Moderatorin Lisa Ortgies hat über ihre Wut, ihr neues Buch, Schönheitsideale und doofe Sprüche, die sie sich einst als Flugbegleiterin anhören musste, gesprochen.
„Sehen Sie ohne Uniform auch so sexy aus?“Sexismus, Care-Arbeit: Lisa Ortgies ermuntert Frauen, wütend zu werden
Seit 1997 ist sie unüberhör- und unübersehbar im WDR-Fernsehen. Seit dieser Zeit ist Lisa Ortgies (58) streitbare Moderatorin der Sendung „frauTV“, widmet sie sich Themen, die die Frauen (und damit auch die Männer) aktuell bewegen (donnerstags, 22 Uhr).
Doch nicht nur im TV ist sie mit diesen Themen unterwegs. Sie betreibt den Podcast „Lisas Paarschitt“ und ist als Autorin tätig. Gerade ist ihr neues Buch „Heißer Scheiß“ (Knaur Verlag, 22 Euro) in den Bestseller-Listen gelandet.
Lisa Ortgies: „Ich möchte, dass Frauen sehen, wo sie verarscht werden“
Sie haben das Buch Ihrer Mama gewidmet. Warum?
Lisa Ortgies: Weil ich mit ihr über alle aktuellen Entwicklungen und Absurditäten quatschen kann, sie ist immer auf dem Laufenden – finde ich übrigens fantastisch bei einer 91-Jährigen. Wir stellen dann fest, dass sich viele Themen über die Jahrzehnte wiederholen – wie der Rückfall in überholte Traditionen oder die Rückkehr gefährlicher Kriegstreiber. Sie schaut fast auf ein ganzes Jahrhundert und diese Perspektive finde ich hilfreich. Außerdem war sie ein gutes Wut-Vorbild für mich.
Von welcher Wut sprechen Sie?
Lisa Ortgies: Von der Wut darüber, dass es bei Themen wie Sexismus, ungleicher Verteilung von Care-Arbeit oder finanzieller Unabhängigkeit von Frauen eher rückwärts geht als vorwärts. Dass die Schönheitsindustrie es schafft, Millionen Frauen irgendwelche Mängel einzureden, sodass viele von uns unfassbar viel Energie, Zeit und Geld an ihr Aussehen verschwenden, und dass das jetzt schon bei Zwanzigjährigen losgeht. In meinem Buch ist die Liste noch sehr viel länger …
Wie wollen Sie das mit Ihrem Buch ändern?
Lisa Ortgies: Ich möchte, dass die Frauen zu ihrer Wut finden und zu der Kraft, die darin steckt. Dass sie den Ärger nutzen, um sich abzugrenzen, um für sich mehr Entlastung, mehr Zeit und mehr Geld zu fordern. Und dass sie auch sehen, wo sie verarscht werden. Ich verliere die Geduld und möchte Frauen dazu ermuntern, auch die Geduld zu verlieren.
Klingt so, als hätten Frauen ab 40 da viel nachzuholen. Können Sie das bitte genauer erläutern?
Lisa Ortgies: Klar. In diesem Alter haben Frauen oft Jahrzehnte hinter sich, in denen es immer nur um andere ging – Kinder, Partner, alternde Eltern. Sie haben sich oft einer Lebenssituation angepasst, für die sie sich nie wirklich entschieden haben, in die sie einfach reingerutscht sind. Jetzt ist die beste Zeit, um im eigenen Leben auszusortieren, sich zu fragen: Will ich das wirklich noch – diesen Job, diesen Alltag, jeden Sonntag Tatort und manchmal auch „Wer ist eigentlich dieser Mann, mit dem ich seit 20 Jahren zusammenwohne?“
Klingt sehr hart …
Lisa Ortgies: Viele Frauen werden in dieser Zeit, während sie eigentlich den Höhepunkt ihrer Kraft und Kreativität erleben könnten, klein gemacht und aus dem Job gedrängt, weil ihnen weis gemacht wird, sie seien für alles Mögliche zu alt. Dabei können ältere Frauen gerade jetzt durchstarten, weil sie endlich aus der ständigen Verantwortung für andere rauswachsen, wenn die Kinder langsam groß sind. Wir können an Wünsche und Sehnsüchte anknüpfen, die jahrzehntelang warten mussten. Wir sind viel klüger und klarer als vor 20 oder 30 Jahren.
Lisa Ortgies: Schönheitsindustrie beschämt Frauen immer wieder
Man hat den Eindruck, dass nicht alle Frauen auf Ihre Tipps warten. Warum ist das so?
Lisa Ortgies: Da möchte ich Ihnen widersprechen. Ich bekomme bis jetzt ausschließlich begeistertes Feedback von Frauen, die sich verstanden fühlen, weil das Buch Ihnen hilft, eine gesunde Wut zu aktivieren. So schafft es die Schönheitsindustrie immer wieder, Frauen irgendwie zu beschämen – da geht's um Falten, Dellen, schwimmende Konturen.
Da spielen auch die sozialen Kanäle eine große Rolle …
Lisa Ortgies: Ja, die Konzentration auf Äußeres ist durch sie explodiert – man muss jetzt nicht mehr nur schlank sein, wie ich es aus den 90ern kenne, sondern muss jetzt auch noch ein Sixpack haben. Frauen sollen heute mit 25 anfangen, Botox zu spritzen, damit erst gar keine Falten entstehen.
Wie war es bei Ihnen?
