Nach dem mühevollen 2:0-Sieg zum Auftakt gegen Liechtenstein weiß Hansi Flick, dass er noch viel Arbeit mit der Nationalmannschaft vor sich hat. Die Mängelliste nach der Ära Löw ist lang.
„Mannschaft hat nicht das Vertrauen“Flick-Spitze gegen Vorgänger Löw – Bangen um Gosens
Stuttgart. Die Szenen, die sich am Donnerstagabend (2. September 2021) nach Abpfiff im Kybunpark in St. Gallen abspielten, waren skurril. Während die deutschen Spieler nach ihrem 2:0-Sieg zunächst direkt in die Kabine huschten, drehten die Hobby-Kicker aus Liechtenstein eine Ehrenrunde im Stadion. Einige Spieler tranken dabei ein Bier oder aßen eine Bratwurst.
„Das Spiel, die Niederlage, ist fast wie ein Sieg für uns. Für uns ist das ein sensationelles Resultat“, sagte Liechtensteins Trainer Martin Stocklasa (42). Neu-Bundestrainer Hansi Flick (56) setzte sich am Freitag hingegen mit einigen Sorgenfalten in den Bus zurück nach Stuttgart. Der erhoffte Neustart ist ausgeblieben, in Sachen Leidenschaft und Spielfreude war kein Unterschied zu den letzten Jahren der Löw-Ära zu erkennen.
„Was man merkt, ist, dass die Mannschaft nicht so das Vertrauen hat, dass sie Tore erzielen kann“, diagnostizierte Flick. Was vom neuen Bundestrainer so kühl bemerkt wurde, war durchaus eine klare Spitze Richtung seines Vorgängers. „Es ist enorme Qualität da, ohne Frage. Und ich verstehe, dass die Fans in Deutschland vielleicht ein bisschen enttäuscht sind vom Ergebnis“, fügte er entschuldigend an.
Die Nationalmannschaft hat den Spaß-Faktor verloren. Das wissen auch die Anhänger. 6,74 Millionen Zuschauer verfolgten die Partie im TV - Tendenz fallend. Zwar winkt nun am Sonntag im Heimspiel gegen Armenien (20.45 Uhr, RTL) die Tabellenführung in der Gruppe J, doch wen reißen solche Pflichtsiege mit? „Ich lasse mich nicht wegen einem Spiel aus dem Takt bringen“, sagte Flick kämpferisch, „es geht weiter, wir gehen den Weg. Wir haben einen langen Weg vor uns und ich denke, wir kommen dahin, wo wir hinwollen.“
Deutschland mit 30 Torschüssen, aber nur Werner und Sané treffen
Aber die Mängelliste, die er nach 15 Jahren Löw-Regie übernommen hat, ist lang. 85 Prozent Ballbesitz, 30 Torschüsse, 15 Ecken – aber nur zwei Treffer. Deutschland hat ein Knipser-Problem. Timo Werner (25) und Leroy Sané (25) bewiesen jeweils einmal ein Näschen, der Rest war ideenloses Anrennen. „Der Strafraum war in einigen Situationen nicht so besetzt, wie er eigentlich besetzt sein sollte – gerade gegen so einen Gegner“, kritisierte Ilkay Gündogan (30) und nahm sich selbst dabei nicht aus. Es seien „relativ viele Flanken“ in den Sechzehner geflogen, „da muss man mit mehr Tempo und Elan reingehen“.
Gegen solch eine Beton-Abwehr, wie sie Liechtenstein aufbot, sind auch Standardsituationen eine Möglichkeit. Aber auch diese verpufften wirkungslos, obwohl in den vergangenen Tagen viel über den neuen Spezialtrainer Mads Buddgereit (36) gesprochen wurde. Die im Training einstudierten Freistoß-Varianten konnten nicht gezeigt werden, die Eckbälle gingen ins Nirwana. „Das Thema wurde größer gemacht, als es ist. Es ist einer von vielen Bausteinen, die noch nicht gestimmt haben. Wir werden weiter daran arbeiten, aber so etwas funktioniert auch nicht von heute auf morgen – das ist ein Prozess“, sagte Gündogan zur Kritik.
Immerhin wehrten sich die Spieler gegen die harsche Kritik am Spiel. „Es ist auch nicht so, dass wir enttäuscht sein müssen“, meinte Marco Reus (32) nach seinem DFB-Comeback nach fast zwei Jahren. „Man wird erst sehen, wenn wir gegen bessere Mannschaften spielen, wo wir stehen.“ Diese sieht der Spielplan für 2021 aber nicht mehr vor. Es warten bis Jahresende noch sechs Partien mit Gegnern aus der B- und C-Kategorie. Da lässt sich keine Begeisterung entfachen. Trotzdem hält man am Ziel fest, in 15 Monaten Weltmeister werden zu wollen.
Auch die Personalprobleme setzen Flick zu. Während Manuel Neuer (35) am Freitag immerhin wieder eine Trainingseinheit absolvieren konnte und Sonntag ins Tor zurückkehren wird, ist Thomas Müller (31) wegen seiner Adduktorenprobleme bereits abgereist.
Robin Gosens nach Kapselverletzung in der Klinik – Ausfall droht
Gleiches droht nun auch bei Robin Gosens (27). Der hat sich eine Kapselverletzung im linken Fuß zugezogen. Ob der Profi von Atalanta Bergamo bei den beiden anstehenden Quali-Spielen noch eingesetzt werden kann, soll noch nach Absprache mit den Medizinern entschieden werden.