Die Karnevalsbands leisten in dieser knappen Session Schwerstarbeit. EXPRESS.de begleitete Cat Ballou an einem Tag, an dem neun Auftritte in Serie anstanden. Gute Laune im Minutentakt.
Unterwegs mit Cat BallouSprinten, spielen, sprinten: Der irre Band-Alltag im Kölner Karneval
Die ultraknappe Karnevalssession – sie fordert von allen Beteiligten Höchstleistungen. Da die Gesellschaften ihre Veranstaltungen in nur fünf Wochen unterbekommen müssen, jagt ein Termin den nächsten. Rednerinnen und Redner, Bands sowie Tanzgruppen jagen im Akkord von einem Auftritt zum nächsten.
EXPRESS.de erlebte den jecken Termin-Marathon hautnah und begleitete Cat Ballou am Freitag (19. Januar 2024) beim wilden „Neuner“ im Band-Bus. Neun Auftritte in gut acht Stunden standen auf dem Plan. Neun 30-Minuten-Konzerte, dazu Auf- und Abbau sowie Fahrerei zwischen den Sälen. Ein echter Stresstest, bei dem die Musiker und ihre Crew trotzdem nie die gute Laune verließ.
Cat Ballou: 215 Auftritte in dieser Session – jeder dauert 30 Minuten
16.35 Uhr: Auftakt in den wilden Freitag bei der KG Rut-Wieß Rommerskirchen mit einer Mädchensitzung. „Ich war heute Nacht erst um 1.45 Uhr im Bett und musste um 6.30 Uhr wieder raus, um die Kinder fertig zu machen“, sagt Keyboarder Dominik Schönenborn. „Schlaf kommt in der Session echt zu kurz.“
Aber er hat mit Sänger Oliver Niesen ein Geheimrezept. „Wir besitzen beide eine Shakti-Akupressurmatte. Da lege ich mich mittags noch mal ein paar Stunden drauf, um den Kopf freizubekommen. Der Schmerz lässt auch schnell nach“, lacht er. Beim ersten der neun Auftritte herrscht direkt eine ausgelassene Stimmung in der Mehrzweckhalle. Doch Zeit für ausgiebige Zugaben bleibt nicht. Über teils vereiste Straßen geht es weiter.
18.00 Uhr: Vor dem Stadtsaal in Frechen ist der Band-Parkplatz belegt. Die sechsköpfige Crew muss die schweren Kisten, die bis zu 110 Kilogramm wiegen, sowie die Instrumente durch den Schnee und über eine rutschige Stahltreppe wuchten. Auch Johannes, der den Van mit den fünf Musikern fährt, packt mit an. Manager Stefan Wolter sowieso.
Als Oli das Publikum der Prinzengarde begrüßt und den ersten Song startet, schließt Stefan die Bühnentür und atmet kurz durch. „In dieser Session stehen 215 Auftritte an. Bis Karnevalssonntag geht es auf die Bühne, nur montags ist immer frei, der Tag ist uns heilig“, sagt der „Mann für alles“ bei Cat Ballou. Er hält Kontakt zu den Literaten, bucht die Termine, hilft beim Auf- und Abbau und leitet das Band-Büro. „Wir sind quasi ein Familienbetrieb“, sagt er.
