„Wo bin ich hier gelandet?“Junge Kommissar erhebt in ARD-Doku schwere Vorwürfe gegen Polizei

Der Polizist Abdel berichtet in der Dokumentation davon, wie auch er selbst von seinen eigenen Kollegen immer wieder rassistische Sprüche abbekommt. (Bild: SWR/Elbmotion Filmproduktion/Sebastian Wagner)

Der Polizist Abdel berichtet in der Dokumentation davon, wie auch er selbst von seinen eigenen Kollegen immer wieder rassistische Sprüche abbekommt.

„Wo bin ich hier gelandet?“, habe sich der junge Kommissar Abdel bei seiner Arbeit bei der Berliner Polizei immer wieder gefragt. In einer ARD-Doku berichtet er nun davon, von Kollegen vielfach rassistisch beleidigt worden zu sein. An ein strukturelles Rassismus-Problem glauben Polizei-Gewerkschafter jedoch nicht.

„Es wird keine Studie geben, die sich mit Unterstellungen und Vorwürfen gegen die Polizei richtet. Denn die überwältigende Mehrheit von über 99 Prozent der Polizistinnen und Polizisten steht auf dem Boden unseres Grundgesetzes.“ - Das verkündete im Herbst 2020 der damalige Innenminister Horst Seehofer (CSU). Schon damals gab es Forderungen, unter anderem von Forschern und SPD-Politikern, nach einer unabhängigen Studie über die Haltung von Polizisten gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund.

Mittlerweile, vier Jahre später, zeigt sich: Das Internet und insbesondere soziale Medien haben manches an die Oberfläche gebracht, was vermutlich schon lange weitgehend im Verborgenen vor sich ging. Das Bekanntwerden rechtsextremer Chatgruppen von Polizistinnen und Polizisten ist nur ein Beispiel. Dennoch, so wird auch im am Dienstag ausgestrahlten Dokumentarfilm „ARD Story: Die Polizei und der Rassismus“ deutlich, wehren sich Polizei-Gewerkschafter wie Rainer Wendt weiterhin gegen Forschungsprojekte, die das Thema Rassismus innerhalb der Polizei aufarbeiten sollen.

Junger Polizist wurde selbst Opfer rassistischer Diffamierungen

„Es gibt keine strukturellen Probleme in der Polizei. Also das System müsste ja darauf angelegt sein, solche Einstellungen zu fördern oder auch nur zu tolerieren. Beides tut die Polizei nicht“, behauptet Wendt auch in der ARD-Doku. Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) ist überzeugt: „Die sogenannten faulen Äpfel in der Polizei, die findet man nicht mit Wissenschaft und schon gar nicht mit Studien. Das schafft man mit guten Vorgesetzten, mit aufmerksamen Kolleginnen und Kollegen, die zur Anzeige bringen, was nicht in Ordnung ist.“

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Das sieht der junge Kommissar Abdel, der eigentlich anders heißt, nicht so. Er hat einen marokkanischen Migrationshintergrund und schon früh im Leben Diskriminierungserfahrungen gemacht. „Mir hat immer dieses Gefühl gefehlt, zum Land dazuzugehören.“ Nicht zuletzt, um „in der Gesellschaft anzukommen“, habe er an der Polizeihochschule Berlin studiert und später den Dienst in einer Hundertschaft angetreten.

Dort jedoch sei er vielfach mit Rassismus konfrontiert worden, der mal gegen Außenstehende, mal gegen ihn selbst gerichtet gewesen sei. „Einmal meinte ein Kollege zu mir: Ey Abdel, warst du eigentlich bei der Kölner Silvesternacht dabei? Und die Gruppenführerin vorne lachte: 'Haha, der Grapscher'“, erinnert sich Abdel. „Ich dachte mir: Wo bin ich hier gelandet? Ich habe so hart gearbeitet, habe studiert, habe bekämpft, und dann bekomme ich sowas zu hören.“

Zu den Aufgaben der Polizei gehört die Begleitung von Demonstrationen wie hier einer Anti-AfD-Demo in Aalen im Mai. (Bild: SWR/Elbmotion Filmproduktion/Florian Lengert)

Zu den Aufgaben der Polizei gehört die Begleitung von Demonstrationen wie hier einer Anti-AfD-Demo in Aalen im Mai.

Eines Tages, erzählt Abdel, habe er all seinen Mut zusammengefasst und seine Kollegen konfrontiert. „Mir gefällt der Rassismus hier nicht, sowas lasse ich mir nicht gefallen. Ich hab dann in der Gruppe gesagt, dass wir solche Äußerungen generell nicht tätigen können - ob das Spaß war oder nicht. Wir sind Polizisten, wir haben einen Eid geschworen auf das Grundgesetz. Es gab genug Skandale“, ärgert er sich. „Über solche Dinge macht man einfach keine Witze.“ Seine Beschwerde sei im Kollegenkreis jedoch auf taube Ohren gestoßen. „Die kannten sich schon sehr lange und haben sich geschützt. Man deckt sich“, erklärt Abdel.

