Tony Martin verlässt das Peloton. Der deutsche Radprofi hat sich für das vorzeitige Karriereende entschieden. Die WM in Belgien ist sein letzter Wettkampf.
„Fällt mir natürlich nicht leicht“Radsport-Star Martin kündigt Karriereende an
Brügge/Berlin. Tony Martin spulte auf der Rolle sein gewohntes Aufwärmprogramm ab – und doch war vor dem Finale einer große Karriere vieles anders. Zum letzten Mal startet der deutsche Radprofi am Sonntag (19. September) in ein Einzelzeitfahren. Der viermalige Weltmeister im Kampf gegen die Uhr hat das Ende seiner Laufbahn angekündigt. Nach der WM in Belgien ist Schluss.
Der deutsche Radsport verliert eine seiner wichtigsten Persönlichkeiten. „Eine solch weitreichende Entscheidung fällt mir natürlich nicht leicht. Der Radsport hat den Großteil meines bisherigen Lebens geprägt. Mit Höhen und Tiefen, großen Erfolgen und Niederlagen, Stürzen und Comebacks“, sagt Martin.
Letzter WM-Auftritt von Tony Martin
Um 15.50 Uhr nimmt der 36-Jährige das 43,3 km lange Zeitfahren von Knokke-Heist nach Brügge in Angriff. Die perfekte Bühne für den Abschied. „Auf dem Papier sollte es eine Tony-Martin-Strecke sein“, hatte er dem SID im Vorfeld gesagt. Am Mittwoch startet Martin zwar noch mit der Mixed-Staffel. Als Einzelkämpfer steht er am Sonntag aber letztmals im Fokus.
Flache und lange Rennen gegen die Uhr waren seit jeher seine Spezialität. Über Jahre war Martin – Spitzname „Panzerwagen“ – der weltweit dominante Fahrer auf diesem Terrain, wurde vier Mal Weltmeister (2011 bis 2013, 2016). 2012 wurde er in London Olympiazweiter. Bei den deutschen Meisterschaften triumphierte er zehnmal.
Doch die Jahre haben Spuren hinterlassen. In den letzten Monaten habe er vermehrt an die Zeit nach dem Radsport gedacht: „Dazu haben auch die schweren Stürze in dieser Saison beigetragen, nach denen ich mir die Frage gestellt habe, ob ich das Risiko, welches unser Sport mit sich bringt, weiterhin bereit bin einzugehen.“
Martin war bei der Frankreich-Rundfahrt im Juli nicht zum ersten Mal schwer zu Fall gekommen und hatte die Tour vorzeitig beenden müssen. Sein Comeback gab er zuletzt bei der Tour of Britain, die er mit Blick auf das WM-Zeitfahren vorzeitig verließ.
Tony Martin will nicht mehr
Das Risiko erachtete er nun als zu groß. Er habe für sich entschieden, „dass ich dies nicht mehr will, zumal sich, trotz vieler Diskussionen um Streckenführungen und Absperrungen, die Sicherheit in Radrennen nicht verbessert hat“, sagt Martin.
Seinen Vertrag für 2022 bei Jumbo-Visma wird er in Absprache mit der Teamleitung nicht erfüllen. Die Gespräche über das Karriereende fanden bereits nach der Großen Schleife statt.
In seinen sportlich besten Phase war Martin stets ein Siegfahrer, der nicht nur auf dem Zeitfahrrad Erfolge feierte. Bei der Tour gelangen ihm insgesamt fünf Etappensiege, 2015 trug er vorübergehend das Gelbe Trikot. Seine Vita schmücken zudem Gesamtsiege bei Paris-Nizza und der Algarve-Rundfahrt.
In den letzten Jahren änderte sich Martins Rolle. Seine Leidensfähigkeit, sein Wille und seine Erfahrung machten ihn als Helfer für Klassementfahrer wie Primoz Roglic unerlässlich.
Martins Einfluss im gesamten Peloton war unbestritten. Das Wort des Wahl-Schweizers hatte Gewicht. Als er bei der Tour 2020 das Feld auf den spiegelglatten Straßen um Nizza zur Vorsicht mahnte, reduzierten fast alle Kollegen das Tempo. Als Kritiker und Mahner für bessere Sicherheitsvorkehrungen hatte sich Martin einen Ruf erarbeitet.
In Zukunft dürfte Martin die Erfahrung an die Jugend weitergeben. Gespräche über eine Kooperation mit einer Sportschule in seiner Heimat Kreuzlingen hat Martin bereits vor längerer Zeit geführt. (sid)