Lisa Ortgies: Ich habe nicht mit 25 mit Hyaluron & Co. angefangen. Nach der Logik der Schönheitsindustrie wäre bei mir deswegen nichts mehr zu retten. Frauen wie ich, die natürlich gealtert sind, wären in Zukunft ein abschreckendes Beispiel. Es gibt Influencerinnen, die sich als Feministinnen bezeichnen, erzählen, dass minimalinvasive Eingriffe oder an Schönheit und Alter zu basteln, eine Form der Selbstverwirklichung seien. Die sagen, das sei Freiheit, das sei Feminismus, wenn du selber bestimmst, wie du aussiehst. Das Gegenteil ist der Fall – es ist Unterwerfung unter ein willkürliches Schönheits- und Jugendideal.
Kennen Sie das von sich selbst?
Lisa Ortgies: Ja klar, ich lasse mir auch die ein oder andere teure Creme andrehen und habe Tage, an denen ich am Spiegel vorbeigehe. Aber wenn ich reinschaue, vergleiche ich mich nicht mit meinem früheren Ich. Ich vergleiche mich mit niemandem mehr.
Gibt es noch andere gesellschaftliche, Trends, die Sie kritisch sehen?
Lisa Ortgies: Es gibt derzeit die sogenannte „Trad-Wife“-Bewegung, die ein Hype im Netz ist: Junge Frauen, die den Tag mit Kochen und Putzen bestreiten und ihren Lebenssinn darin sehen, ihrem Mann den Rücken freizuhalten. Die Bewegung ist aus den USA zu uns rübergeschwappt und ist ein Teil des politischen Rechtsrucks, den auch die AfD propagiert: Frauen zurück an den Herd – als gehorsame Gefährtinnen ihres Mannes. Also mit Anlauf zurück in die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts.
Lisa Ortgies über ihren früheren Job als Flugbegleiterin
Es gibt heute aber auch leider die passenden Männer dazu …
Lisa Ortgies: Genau – das sind die sogenannten Maskulinisten, also Männer, die sich auf eine naturbedingte männliche Überlegenheit berufen und behaupten, sie werden von Müttern und Frauen unterdrückt. Dazu gehören zum Beispiel Gestalten wie der Pick-Up-Artist Andrew Tate, der wegen Menschenhandel und Zwangsprostitution angeklagt ist. Das müsste einen nicht weiter kümmern, wenn der Typ nicht allein bei X neun Millionen Follower hätte. Damit hat er sehr großen Einfluss auf eine heranwachsende Männer-Generation.
Sie beschreiben in ihrem Buch auch Ihr Leben als Flugbegleiterin, die nannte man damals ja noch „Stewardess“. Damals waren Sie noch keine große Kämpferin, oder?
Lisa Ortgies: Ich finde, jede Frau, die in den 80ern und 90ern in diesem Job war, hat den Titel Kämpferin durchaus verdient. Ich hatte damals ein Weckglas voll mit Visitenkarten, die einem männliche Passagiere häufig auch gern direkt in die Rocktasche gesteckt haben – vor allem in der Businessclass. Meistens haben sie was draufgeschrieben, beispielsweise: „Sehen Sie ohne Uniform auch so sexy aus?“ Manchmal habe ich das gleich in der Kabine vorgelesen, um denjenigen zu beschämen. Hat selten geklappt – oft gab's sogar noch Applaus von mitreisenden Kollegen. Aber es gibt noch einige weniger harmlose Geschichten, die ins Buch geflossen sind. Nach der Journalistenschule dachte ich, schlimmer kann es nicht werden. Da habe ich mich aber getäuscht ...
Wie lange waren sie damals als Flugbegleiterin unterwegs?
Lisa Ortgies: Ein paar Jahre – das viele Reisen war ja auch cool. Ich war auf jedem Kontinent. Hundeschlitten fahren in Alaska, Kiten am Ipanema-Strand in Brasilien, Karaoke in Tokio. Was mich irgendwann krank gemacht hat, war dieses Dienstleistungs-Dasein. Dieses „Immer-Nur-Lächeln“, egal wie es einem innerlich auch geht. Außerdem war ich unterfordert, und das nebenbei Studieren wurde zunehmend stressig. Irgendwann hat mir ein Psychiater dann gesagt: „Mit Ihnen stimmt alles, Sie sind nur im falschen Leben im falschen Job unterwegs. Hören Sie auf damit.“
Lisa Ortgies: 2017 erlitt sie einen Herzinfarkt
Lisa Ortgies (geboren am 7. Januar 1966 in Quakenbrück). Nach kurzer Au-pair-Zeit in den USA arbeitete sie als Stewardess. Danach Studium der Psychologie und Soziologie, nebenbei Arbeit für eine Heidelberger Tageszeitung. Ab 1994 machte sie ihre Ausbildung zur Journalistin (an der Henri-Nannen-Schule in Hamburg).
1996 war sie beim Lokalsender Hamburg 1, danach beim NDR (Kultursendung „Arena“). Von 1997 bis 2008 und dann wieder ab 2009 moderiert(e) sie „frauTV“, ab 2015 im Wechsel mit Sabine Heinrich. Dazwischen war sie Chefredakteurin der „Emma“ (für Alice Schwarzer). Seit 2022 moderiert sie den Podcast „Lisas Paarschitt“.
Lisa Ortgies erlitt 2017 einen Herzinfarkt. Sie war 20 Jahre lang (bis zum Jahr 2021) verheiratet. Aus der Ehe gingen eine Tochter und ein Sohn hervor.