Deutschland oder SpanienDie große Debatte: Wer gewinnt den EM-Viertelfinal-Kracher?

Deutschlands Bundestrainer Julian Nagelsmann (r-l), Co-Trainer Benjamin Glück und Rudi Völler.

Bundestrainer Julian Nagelsmann (r.) beobachtete am Donnerstag (4. Juli 2024) zusammen mit seinem Co-Trainer Benjamin Glück und Sportdirektor Rudi Völler das Abschlusstraining vor dem Spanien-Spiel.

Deutschland wartet seit dem 2:0 im EM-Gruppenspiel 1988 auf einen Pflichtspielsieg gegen Spanien. Im Viertelfinale kommt es nun zum erneuten Kracher-Duell. Die große Debatte: Wer wird gewinnen?

Bei den Spielen der spanischen Nationalmannschaft singen die Fans gerne einen über 50 Jahre alten Schlager-Hit: „Eviva España“. Am Freitagabend heißt es nach dem Duell gegen Deutschland für eine Nation: „Eviva Halbfinale“.

Der Viertelfinal-Kracher in Stuttgart (5. Juli 2024, 18 Uhr, ARD & MagentaTV) ist für viele bereits das vorweggenommene Endspiel der EM. Die Spanier gewannen bisher alle vier Begegnungen, der Turnier-Gastgeber trat ebenfalls überzeugend auf und schoss mit zehn Treffern die meisten Tore.

Deutschland mit zehn EM-Toren, Spanien schoss bisher neun

Deutschlands Mittelfeld-Abräumer Robert Andrich (29) hat vor dem Duell gegen die „Furia Roja“ (Rote Furie) seine Kampfbereitschaft signalisiert und seine Haare pink gefärbt. Auch wenn die DFB-Elf in Stuttgart die weißen Trikots trägt, ist etwas Pink im Spiel.

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„Wir werden alles tun, für das Land, für das Trainerteam, für alle, dass wir den Titel holen können. Das ist unsere Motivation“, kündige Jamal Musiala (21) bei „Sky“ an.

Deutschlands Robert Andrich während des Trainings.

Mittelfeld-Abräumer Robert Andrich geht mit pink gefärbten Haaren in den Viertelfinal-Kracher gegen Spanien.

Julian Nagelsmann (36) plant im fünften Turnierspiel wieder mit Jonathan Tah (28) in der Innenverteidigung. Auf der linken Seite dürfte David Raum (26) erneut den Vorzug erhalten. Die spannendste Personalfrage stellt sich in der Offensive. Leroy Sané (28) könnte wegen seiner defensiven Stärken den Vorzug vor Jungstar Florian Wirtz (21) erhalten.

Abwehrboss Antonio Rüdiger (31) erwartet ein „Spiel auf Augenhöhe“. Daher sei eins besonders wichtig. „Du darfst keine Fehler machen“, sagte er im Kicker, „denn wir wissen um ihre Konterstärke mit Nico Williams und Lamine Yamal, zwei klassischen Außenspielern. Die Qualität der Spanier ist sehr, sehr hoch.“

Doch der Champions-League-Sieger von Real Madrid ist guter Dinge. Seine Devise lautet: „Man muss den Mut haben, nach vorn zu gehen, denn sie sind auch verwundbar. Sie pressen hoch, darüber kann man kommen. Aber dazu musst du einen guten Ballbesitz und Ruhe in den Drucksituationen haben.“

Auch der deutsche Kapitän beruhigt die Fans, die fürchten, dass das EM-Sommermärchen am Freitagabend jäh zu Ende gehen könnte. „Es gibt keinen Grund, nicht optimistisch zu sein“, sagt Ilkay Gündogan (33). „Wir können und werden mehr als mithalten. Wir haben extreme Qualitäten. Und die Spanier haben sicher mehr Respekt vor uns, als sie gerade öffentlich zugeben“.

Die große Pro- und Contra-Debatte: Wer gewinnt den Viertelfinal-Kracher?

Deutschland diskutiert. Wer wird am Freitagabend die Nase vorn haben und für wen endet die EM abrupt? Auch in der EXPRESS.de-Redaktion gibt es unterschiedliche Meinungen.

Marcel Schwamborn (51, Leiter Report): 36 Jahre ist eine verdammt lange Zeit. Der erste deutsche Pflichtspiel-Sieg gegen Spanien seit 1988 muss dringend her. Die Voraussetzungen dazu sind bei dieser EM hervorragend. In Stuttgart wird die weiße Wand ihr Team bedingungslos zum Erfolg peitschen. Bereits gegen Georgien verlor der überschaubare spanische Anhang im Kölner Stadion das Duell in Sachen Fan-Unterstützung mehr als deutlich.

Das Achtelfinale gegen den krassen Außenseiter dient der deutschen Mannschaft zudem für die taktische Marschroute als perfektes Anschauungsmaterial. Denn da offenbarte das Star-Ensemble überraschende Schwierigkeiten bei schnellen Umschaltmomenten. Nach der Führung für Georgien verlor Spanien sogar kurzzeitig komplett den Faden und war von der Rolle.

Selfie Marcel Schwamborn im Stadion.

Redakteur Marcel Schwamborn begleitet die deutsche Nationalmannschaft bereits seit 20 Jahren als Reporter.