„Heute ist einer der heftigsten Tage. Zwischen den Auftritten im Gürzenich und Pullman bleiben nur zehn Minuten.“ Aber das Team ist eingespielt, die Musiker halten sich diszipliniert an den engen Zeitplan, posieren nur kurz für Fan-Selfies und sprinten zum Bus. Beim Blick aufs Handy strahlt Stefan kurz: „Gleich in der Stadthalle Mülheim gibt es Wildragout, mit Spätzle und Rotkohl.“
19.10 Uhr: Die Fahrt zur Großen Mülheimer KG dauert etwas. Zeit für die fünf Musiker, im Bus kurz durchzuschnaufen. Im engen VW ist jeder Zentimeter ausgenutzt. Eine Wasserkiste steht im Fußraum, Anti-Feuchtigkeits-Säckchen versuchen die steigende Luftfeuchtigkeit zu reduzieren. Desinfektionsmittel wird gereicht. Frontmann Oli gurgelt mit einer Blubber-Flasche. „Das hält die Stimmbänder warm und geschmeidig.“
Auf der hinteren Reihe knubbeln sich Sänger Oli, Gitarrist Yannick Richter und Bassist Kevin Wittwer. In der Mitte sitzt Schlagzeuger Hannes Feder, vorne neben Fahrer Johannes hat Dominik seinen Platz. „In allen Sälen liegt ein sehr guter Vibe in der Luft“, sagt Oli. „Das hilft uns, nicht zur Ruhe zu kommen. Man muss den Fastelovend leben, die Energie mitnehmen.“
Yannick nickt zustimmend. „Die Stimmung bei den Auftritten pusht unheimlich, man atmet das einfach ein. Neun Auftritte am Stück sind zwar ein Brett. Aber die Menschen tragen einen regelrecht. An den ersten Tagen der Session konnte ich nachts nicht einschlafen, weil ich so aufgekratzt war. Inzwischen bin ich jeden Abend total kaputt. Außerdem lassen uns unsere Kinder auch nicht in ein Loch fallen. In den Stunden zwischen den Auftritten freuen sich auch die Familien auf uns.“
Von einem wilden Rockstar-Leben ist der Cat-Ballou-Alltag weit entfernt. Statt Kölsch gibt es im Bus stilles Wasser. „Alkohol wäre Gift. Direkt nach den Auftritten ins Bett ist wichtiger“, sagt Dominik. Oli ergänzt: „Früher habe ich mir im Laufe des Abends ein paar Snacks gegönnt. Inzwischen achte ich darauf, dass ich vor dem Start in die Tour gut esse. Das Verdauen kostet auch Energie. Die brauchen wir bei den Auftritten.“
Denn Zeit bleibt unterwegs sowieso nicht. In der Stadthalle lacht die fünf ein ansprechendes Buffet an. Doch zwischen Ankunft und Auftritt bleibt nur eine Minute. Neun Lieder gibt es jedes Mal zu hören. Von „Oh wie schön“, „Et jitt kei Wood“ über den neuen Hit „Gute Zeit“ bis „Lass uns nicht geh’n“ reicht das Set. Wenn „Hück steiht de Welt still“ erklingt, macht sich die Crew langsam wieder zum Abbau bereit.
Zum Dank für die Unterstützung in den vergangenen 25 Jahren überreicht Oli dem Sitzungsleiter einen gerahmten Orden mit persönlichen Worten. „Wir haben den Gesellschaften so viel zu verdanken. Deshalb wollen wir uns auf diese Art etwas zurückgeben“, sagt Kevin.
Im Gegenzug gibt es zwei Fünf-Liter-Fässchen Kölsch. Im Laufschritt geht es zurück zum Bus. „Ich habe mir beim Anziehen der Jacke noch schnell den Kartoffelsalat reingehauen“, sagt Kevin, ehe es weitergeht.
20.00 Uhr: Madämcherschoppen. Oli flitzt aus dem Bus direkt zur Toilette des Tanzbrunnens. „Der rechtzeitige Toilettengang ist bei uns ein großes Thema“, sagt er. „Wir kennen die Wege und wissen genau, wo es schnell geht. Es gibt nichts Schlimmeres, als mit Druck auf der Bühne zu stehen.“
Von den Kölschen Madämcher gibt es eine tolle Torte zum Jubiläum. Nach dem Auftritt herrscht kurz Hektik. Oli findet den Bus-Schlüssel nicht mehr. „Der wird mir doch wohl beim Einzug nicht aus der Tasche gefallen sein?“ Plötzlich gibt Dominik Entwarnung. Er hat ihn gefunden. Jetzt noch einen Platz im randvollen Bulli für die Torte finden, dann startet der Motor.
