Bundesliga-Schiedsrichter Felix Brych spricht im großen EXPRESS.de-Interview über Jugendträume, Fehlentscheidungen und darüber, dass er ohne Videoassistent nicht mehr arbeiten könnte.
Bundesliga-Schiri ganz privatFelix Brych: „Ich wollte werden wie Lothar Matthäus“
Liebesbekundungen sind sehr selten in seinem Beruf, das Gegenteil kommt öfter vor. Davon lässt sich Bundesliga-Schiedsrichter Felix Brych (47) auf dem Platz jedoch (fast) nie beirren. Dass das aber doch Spuren hinterlässt, gesteht der Münchener, der zweimal „Weltschiedsrichter“ wurde, in seinem Bestseller „Aus kurzer Distanz“ (Econ Verlag, 24,99 Euro).
Darin gibt er nicht nur Einblicke in Karriere, Job und seine Prinzipien-Welt, sondern auch Auskunft über sein privates Leben. Grund für ein langes Gespräch mit EXPRESS.de.
Felix Brych: Kreuzbandriss beendete seine Kicker-Karriere
Schiedsrichter ist ein ungewöhnlicher Beruf. Wie sind Sie darauf gekommen?
Felix Brych: Als Jugendlicher träumte ich davon, Karriere im Fußball zu machen. Ich war spielender Libero, wollte so werden wie Lothar Matthäus, Matthias Sammer oder Olaf Thon. Doch irgendwann habe ich gemerkt, dass ich als Spieler nicht so weit kommen werde. Und als dann ein Kreuzbandriss dazukam, habe ich als Schiedsrichter angefangen und relativ schnell den Aufstieg geschafft.
Waren Sie als Spieler der Liebling der Schiedsrichter?
Felix Brych: Ich glaube nicht. Ich war fordernd und forsch, habe viele Entscheidungen hinterfragt und dabei auch viel gelernt. Heute sehe ich das so: Leute, die über mich meckern oder mit mir in Kontakt treten, sind schwieriger zu händeln, aber sie haben Interesse an meiner Aufgabe.
Auf dem Platz wirken Sie nicht, als könnte man von Ihnen ein persönliches Wort erwarten. Jetzt gibt Ihr Buch nicht nur einen Blick ins Schiedsrichterleben frei, sondern auch auf den Menschen Felix Brych. Wie kam's dazu?
Felix Brych: Das war die Idee des Verlages und des Autors Sven Haist. Ich habe mich erst geziert, dann gemerkt, dass ich was zu erzählen habe, was nicht nur Kolleginnen und Kollegen interessieren könnte. Aber es ist mir zuerst schwergefallen, über mein Innerstes, mein Privatleben zu schreiben. Das wollte ich eigentlich nie preisgeben. Leichter war es, das zu schreiben, was ich in meiner Uniform auf dem Platz erlebt habe.
Sie nennen das Uniform, was für andere ein Trikot ist. Warum diese Bezeichnung?
Felix Brych: Weil ich als Schiedsrichter ein offizielles Amt bekleide. Ich habe mich immer als Botschafter des Fußballs und meines Landes gesehen. Ich habe danach gelebt und geguckt, dass ich auch im Privatleben korrekt auftrete.
Felix Brych über Angriffe, die ihn persönlich schmerzen
Hört sich an, als seien Sex, Drugs & Rock'n'Roll in Ihren jungen Jahren nicht Thema Nr. 1 gewesen?
Felix Brych: Stimmt. Ich konnte nie - wie man salopp sagt - mal die Sau rauslassen. Ich habe auf vieles verzichtet, und das war nicht immer einfach. Dafür habe ich aber wahnsinnig viel Schönes erlebt, wofür ich dann diesen Preis gern gezahlt habe.
Wenn Sie mal vor die Tür gehen - werden Sie erkannt und beschimpft?
Felix Brych: Das ist eigentlich nie der Fall. Wenn ich erkannt werde, fühle ich mich wertgeschätzt. Auch an den Abenden vor einem Spiel, wenn ich am Spielort im Restaurant essen gehe, werde ich mit Respekt behandelt.
Nach einem Spiel scheint es oft anders zu sein?
Felix Brych: Klar, dann spielen andere Emotionen eine große Rolle. Das erlebe ich aber selten, weil ich meist gleich zum Flughafen gefahren werde, und zu Hause bin ich vom Spiel entwurzelt. Außerdem habe ich es mir abgewöhnt, nach dem Spiel alles zu lesen und an mich heranzulassen. Es gibt Angriffe, die treffen nicht die Uniform, sondern den Menschen darin, also mich persönlich. Und das schmerzt.
Wenn Sie pfeifen, guckt Ihre Frau zu. Hat Sie mal gesagt, dass Sie falsch gepfiffen haben?
