Vor 50 Jahren haben die Bläck Fööss ihren Kultsong „En unserem Veedel“ geschrieben – und auch heute kann Kölns Hymne noch zahlreiche Menschen begeistern.
„Meisterleistung“50-jährige Erfolgsgeschichte: Vom „Veedel“-Hit zur Hymne Kölns
Vor fast 50 Jahren, der 7. Mai 1973, „Ringschänke“ am Karolingerring: Hier treffen sich Erry Stoklosa (25), Tommy Engel (23) und Hartmut Priess (30), die drei „Bläck Fööss“.
Damals noch Newcomer – aufgefallen als Band, die barfuß Lieder über Köln und das wahre Leben der Kölner und Kölnerinnen singt. Es wird ein besonderer Abend für die Musiker, für die Kölner, für die Stadt. Denn an diesem Abend entsteht „En unserem Veedel“, das immer noch und mehr denn je gesungen wird.
Bläck Fööss schreibt 1973 wichtigen Song: „En unserem Veedel“
Kein Karneval, keine Gartenparty, kein Treffen von Kölnern und Kölnerinnen in der Ferne ohne das „Veedel“: Ein Lied, das die Hymne Kölns und der Kölner und Kölnerinnen geworden ist.
1973 war von „Hymne“ noch keine Rede. Erry erinnert sich im EXPRESS-Gespräch: „Wir wollten ein politisches Lied haben, wir wollten damit Kritik an der Stadtplanung üben. Wir hatten viele Gründe: Damals war Köln gerade durch die Nord-Süd-Fahrt geteilt worden, der Stadtkern wurde saniert, es entstanden Siedlungen wie Chorweiler. Viele Kölner hatten Angst vor einer Umsiedlung von der Stadt an den Stadtrand.“
Die Ängste der Kölner und Kölnerinnen fasst Erry in seinem ersten Textversuch zusammen, der noch in derselben Nacht entsteht und mit dem legendären Seufzer beginnt: „Wie sull dat nur wiggerjon…?“Hier nehmen Sie an unserer EXPRESS.de-Umfrage teil:
Die Verse werden zwar später von der Band leicht überarbeitet, doch der Refrain ist fast geblieben. Der Song wird die „B-Seite“ der dritten Bläck-Fööss-Single. Die A-Seite bekommt „Mer losse d'r Dom en Kölle“, das zwar mehr nach Karneval klingt, aber auch Protest ist.
Erry: „Es ging auch um die Politik in der Stadt und um den Größenwahn einiger Stadtplaner. Wir sangen ,Stell d'r vür, d'r Kreml stünd om Ebertplatz, stell d'r vür, d'r Louvre stünd am Ring“ – das hatte einen ernsten Hintergrund.
Einer, der beim „Veedel“ genau hingehört hat, ist Kabarettist und Köln-Kenner Jürgen Becker (63). Der findet darin „eine hoffnungsfrohe Utopie gegen drohendes Ungemach“.
Er sagt: „Das, was man heute Gentrifizierung nennt, war vor 50 Jahren die Stadtsanierung mit dem ‚qualitativen Austausch der Bevölkerung‘, wie der SPD-Politiker im Kölner Stadtrat Günter Herterich seine Pläne rund um die Stollwerck-Sanierung umschrieb. Damals wie heute bedeutet der Strukturwandel großstädtischer Viertel eine Attraktivitätssteigerung zugunsten zahlungskräftigerer Eigentümerinnen und Eigentümer sowie Miterinnen und Mieter und deren anschließenden Zuzug.“
„Veedel“-Hit schafft es 2009 endlich in die Charts – und wird zur Hymne
Becker bescheinigt den Fööss: „Sie setzten die widerspenstige Vision dagegen, dass der Zusammenhalt im Veedel dennoch nicht untergeht und schufen so eine selig machende Hymne für die Ewigkeit. Bei diesem eher sperrigen und komplizierten Thema war das eine brillante musikalische Meisterleistung, die man nicht hoch genug würdigen kann. ,In unserem Veedel‘ nimmt uns alle unter seine warme Decke.“
Das „Veedel“ braucht allerdings noch einige Jahre, bis es ganz oben in den Herzen der Kölner und Kölnerinnen landet und zur Hymne wird. Während der „Dom“ zum Karnevalsknaller wurde, schafft das „Veedel“ erst 2009 den Einstieg in die Charts.
