Die Pleite in Villarreal verunsichert die Bayern. Julian Nagelsmann sah Harakiri-Fußball: „Es war wild.“ Jetzt ist Ursachenforschung angesagt, ein Viertelfinal-Aus in der CL wäre enttäuschend. Eine kommentierende Analyse.
„Keine Toleranz mehr für Ausrutscher“Bayern-Coach Nagelsmann mit Klartext vor Augsburg
In der Bundesliga ist der FC Bayern München souveräner Spitzenreiter, doch das ist beim Abonnement-Meister schon Routine. Die Champions League entscheidet über den Erfolg einer Saison. Und da droht das frühe Viertelfinal-Aus. Das weiß auch Julian Nagelsmann. „Wenn wir Dienstag weiterkommen, sind wir immer noch in einer sehr, sehr guten Saison. Wenn wir nicht weiterkommen, dann muss man es ein bisschen anders bewerten...“
Als der Schiedsrichter das Viertelfinal-Hinspiel in der Champions League beim FC Villarreal abpfiff, da dürften die meisten beim FC Bayern froh gewesen sein, dass man beim 0:1 in Spanien noch mit einem blauen Auge davongekommen war. „Wir haben das Glück, dass sie uns am Leben gelassen haben. Das müssen wir ausnutzen“, sagte der Bayern-Coach.
Denn das Aus in der Königsklasse wäre der Beginn einer Diskussion mit ungewissem Ausgang, die schon nach dem schmeichelhaften 1:1 in Salzburg im Achtelfinale gedroht hatte.
Unay Emery ärgert den FC Bayern erneut
Villarreal-Coach Unai Emery (50), der den Bayern als Trainer von Paris Saint-Germain 2017 (!) die letzte Champions-League-Auswärtspleite beigebracht hatte, stach seinen Gegenüber Julian Nagelsmann (34) aus, seine Mannschaft war dem Titelträger von 2020 in nahezu allen Belangen überlegen und hätte deutlich höher gewinnen müssen.
Nagelsmann fand, es war „verdient, dass wir verloren haben. Wir hatten in der ersten Halbzeit wenig Power, in der zweiten war es wild. Das war kein gutes Spiel von uns“, erklärte der Trainer bei DAZN. Weiter monierte er: „Irgendwann wurde es Harakiri. Wir hatten leichte Ballverluste. (...) Da waren zwei, drei Dinger noch dabei. Dadurch, dass es nur 0:1 ausgegangen ist, lebt die Zuversicht fürs Rückspiel. Wir werden ein anderes Gesicht zeigen.“
Was läuft nicht mehr rund beim FC Bayern?
Die Folge der Pleite: Die Nervosität steigt. Am Donnerstag traf Nagelsmann mit Sportboss Hasan Salihamidžić (45) und Kaderplaner Marco Neppe (37) zusammen, es ging laut „Bild“ um die Leistung der Mannschaft und auch einzelner Spieler.
So hatte die italienische „Gazzetta dello Sport“ einen harten Vorwurf geäßuert: „Zu viele Spieler verraten Trainer Julian Nagelsmann.“ Vor dem Spiel gegen den FC Augsburg am Samstag fordert der Coach deshalb Charakter. „Wir haben keine Toleranz mehr für Ausrutscher.“
Erste Bayern-Halbzeit ein spielerischer Offenbarungseid
In Spanien präsentierte sich der FC Bayern München in der Defensive anfällig, im Mittelfeld fehlte der Zugriff und selbst im Angriff lief es auch nicht mehr rund.
Zeigen sich hier erste Risse in dem womöglich vor einem Umbruch stehenden Kader an? Robert Lewandowski soll mit einem Wechsel zum FC Barcelona liebäugeln, Serge Gnabry (26) von Real Madrid umworben sein – und sie spielten am Mittwoch auch, als seien sie mit den Gedanken nur noch halb bei den Bayern.
Auch die Hinhalte-Taktik bei den Vertragsverlängerungen von Manuel Neuer (36) und Thomas Müller (32) könnte sich rächen, Niklas Süle (26) wechselt ohnehin ablösefrei zu Borussia Dortmund.
Unruhe im Kader, schwächelnde Neu-Einkäufe
Ihm kann man aber bislang nichts vorwerfen, die Unsicherheiten in der Defensive gehen ohnehin meist von 42,5-Millionen-Euro-Einkauf Dayot Upamecano (23) aus, der noch nicht die Konstanz an den Tag legt, die es für einen Innenverteidiger der Spitzenklasse braucht.
So stellt sich bei den Bayern schon die Frage nach der Qualität des Kaders und dem inneren Zusammenhalt, mit dem Nagelsmann-Vorgänger Hansi Flick (57) so erfolgreich war. Immer wieder schleichen sich Aussetzer, wie zuletzt beim 2:4 gegen Bochum, ein.
Julian Nagelsmann unter Titeldruck
Während seine Vorgänger außer Carlos Ancelotti im ersten Jahr alle mindestens das Double holten (Flick sogar das Triple), könnte Nagelsmann am Ende nur mit dem Meistertitel dastehen.
Doch die Kritik dürfte sich auch auf Sportboss Salihamidžić (45) konzentrieren, der die Unruhe im Kader genauso zu verantworten hat wie seine bislang nicht völlig überzeugenden Neuzugänge. Und Vorstandsboss Oliver Kahn (52) hat seine Führungsrolle auch noch nicht wirklich gefunden.
Ein Aus gegen den vermeintlich leichtesten Viertelfinal-Gegner würde die Saison in Richtung verkorkst kippen lassen. Am Dienstag (12. April) werden die Bayern zeigen müssen, wie es um sie wirklich bestellt ist. Die Generalprobe gegen den FC Augsburg wird Nagelsmann dazu nutzen, Spielern wie Goretzka und Süle Spielpraxis zu geben, Alphonso Davies dürfte eine Pause bekommen.
Alles ist auf die Partie gegen Villarreal ausgerichtet. Scheitern die Bayern, dürften die Diskussionen um die Funktionsfähigkeit in der Ära nach Uli Hoeneß (70) und Karl-Heinz Rummenigge (66) erst richtig beginnen.