Zu wenig Abwechslung im Karneval? Gefährden die hohen Kosten das Brauchtum? In der jecken Szene wird zum Sessionsstart heftig diskutiert. Im EXPRESS.de-Gespräch beziehen vier Experten Stellung.
Nachwuchs-Krise im KarnevalNach Cantz-Vorstoß: Bütt-Profis mit Sorgen ums Brauchtum – „geht ums Geld“
Der Start in die neue Karnevalssession wurde von einigen ernsten Tönen überlagert. Die jeckste Jahreszeit sorgt bei den Verantwortlichen durchaus für Sorgenfalten. Explodierende Kosten und mangelnde Abwechslung in den Programmen sind zwei Bereiche, die diskutiert werden.
Das Festkomitee Kölner Karneval und die Freunde und Förderer des Kölnischen Brauchtums haben schon Alarm geschlagen. Unter den geforderten Rahmenbedingungen sehen sie den Rosenmontagszug und die Schull- und Veedelszöch stark gefährdet.
Guido Cantz schlägt kürzere Reden vor – Schopps und Weininger kontern
Bütt-Profi Guido Cantz (53) hat wiederum im EXPRESS.de-Interview auf ein anderes Problem hingewiesen. „Neue Gesichter zu finden, ist absolut schwer. Ohne Nachwuchs wird es auf Dauer nicht funktionieren“, sagt er. Die etablierten Redner sollten ihre Auftritte kürzer fassen, damit im Programm noch Platz für Newcomer sei, lautete sein Vorschlag.
Die Künstlermanager Michael Gerhold und Stefan Kleinehr sowie die Bühnenprofis Volker Weininger und Martin Schopps kümmern sich unter dem Namen „Erste 11“ um Künstlervermittlung, Eventgestaltung und die Erstellung von Sitzungsprogrammen. Im EXPRESS.de-Gespräch diskutieren sie die aktuelle Lage.
Kürzere Reden, damit der Nachwuchs eine Chance bekommt. Ist die Idee gut?
Michael Gerhold: Die Rechnung geht nicht auf, wenn ich sage, dass ich zwei Rednern die Zeit kürze, um Platz für den Nachwuchs zu schaffen. Bei der Finanzierung muss der Ansatz ein anderer sein. Wenn ich neuen Rednern eine Chance geben will, dann muss ich mir überlegen, ob es sinnvoll ist, diese gleich mit einer vierstelligen Gage anzubieten. Wenn ich als Literat 700 Euro für einen Redner ausgebe, der aber nicht richtig zündet, dann schmerzt es nicht so. Ist die Gage gleich so hoch, herrscht direkt ein anderer Druck.
Stefan Kleinehr: Jeder Veranstalter braucht ein Plakat, auf dem Namen draufstehen, die sich verkaufen. Die Nebenkosten der Veranstaltung sind derzeit höher als die reinen Programmkosten. Wenn ich eine Sitzung mit knapp 2000 Leuten plane, brauche ich fünf große Bands und vier große Redner. Zu den Gagen kommen Nebenkosten von 35.000 Euro. Natürlich streiche ich dann irgendwann im Programm und natürlich nicht beim Top-Act. Und damit geht das Problem los. Da schaue ich, wo ich Einsparungen vornehmen kann. Es zeigt sich, dass dies immer häufiger zulasten von Tanz- oder Traditionskorps stattfindet.
Michael Gerhold: Ich glaube auch nicht, dass wir aufgrund der kürzeren Aufmerksamkeitsspanne des Publikums etwas ändern müssen. Die ist sicher kürzer geworden. Aber wenn eine Nummer gut ist, hören die Leute gerne zu. Eine Rede dauert auch nicht 30 Minuten, sondern 22, mit Zugabe vielleicht 25, der Rest ist An- und Abmoderation. Eine 15-minütige Rede wäre mir zu kurz.
Volker Weininger: Da habe ich gerade mal fünf Bier getrunken und müsste schon wieder runter (lacht). Aber im Ernst: Für Newcomer ist das eine Idee, damit die nicht gleich 25 Minuten füllen müssen.