21.00 Uhr: Kostümsitzung der Blauen Funken im Kristallsaal. Schon beim Vorfahren jubelt Oli: „Hier gibt es leckeren Kaffee.“ In der Tat steht in der Künstlergarderobe ein Vollautomat. Zudem erhält Dominik noch ein besonderes Geschenk: Von seiner Lieblingsbäckerei aus Bergisch Gladbach bekommt er frischen Streuselkuchen. „Ich habe mal in einer Session sieben Kilogramm verloren. Bei den Auftritten fällt einiges ab. Trotzdem darf man nicht alle Leckereien sofort essen“, sagt er.
Kevin macht mit seinen Armen Dehnübungen an einer Wand. „Das hat mir meine Physiotherapeutin empfohlen“, sagt er. Oli schaut kopfschüttelnd zu. „Ich bin Physiotherapeut und sage, dass das Quatsch ist.“ Er legt sich auf den Teppichboden und streckt sich. „Ich sollte nicht so wild mit dem Kopf schleudern“, sagt er zu sich selbst.
Martin Schopps kommt in die Garderobe. Er hat an diesem Freitag zehn Auftritte und ist anschließend im Pullman. „Oh, sehr gut“, sagt Manager Stefan. „Kannst du ein bisschen überziehen? Dann gewinnen wir etwas Luft“. Schnell wird mit den Sälen telefoniert. Karneval 2024 ist Arbeit im Minutentakt.
21.50 Uhr: Prunksitzung der Ehrengarde. Bei der Fahrt über die Severinsbrücke singen alle im Bus „Draumnaach em Jözenich“ von den Bläck Fööss. „Das ist nicht gespielt“, sagt Hannes. „Wir verstehen uns wirklich so gut. Das ist eine tolle Atmosphäre in der Band.“ Manchmal läuft auch Britney Spears im Bus, um die Stimmung anzuheizen. Die zahlreichen Treppen im Gürzenich werden hochgejoggt. „Das hat Tradition, das hält fit“, sagt Yannik. Dafür wartet oben eine große Schale mit Weingummi.
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22.30 Uhr: Prunksitzung der Großen Braunsfelder. Statt Wasser wird nun im Bus ein Energy-Drink gereicht. Als Dominik im Pullman ankommt, hat er den Überblick verloren. „Der wievielte Auftritt ist es jetzt?“, fragt er in die Runde. „Nicht zählen, einfach genießen“, sagt Oli.
„Bei unseren Konzerten können wir zwar viel mehr Repertoire bieten. Aber bei den Karnevalsauftritten fängt man immer direkt mit 100 Prozent an. Diese Energie nehmen wir nach der Session mit in den Proberaum.“ Im April startet schon die Jubiläumstour, die mit zwei Abenden im Oktober in der Lanxess-Arena ihren Höhepunkt haben wird.
23.20 Uhr: Wolkenburg. Mit dem Prinzenschwoof steht noch eine Party auf dem Plan. „Wir spielen auch gerne noch bei Pfarrsitzungen“, sagt Oli. „Aber natürlich auch auf Partys. Die Lachende Kölnarena ist dann jedes Mal noch ein besonderer Kick.“
00.10 Uhr: Finale bei der Kostümsitzung der Roten Funken. Für die Crew ist der Sartory-Saal aufgrund der zahlreichen Treppen ein Horror, die Band liebt ihn. „Wenn der Saal voll ist, hat er eine urige Karnevalsatmosphäre, richtig Glamour“, sagt Oli.
Gegen 1 Uhr ist dann Feierabend. Nach und nach werden alle Musiker zu Hause abgesetzt. „Ich gönne mir dann immer noch eine schöne Dusche“, sagt Oli. Am Samstag geht es um 15.30 Uhr weiter. Wieder stehen neun Termine an, am Sonntag acht weitere. „Trotzdem haben wir Rosenmontag Tränen in den Augen, wenn es vorbei ist“, gesteht der Cat-Ballou-Frontmann.