Wenn Deutschland also mit Tempo hinter die – wirklich nicht sattelfeste – spanische Viererkette kommt, dann ergeben sich Räume. Super-Dribbler Jamal Musiala ist voll im Turnier angekommen, will nach drei Toren weitere folgen lassen. Yamal, Williams, Morata & Co. sind hingegen bisher Europameister im Verballern. Manuel Neuer wird durch seine Präsenz die wendigen, aber ineffektiven spanischen Techniker zur Verzweiflung bringen. Zudem mögen es die Spanier nicht, wenn der Gegner den Ball laufen lässt.

Und dann ist da auch noch Toni Kroos. Der wird angesichts des drohenden Karriereendes mit einer unfassbaren Motivation aufs Feld gehen, um es den Spielern aus seiner Wahl-Heimat zu zeigen. Natürlich steht auf der anderen Seite mit Rodri auch ein Denker und Lenker. Nur ist der nicht Weltmeister und sechsfacher Champions-League-Sieger.

Deutschlands Toni Kroos (l) und Thomas Müller während des Trainings.

Weltmeister Toni Kroos (l.) will es gegen Spanien wissen. Vielleicht kommt auch Routinier Thomas Müller noch einmal in die Partie.

Das DFB-Team hat sich in den vergangenen Wochen zur verschworenen Einheit gebildet. Bis zur letzten Sekunde glaubt die Mannschaft an ihre Chancen. Auf der Ersatzbank lauern exzellente Joker, allen voran Niclas Füllkrug. Mit dieser Geschlossenheit, der Gier und der Lust auf den Erfolg sind die Grundvoraussetzungen für den Sieg gegeben.

Ein weiterer Pluspunkt: Bisher stand die Nagelsmann-Truppe unter Druck. Denn jedes Scheitern von dem Viertelfinale wäre als Enttäuschung gewertet worden. Wenn die Truppe jetzt verliert, wäre es kein Drama mehr. Vielleicht hat Spanien bessere Einzelspieler, aber ohne Druck und mit dem Publikum im Rücken kann Deutschland zehn Jahre nach dem WM-Sieg von Brasilien wieder einen historischen Abend hinlegen.

Béla Csányi (31, Sport-Redakteur): Keine Frage, in Stuttgart treffen am Freitag die beiden besten Mannschaften des Turniers aufeinander. Das Duell hätte eigentlich den Final-Rahmen in Berlin am 14. Juli verdient.

Dort wird es am Ende aber kein Heim-Endspiel geben, wenn Spanien seine Form aus den bisherigen vier EM-Spielen bestätigt. Nicht umsonst trägt Spanien beim Turnier das Abzeichen für den Gewinn der Nations League aus dem vergangenen Jahr auf der Brust.

Foto von EXPRESS.de-Redakteur Béla Csányi

Redakteur Béla Csányi arbeitet seit 2021 in der Sportredaktion von EXPRESS.de

Technisch war die „Selección“ selbst in schwachen Jahren nach dem Titel-Hattrick von 2008 bis 2012 Extraklasse, oft fehlte es den vielen Zauberern aber an der nötigen Durchschlagskraft. Die garantieren die jungen Wilden Nico Williams und Lamine Yamal jetzt aber wieder, ihre Power über die Außenbahnen machte bisher jedem Gegner Probleme und ergänzt sich perfekt mit den Qualitäten des ballsicheren Mittelfelds.

Spaniens Flügelzange wird jetzt auch für Deutschland zur großen Gefahr. Schließlich haben Joshua Kimmich und David Raum ihre Qualitäten klar in der Offensive, besonders der Leipziger dürfte gegen Mega-Talent Yamal vom FC Barcelona am eigenen Strafraum an seine Grenzen stoßen.

Hinzu kommt der Stil der spanischen Auswahl, die zwar liebend gerne den Ball am Fuß hat, sich aber auch bei gegnerischem Ballbesitz nicht versteckt. Im Gegenteil: Hohes Pressing ließ dem gegnerischen Spielaufbau in keinem der bisherigen EM-Spiele die nötige Ruhe, diese Herangehensweise wird auch Deutschland überhaupt nicht schmecken.

„Läuft uns ein Gegner hoch eins gegen eins an, haben wir Probleme. Tun sie das nicht, dann haben wir keine Probleme“, formulierte Weltmeister Christoph Kramer nach der deutschen Gala-Vorstellung im Eröffnungsspiel gegen Schottland kurz und knapp.

Lamine Yamal und Nico Williams freuen sich nach einem EM-Sieg der spanischen Nationalmannschaft

Lamine Yamal und Nico Williams haben der spanischen Nationalmannschaft wieder mehr Power über die Außenbahnen verliehen.

So simpel die Analyse ausfällt, so treffend ist sie auch. Obwohl keiner der bisherigen Gegner vorne auch nur annähernd so unangenehm wie Spanien störte, leistete sich die Defensive ab Spiel zwei immer wieder gefährliche Wackler. Das könnte im Viertelfinale den womöglich entscheidenden Fehler provozieren.

Dank der Heim-Euphorie kann Deutschland am Freitag mit einem gewaltigen Pfund wuchern, hat in Sachen Intensität Vorteile. Behält Spanien aber kühlen Kopf und spielt seine Qualitäten am Ball routiniert aus, könnte selbst der 12. Mann zu wenig sein, um die feinen Füße von der Iberischen Halbinsel zu stoppen.