Doch da stand für viele nicht mehr das Politische, sondern das Heimelige, das Kölsche im Vordergrund, ausgedrückt in der Zeile: „...denn he hält m'r zosamme, ejal, wat och passeet, en uns'rem Veedel“.
Lob für die Vision des Veedels-Lebens kommt aus einer musikalisch ungewohnten Ecke, von Richard Bargel (72), Deutschlands bekanntestem Blues-Musiker (gerade neu: „Dead Slow Stampede“). Er schwärmt: „Es ist das schönste Köln-Lied, das ich kenne, und es ist eines, das das ganze Jahr über gesungen werden kann.“
Einen weiteren Schub in Richtung Herzens-Hymne gab es in den letzten Jahren: In den ersten Corona-Wochen sangen die Kölner und Kölnerinnen das „Veedel“ abends gemeinsam aus den Fenstern, auf den Balkonen und auf den Straßen. Mit „Veedel“ sorgt die Kölner „Veedel Band“ – u. a. mit Andrea Berg, Brings, Höhner, Kasalla, Carolin Kebekus – in derselben für Gänsehaut.
„Veedel“-Hymne begeistert Gäste am Eigelstein: „So intensiv...“
Mit „Veedel“ macht im Sommer 2021 ein Männerchor aus Ahrweiler den Betroffenen der Ahr-Hochwasserkatastrophe Mut. Es gibt Klassik- und Jazz-Versionen und Zehntausende singen es im Stadion nach einem mehr oder weniger schönen FC-Spiel.
Und heute? Angelika Dederichs (53), seit über 20 Jahren Chefin im „Weinhaus Vogel“ am Eigelstein, weiß von der „Veedel“-Hymne, dass sie ihre Gäste am meisten ergreift: „So intensiv, so voller Inbrunst wird kein anderes Lied mitgesungen. Die Strophen werden von den meisten sehr ernst genommen, weil sich alle wieder eine heilere Welt erträumen. Je ernster die Zeiten werden, desto öfter habe ich das Gefühl, dass das Lied fast zu einem Gebet geworden ist.“
Die Bläck Fööss in der Ur-Besetzung gibt es nicht mehr, Erry ist auf der Bühne nicht mehr dabei. Wie fühlt er sich, wenn er nur noch zuhören kann? „Ich hatte beim ,Veedel' schon lange das Gefühl, dass uns das Lied nicht mehr gehört, sondern das Lied aller Kölnerinnen und Kölner geworden ist. Das ist kein unangenehmes Gefühl. Wenn ich sehe, was draus geworden ist, werde ich sogar etwas stolz und denke, dass uns da was gelungen ist, was nicht alltäglich ist.“
Damals, vor 50 Jahren, hatte das „Veedel“ zuerst eine andere Melodie, die Erry mit Tommy Engel geschrieben hatten – doch die gefällt Hartmut Priess und den anderen nicht so wirklich, sie ist ihnen zu „schlagerhaft.“ Und so komponiert die Band die jetzige. „Gut, dass es so war“, sagt Erry.„Sonst wäre es wahrscheinlich nicht das geworden, was es heute ist.“
Bekannter Blues-Musiker erzählt seine Veedels-Geschichte
Richard Bargel: „Ich wohne in einem sehr intakten Südstadt-Veedel. Ein Nachbar winkt mir jeden Tag von seinem Balkon aus zu, wenn ich mich auf den Weg zur Severinsstraße mache. Manchmal halten wir auch ein kleines Schwätzchen. Er ist schon Rentner und seine Frau hat ihn zum Rauchen auf eben diesen Balkon verbannt.“
Er fährt fort: „Letzte Woche hat er mir vom Balkon herunter erzählt, dass seine Frau verstorben sei. Das traf mich tief ins Herz. Wir haben uns lange schweigend angeguckt. Mit beiden Armen habe ich ihm eine feste Umarmung angedeutet. Er hat traurig genickt und hilflos die Schultern nach oben gezogen. ‚Was willst du machen?‘, sollte das heißen. Ja, so ist das in meinem Veedel. Wir nehmen Anteil an Freud und am Leid unserer Mitmenschen. Will ich woanders wohnen? Niemals! Mer blieve wo mer sin!“