Stefan Kleinehr: Es ist auch etwas anderes, ob ein Redner beim Vorstellabend durch die Decke geht, oder ob er zu einer späteren Uhrzeit bei einer Sitzung auftritt. Es mangelt nicht daran, dass wir den Leuten nicht die Plattform geben. Da kommt es auch nicht auf das Kürzen anderer Reden an. Am Ende geht es um das Geld. Das ist ja der Gedanke, warum wir uns als „Erste 11“ zusammengetan haben. Wenn das Ehrenamt Unterstützung braucht, weil niemand das hauptverantwortlich leisten kann, dann können wir helfen, ohne dass die Nebenkosten so horrend sind.
Wie sieht das konkret aus?
Stefan Kleinehr: Wir nehmen pro vermittelten Künstler den festen Satz von 90 Euro und orientieren uns nicht prozentual an dessen Gage. Die Arbeitsdienstleistung ist schließlich bei jedem Künstler gleich. Da kommt am Ende für ein komplettes Programm ein Vermittlungsaufwand von 810 Euro zusammen.
Stefan Kleinehr: Nebenkosten bei einer Sitzung liegen bei 35.000 Euro
Also fehlt dem Karneval gar keine Abwechslung?
Martin Schopps: Doch, aber als ich 2000 angefangen habe, da gab es die gleiche Diskussion. Damals fanden in Köln nur Et Botterblömche, mein Vater, Guido Cantz, Willibert Pauels und Bernd Stelter statt. Auch da hieß es schon, dass der Nachwuchs keine Chance hat. Zum Start bin ich auf die sogenannte Ochsentour von Festzelt zu Festzelt für eine sehr überschaubare Gage ins Umland gegangen. Dann ging plötzlich die Tür nach Köln auf.
Stefan Kleinehr: Wir haben auch viele aus dem Comedy-Bereich erlebt, die in den Karneval gekommen sind, die aber auch schon wieder weg sind.
Volker Weininger: Ich kenne genug Beispiele von Comedy-Kollegen, die mir gesagt haben, dass sie mit Karneval nichts am Hut haben, das Geld aber durchaus verdienen wollten. Das Publikum merkt, ob man wirklich Lust am Brauchtum hat oder das nur als Geschäft betrachtet. Wer das macht, wird keine Akzeptanz finden und sich selbst nicht wohlfühlen. Ich habe Bock auf das, was ich mache, und freue mich auf die Wochen.
Martin Schopps: Karneval hat – bei Bands und Rednern – auch immer etwas mit Identifikation und Leidenschaft zu tun. Man muss sich schon als Teil des Ganzen sehen und das nicht nur als Business ansehen.
Volker Weiniger: Dennoch stimmt der Kern der Debatte. Mehr Abwechslung wäre schon wünschenswert, das setzt aber auch den Willen in der Programmgestaltung voraus. Die Literaten sind alle einem großen Druck unterworfen. Die Bandbreite, die es früher gab, gibt es in der Form nicht mehr. Wir haben ein großes Angebot bei den Bands, die sich bei uns bei der Kajuja vorstellen möchten. Die sind alle gut, die liefern richtig ab. Im Redebereich kann die Qualität da mitunter nicht mithalten. Die präsentieren Nummern, die im Umland im kleinen Rahmen vielleicht funktioniert haben, aber nicht für eine große Sitzung geeignet sind.
Michael Gerhold: Kostentreiber der Stadt gefährden das Brauchtum
Viele Vereine leiden auch unter den explodierenden Kosten aufgrund der hohen Auflagen.
Michael Gerhold: Als ich das Amt als Präsident der Nippeser Bürgerwehr 2018 übernommen habe, hatten wir Kosten von 18 Euro für die Sicherheitsbediensteten, die am Eingang die Karten kontrolliert haben. Die Sätze haben inzwischen 30 Euro pro Stunde gerissen. Wenn man das auf die Stunden und das benötigte Personal hochrechnet, reißt das ein großes Loch in die Kasse.
Martin Schopps: Wir haben auch im Blick, welche Nöte die Basis hat. Wenn sich jemand meldet, der beispielsweise eine kleine Pfarrsitzung ausrichtet, dann kommt man dem auch entgegen.
Michael Gerhold: Der Zuschuss der Stadt ist seit Jahrzehnten gleichbleibend. Auf der anderen Seite steigen die Auflagen, die sicher auch hinterfragt werden müssen, immer weiter. Das sind Kostentreiber, die das Brauchtum gefährden. Auf der anderen Seite generiert die Stadt Köln durch den Karneval und durch die Hotellerie ein Vielfaches mehr an Einnahmen als vor vielen Jahren.