Fragwürdig waren die Olympischen Spiele in Peking ohnehin. Doch der Skandal um Kamila Walijewa wirft noch einen dunklen Schatten über diese Winterspiele. IOC-Chef Thomas Bach kritisierte zwei Tage vor Ende der Spiele das Umfeld der russischen Eiskunstläuferin hart.
„Enttäuscht und verstört“Fall Walijewa: Olympia-Chef Bach klagt russisches Trainerteam an
Eine 15-jährige Athletin, die unter dem Druck zusammenbricht. Eine eisenharte Trainerin, die sinnbildlich für das verkommene System des russischen Sport mit einer Mischung aus menschenverachtendem Druck und Staatsdoping steht. Selbst IOC-Chef Thomas Bach (68) konnte da nicht mehr wegschauen.
Im Gegenteil: Die verstörenden Bilder ließen Thomas Bach auch am Morgen danach nicht los. Mit „Erschrecken“ habe er verfolgt, wie das russische Wunderkind Kamila Walijewa (15) unter der Last der Dopingaffäre auf dem Eis zusammengebrochen war und wie „kalt“ sie danach von ihrem Team empfangen wurde. Bach zeigte bei seinem Auftritt zwei Tage vor dem Ende der Winterspiele Mitgefühl und griff Walijewas Umfeld an – eigene Verantwortung für den größten Skandal in Peking stritt der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees ab.
IOC-Chef Thomas Bach: Wegen Walijewa in einem Dilemma
„Diejenigen, die ihr diese Droge verabreicht haben, sind die Schuldigen“, sagte Olympia-Boss Bach über den aufsehenerregenden Fall der 15-Jährigen, die trotz einer positiven Dopingprobe am olympischen Einzelwettbewerb teilnehmen durfte. Oder musste. Denn es war unverantwortlich, ein Kind in einer solchen Situation einem solchen Druck auszusetzen. Das IOC habe sich an den Rechtsweg gehalten und Einspruch beim CAS gegen die Aufhebung der Suspendierung eingelegt, sagte Bach und sprach von einem „Dilemma“. Das überschattete die ohnehin fragwürdigen Spiele in China.
Für die deutschen Athletenvertreter macht es sich Bach zu einfach. „Es hätte zumindest geprüft werden müssen“, ob Walijewa „überhaupt in der Verfassung für eine Teilnahme am Wettbewerb war“, sagte Maximilian Klein vom Verein Athleten Deutschland. Es sei „entlarvend, dass dem IOC-Präsidenten die immense Belastung der Athletin wohl erst beim Zuschauen aufgefallen ist, gerade weil ihr Umfeld für seinen verstörenden Umgang mit Athletinnen bekannt ist“.
Trainer Eteri Tutberidse: Vorwürfe statt Trost für Walijewa
Am TV hatte Bach Waljiewas Kür verfolgt – wie Millionen andere auf der Welt, der Eiskunstlauf der Frauen ist stets ein Publikumsrenner bei Winterspielen, diesmal aufgeführt mit einem Drama um ein Jahrhunderttalent und Bösewichten an der Bande. Trainerin Eteri Tutberidse hatte Walijewa nach den Stürzen auf dem Eis nicht in den Arm genommen, sie hatte ihr Vorwürfe gemacht. „Warum hast Du alles aus den Händen gegeben?“, fragte Tutberidse. „Warum hast du aufgehört zu kämpfen? Sag es mir!“
Walijewa ist kein Einzelfall, auch ihre Teamkollegin Alexandra Trussowa (17) war trotz Silber dem Nervenzusammenbruch nahe. „Ich hasse diesen Sport. Ich hasse diesen Sport. Ich hasse alles daran“, hatte sie gesagt. „All das“, sagte Bach, gebe ihm „nicht viel Zuversicht in Kamilas engstes Umfeld“, gegen das eine Untersuchung der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA läuft.
Russische Athleten trotz Sotschi-Betrug weiter bei Olympia
Die hatte Russland für den massiven Betrug bei und nach den Winterspielen 2014 in Sotschi aus dem Weltsport ausgeschlossen, allerdings sind die Sanktionen bis zur Unkenntlichkeit aufgeweicht worden. In Peking starten Hunderte Russen ohne Fahne und Hymne unter dem Namen des Nationalen Olympischen Komitees. Sie hatten bis Freitag 26 Medaillen gewonnen – eine mehr als das deutsche Team.
Die Diskussionen über Walijewa, ein Mindestalter für Athletinnen und Athleten oder den russischen Kulturwandel, den es nie gegeben hat, überlagerten auch die Fragen nach der Politisierung der Spiele. Mit der olympischen Scheinwelt der politischen Neutralität ist es seit Donnerstag endgültig vorbei, als Yan Jiarong vom Organisationskomitee BOCOG die Bühne für zwei Partei-Statements nutzte. Das demokratische Taiwan, behauptete sie, sei ein weltweit anerkannter Teil von China, und die Berichte über Zwangsarbeit und Inhaftierungslager in Xinjiang seien „Lügen“.
Es ist ein Verstoß gegen die IOC-Regel 50.2, die jegliche „politische Propaganda“ verbietet, doch Bach blieb bei seiner Linie: kein kritisches Wort gegen die Gastgeber. Am Freitag sagte er nur: IOC und BOCOG „hatten nach der Pressekonferenz sofort Kontakt“, beide hätten die Zusage bestätigt, „im Rahmen der olympischen Charta politisch neutral zu bleiben“. (ach/sid)