Calmund im Weihnachts-InterviewSo denke ich über Corona, Kohle, Bayern und Gladbach
Köln – Über die Feiertage gönnt sich Ex-Liga-Zampano Reiner Calmund (72) eine Auszeit mit der Familie. Doch auch an den Weihnachtstagen macht sich der langjährige Manager Gedanken um den Fußball, wie er im großen EXPRESS-Weihnachts-Interview verdeutlicht.
Sie sind bekannt als großer Fan der Bundesliga. Einmal mehr ist zu Weihnachten der FC Bayern Tabellenführer. Ist das nicht stinklangweilig?
Es wäre natürlich besser und interessanter, wenn der Kampf um die Meisterschale spannender wäre. In den vergangenen zehn Jahren war Bayern München acht Mal und Borussia Dortmund zwei Mal Meister. Spannend ist bei uns aber auch der Wettbewerb um die weiteren fünf Champions- bzw. Europa-League-Plätze. Zusätzlich kämpfen rund acht Teams in der Regel immer um den Klassenerhalt. Die hohen TV-Quoten und der weltweite Stadion-Zuschauerrekord zeigen, dass die Bundesliga spannend ist.
Obwohl es momentan an der Tabellenspitze etwas enger ist, bleibt für mich Bayern München der große Favorit. Die Bayern haben nicht nur viele Meister in kurzen Hosen auf dem Rasen, sie haben auch viele Weltmeister in langen Hosen kontinuierlich in der Vereinsführung sitzen. Hinzu kommt ihre hohe finanzielle Überlegenheit, der mit Abstand finanzstärkste Sponsoren-Pool und das höchste Budget. Aber auch die Transfermarktwerte spiegeln die Tabelle wider.
Werden die TV-Gelder gerecht verteilt? Oder haben die Klubs Recht, die den Geldfluss umleiten wollen?
Normal werden oder sollten die TV-Honorare nach Leistung, nach Tabellenplätzen, nach Einschalt-Quoten und TV-Zeiten und natürlich nach der Anzahl von Stars gezahlt werden. Für mich werden die TV-Gelder von der DFL mehr als solidarisch verteilt. Bayern München kassiert in einem der reichsten TV-Länder Europas 74 Millionen Euro an nationalen TV-Geldern. Die spanischen Topklubs Madrid und Barcelona kassieren in diesem Bereich ungefähr das Doppelte, und in England bekommt selbst der Tabellenletzte mehr als unser Deutscher Meister.
Die Corona-Pandemie überraschte uns alle, auch den Fußball. Jeder Klub erlitt teils drastische Umsatz-Einbußen. Wie könnte man dem entgegenwirken beim nächsten großen und unvorhersehbaren Ereignis?
Die Corona-Pandemie macht uns alle zu schaffen, egal ob in der Wirtschaft, im Fußball und natürlich weitgehend auch im privaten Leben. Durch die TV-Übertragungen wurden die hohen Einnahmen gesichert. Meine einfache konservative Rechnung sieht zunächst einen Verlust von rund 650 Millionen für Tickets plus weitere Positionen, also insgesamt ca. 20 Prozent vor. Solche Beträge kann und muss man in erster Linie durch Kürzungen der hohen Profigehälter einsparen. Nach Aussagen von renommierten Anwälten, kann ein Unternehmen bei einer Pandemie auch rechtlich Gehaltskürzungen vornehmen.
Reiner Calmund: Spieler müssen sich bei ihren Vereinen für Gehälter bedanken
Warum lassen sich Profis mit Millionengehältern feiern für einen Gehaltsverzicht von 20 Prozent. Würden sie temporär auf 70 Prozent verzichten, käme kein Klub in Schwierigkeiten, oder?
Bis auf ganz wenige Ausnahmen habe ich keine Spieler erlebt, die sich bei notwendigen Gehaltskürzungen uneinsichtig gezeigt haben. Alle Profis und Großverdiener der Bundesliga-Klubs sollten sich bei der DFL und ihrem Vereins-Führungspersonal bedanken, dass ihr Hygiene-Konzept vorbildlich funktioniert hat und weltweit als vorbildlich gelobt wurde. Ohne Einnahmen aus den TV-Live-Spielen wären die Vereine sicherlich nicht drum herum gekommen 50 und mehr Prozent Gehaltskürzungen vorzunehmen.
Wie kam es überhaupt zu der wahnsinnig hohen Gehalts-Entwicklung? Der Schnitt in Deutschland liegt bei knapp unter zwei Millionen Euro Jahresgehalt für einen Erstligaprofi. Wie ist das zu rechtfertigen?
