real Madrid hat. Alle wissen: Wir können jedes Spiel gewinnen.

Wie fällt Ihr generelles Zwischenfazit zur EM aus?

Christoph Daum: Mich freut, dass das Sicherheitskonzept funktioniert und es zu keinen nennenswerten Zwischenfällen gekommen ist. Zudem gefällt mir die begeisternde Stimmung. Vor allem die Schotten hätten einen Preis verdient. Sie haben gezeigt, welcher sozialer Kitt von solchen Nationen ausgehen kann. Wenn jetzt noch die Bahn zuverlässiger gewesen wäre, würden wir über ein perfektes Turnier sprechen.