Felix Brych: Ja, sie verfolgt meine Spiele zum Großteil, was mich sehr freut. Natürlich ist sie mal anderer Meinung. Aber sie weiß, wie ich ticke: Sie sieht mir schon im Kabinengang an, ob ich fokussiert bin und das Spiel in den Griff bekommen werde.
Sie berichten in „Aus kurzer Distanz“ auch über Ihre Misserfolge. Dazu zählt das „Phantomtor“ der Saison 2013/14, als Sie bei Leverkusen gegen Hoffenheim einen Ball als Tor werteten, der durch ein Loch im Netz von außen im Tor landete. Welche Rolle spielt das in Ihren Erinnerungen?
Felix Brych: Es war und ist mir sehr unangenehm. Aber da mache ich mir heute keinen Vorwurf mehr, das war wirklich ganz schwer zu sehen, mein Verschuldensgrad war deswegen relativ gering. Schlimmer war die WM 2018, die ich in den Sand gesetzt habe. Ich war einer der Top-Favoriten, kam schon nach einem Spiel nach Hause.
Wie kam das eigentlich?
Felix Brych: Ich hatte mich nicht richtig vorbereitet, war geistig nicht voll da. Aber ich habe daraus gelernt, bin bei der Euro '21, als strahlender Gewinner nach Hause gekommen. Das war der krönende Abschluss meiner internationalen Laufbahn und wichtig für meinen Seelenfrieden.
Gibt es Spieler, vor denen Sie Angst haben?
Felix Brych: Um Gottes willen, nein. Angst ist ein falscher Wegbegleiter. Ich habe weder Angst vor Entscheidungen noch vor Menschen. Ich bin mitten in München aufgewachsen, war immer unter Leuten zu Hause. Außerdem kenne ich jetzt meine Pappenheimer - wie ich es ja im Buch beschreibe.
Wie ist es mit Ronaldo - der wirkt, als breche er bei jeder Entscheidung in Tränen aus?
Felix Brych: Ronaldo ist nicht schwer zu pfeifen. Der will Tore schießen und erfolgreich sein. Der fällt nicht durch böse Fouls oder Reklamationen auf. Dennoch habe ich ihn mal vom Platz gestellt - da hätte auch Gelb gereicht.
Felix Brych: Kölner Keller ist ein Schutz
Können Sie sich ein Schiedsrichterleben ohne Kölner Keller vorstellen?
Felix Brych: Ich könnte ohne Videoassistent nicht mehr pfeifen, ohne ihn als Schutz würde ich nicht mehr auf den Platz gehen. Aber ich verstehe gut, dass der VAR manchmal die Fans nervt.
Wir erleben eine spannende Bundesliga-Saison, es könnte sein, dass der FC Köln im letzten Spiel zum Meistermacher wird - er trifft auf Bayern München. Würden Sie das gern pfeifen?
Felix Brych: Ja, unbedingt. Spiele im April und Mai sind immer große Spiele. Sie sind schwieriger zu pfeifen, weil viel mehr Druck auf dem Kessel ist, aber gerade das ist das Salz in der Suppe. Doch FC gegen die Bayern geht bei mir leider nicht – als Münchner darf ich nie die Bayern pfeifen.
Haben Sie eigentlich Hobbys, bei denen Sie Ihren Job total vergessen?
Felix Brych: Ich spiele gerne Tennis. Ansonsten bleibt nicht viel Zeit für andere Hobbys. Eine Modelleisenbahn werden Sie bei mir im Keller nicht finden (lacht). Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht.
Felix Brych: Bundesliga-Schiri promovierte in Rechtswissenschaften
Felix Brych (geboren am 3. August 1975 in München) studierte Rechtswissenschaften, promovierte 2004 – Thema seiner Dissertation: „Möglichkeiten und Grenzen der gemeindlichen Förderung des Berufssports aus rechtlicher Sicht“. Seit 1999 ist er DFB-Schiedsrichter. Ab 2001 pfiff er Spiele in der 2. Liga, seit 2004 ist er auch in der Bundesliga am Ball.
2007 wurde er FIFA-Schiedsrichter. Sein erstes Länderspiel war Luxemburg gegen Rumänien in der EM-Quali. 2008 feierte er sein Debüt in der UEFA-Champions League beim Spiel FC Liverpool gegen PSV Eindhoven) 2017 und 2021 wurde er zum „Weltschiedsrichter des Jahres“ gekürt. 2021 ernannte ihn der DFB zum fünften Mal zum „Schiedsrichter des Jahres“. Er hat seine internationale Karriere beendet. Mit Ehefrau Andrea (Abteilungsleiterin bei einem Haushaltswarenhersteller) lebt er in München.