„Wieso wird mir denn empfohlen, zum Psychologen zu gehen, wenn ich rassistisch beleidigt werde?“

Auch seine Vorgesetzten hätten dem jungen Polizisten nicht geholfen. Im Film berichtet er von einem besonders frustrierenden Gespräch mit einer Führungskraft: „Sie hat dann zu mir gesagt: Kann es nicht vielleicht daran liegen, dass du das alles zu ernst nimmst?“ Seine Vorgesetzte habe ihm sogar geraten, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen, erinnert sich Abdel. „Ich dachte mir in dem Moment: Wieso wird mir denn empfohlen, zum Psychologen zu gehen, wenn ich rassistisch beleidigt werde?“

Bald will der Kommissar der Polizei den Rücken kehren - obwohl er den Job stets „mit Liebe“ gemacht habe. „Ich selber nehme den Rassismus nicht hin, ich fühle mich verraten“, klagt er. Sorge mache ihm die grundsätzliche Haltung einiger Polizeibeamter gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund: „Wenn er sogar mir gegenüber, der perfekt integriert ist, der studiert hat, der in normalen Verhältnissen lebt, solche Dinge äußert - wie ist er dann Leuten gegenüber, die wenig Macht besitzen?“

Ein Weg zum besseren Miteinander? In der Polizeihochschule Baden-Württemberg treffen Polizistinnen und Polizisten auf Vertreter der Sinti und Roma.  (Bild: SWR/Elbmotion Filmproduktion/Florian Lengert)

Ein Weg zum besseren Miteinander? In der Polizeihochschule Baden-Württemberg treffen Polizistinnen und Polizisten auf Vertreter der Sinti und Roma.

Der Rechtswissenschaftler und Kriminologe Tobias Singelnstein hält Abdels Erfahrungen für keinen Einzelfall. „Zum einen ist es so, dass es Beamtinnen und Beamte gibt, die rassistische Vorstellungen haben“, erklärt er. „Und auf der anderen Seite gibt es das, was wir strukturellen Rassismus nennen. Das heißt, dass Rassismus in die Strukturen der Polizei eingewoben ist.“ Das Problem: „Im Prinzip ist das Thema Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in der Polizei von der Polizei jahrzehntelang negiert worden.“

DPolG-Vize Kusterer vergleicht rechtsextreme Bilder mit „heute-show“-Witzen

Ralf Kusterer, unter anderem stellvertretender Bundesvorsitzender der DPolG und Landesvorsitzender der DPolG Baden-Württemberg, sieht weiterhin keinen Handlungsbedarf. In Bezug auf die rechtsextremen Chatprotokolle sagt er, „dass junge Menschen sich irgendwo in der Ausbildung ganz früh irgendwelche Bilder zugeschickt haben und die Bedeutung dessen, was da so geschickt wurde, wahrscheinlich gar nicht so im Blick hatten.“

Polizeidirektor Armin Bohnert aus Freiburg kritisiert die mangelhafte Fehlerkultur innerhalb der Hierarchien der Polizei.  (Bild: SWR/Elbmotion Filmproduktion/Florian Lengert)

Polizeidirektor Armin Bohnert aus Freiburg kritisiert die mangelhafte Fehlerkultur innerhalb der Hierarchien der Polizei.

Die Sprüche vergleicht er mit den Gags aus der ZDF-“heute-show“: „Die dachten da eher an Comedy. Sie können am Freitagabend (Oliver, Anm.d.Red.) Welke anschauen, und wenn Sie sowas dann abfotografieren, was der so als Comedian bringt, kann es durchaus auf dem Handy wirken, dass Sie einen Radikalismus leben.“ Die fraglichen Nachrichten seien „nicht unproblematisch“, räumt Kusterer ein. Eine wissenschaftliche Aufarbeitung sei dennoch nicht nötig.

Wie die Doku zeigt, sind zahlreiche Kollegen Kusterers innerhalb der Polizei anderer Meinung. Der Berliner Kriminalhauptkommissar Oliver von Dobrowolski etwa wirft verschiedenen Polizeibeamtinnen und -beamten vor, gezielt schwarze Menschen zu kontrollieren. „Das war schon Racial Profiling“, sagt er im Film.

Der Freiburger Polizeidirektor Armin Bohnert macht sich indes für eine groß angelegte Studie zum Thema Rassismus in der Polizei stark. „Ich glaube fest daran, dass die Ergebnisse, wenn wir Forschung zulassen, gar nicht so schlimm sind, sondern es nur in Teilen Konsequenzen braucht.“ Er ist überzeugt: „Das Ansehen würde sogar noch steigen, weil wir dann auch wahrgenommen werden als Organisation, die auch Fehler zulässt und zugibt.“ (tsch)