Der Ursprung der hohen Gehälter liegt in erster Linie an den sehr hohen TV-Einschaltquoten. Die Formel in der Medien-Wirtschaft ist verhältnismäßig einfach: hohe Quoten, hohe Honorare - und bei diesem Business ist Fußball der Quoten-König. Bei den hohen Zahlungen an den Fußball, gibt es sogar einen volkswirtschaftlichen Vorteil. Während internationale Topstars und Musik-Gruppen als Quotenbringer oft mit einer kleineren Pauschale versteuert werden, gilt der Profi-Fußballer in Deutschland als ganz normaler Arbeitnehmer, unabhängig von seinem Gehalt oder dem Herkunftsland. Im Klartext bedeutet das, der Verein behält neben den Sozialabgaben vom Bruttogehalt bis zu 45 Prozent Lohnsteuer zuzüglich 5,5 Prozent Solidaritätszuschlag ein und führt dies monatlich an das Finanzamt ab. Die Liga hat in der vergangenen Saison 1,4 Milliarden Euro an unsere Gesellschaft bzw. den Staat überwiesen.
Ist eine Gehaltsobergrenze eine mögliche Lösung?
Die Gehalt-Explosion hat sich eindeutig negativ ausgewirkt. Selbst Karl-Heinz Rummenigge hat als Präsident der European Club Association gemeinsam mit der UEFA schon vor Jahren bei der EU versucht, die Gehälter im europäischen Fußball zu deckeln, womit selbst die finanzstarken Top-Klubs aus England und Spanien einverstanden waren. Die EU hat dem Antrag nicht zugestimmt, damit ist solch ein Vorgehen rechtlich nicht möglich. Die EU droht sogar mit sehr hohen Strafen und Geldbußen, wenn die Vereine gegen den Wettbewerb auf dem freien Arbeitsmarkt verstoßen. Den Versuch, die Profi-Fußballer in eine besondere Arbeitsgruppe einzuordnen, lehnte die EU ebenfalls ab. Ich hoffe, dass durch eine erfolgreiche Intervention der Politik, die EU bei Profi-Fußballern das Prinzip Angebot und Nachfrage in der freien Marktwirtschaft durch eine Gehaltsobergrenze nach bestimmten Kriterien ersetzt. Das Bosman-Urteil lässt grüßen, dieses EU-Urteil hat eindeutig für die hohen Gehälter der Spieler gesorgt.
Dieser Kompromiss-Vorschlag müsste dann doch für den gesamten europäischen Raum gelten?
Ja klar, das wäre für faire europäische Klub-Wettbewerbe unabdingbar und absolut erforderlich. Die UEFA müsste gemeinsam mit den Nationalverbänden und ihren Vereinen im europäischen Fußball strikte Regeln einhalten. Ein wachsweiches Financial Fairplay wäre absolut untragbar. Man muss bei den internationalen Vereinen dann die Regeln anwenden, die wir in Deutschland im Lizenzierungs-Verfahren schon länger konsequent einhalten. Die Aufforderung mehr Rücklagen und Eigenkapital zu bilden, müsste wegen der Wettbewerbssituation immer im Einklang mit allen europäischen Klubs gelten und mit einem Lizenz-Verfahren streng überwacht werden. So würde man aufgrund der gesamten Finanzsituation ein kleineres Personalkosten-Budget festlegen, was dann im Endeffekt auch zu einer Reduzierung der einzelnen Personalkosten führen würde.
Wer ist Ihr Vorzeigeklub der Liga?
Als Vorzeige-Klub würde ich Borussia Mönchengladbach nennen. 1999 haben die noch in der 2. Liga gespielt, jetzt kicken sie aktuell in der Champions League. Unter der erstklassigen Führung von Präsident Rolf Königs haben Max Eberl, Stephan Schippers neben den jeweiligen Trainern, Managern und Präsidiumsmitgliedern ein neues Stadion mit einer erstklassigen Infrastruktur auf die Beine gestellt.
Wer ist Ihr Mann des Jahres: Hansi Flick mit dem maximalen sportlichen Erfolg oder Christian Seifert als Retter der Liga mit überzeugendem Konzept gegen die Pandemie, das weltweit abgekupfert wurde?
Nach dem souveränen Triple inklusive Champions-League-Sieg wurden von den Bayern Hansi Flick als Chef-Trainer sowie die Spieler Neuer, Kimmich und Lewandowski auf der Europäischen Bühne berechtigt geehrt. DFL-Chef Christian Seifert ist mit der Unterstützung von vielen Medizinern sowie Vereins- und Verbandsmitarbeitern aber klar der Mann des Jahres im deutschen Fußball.
Reiner Calmund: Fan-Rückkehr in die Stadien in nächster Saison
Wann werden wieder Fans in die Stadien kommen?
Ich bin optimistisch. Nach dem harten Lockdown, den folgenden Impf-Passagen und dem sommerlichen Wetter kann ich mir zur neuen Saison wieder größere Zuschauer-Kontingente in den Stadien vorstellen.
Hat Corona den Fußball verändert?
Ganz klar ja. Die Zuschauer fehlen uns, sie sind doch das Salz in der Suppe. Ich freue mich jetzt schon auf volle Stadien, dass bedeutet dann endlich wieder Stimmung pur und eine fantastische Kulisse.